Austausch von Kältemitteln mit hohem Global Warming Potential (GMP) für Tieftemperaturanwendungen

Da es kaum wirtschaftliche Alternativen zum Erreichen sehr niedrigen Temperaturen gibt, darf R23 trotz des hohen GWP-Werts noch in Ausnahmen eingesetzt werden. Für mehr Planungssicherheit bietet der Anlagenbauer KIT-Plersch nun eine umweltfreundliche und effiziente Lösung auf Basis einer Kaskadentechnologie mit natürlichen Kältemitteln an.

Frontansicht des Ultratieftemperatur-Containers mit Rückkühleinheit an der...
Frontansicht des Ultratieftemperatur-Containers mit Rückkühleinheit an der Seite platziert. Die knapp -83 °C kalte Luft strömt bei geöffneter Tür zum Boden und bildet Nebel. © KTI-Plersch Kältetechnik

Die Lagerung von Impfstoffen oder Substanzen, die etwa bei der Herstellung von Enzymen und Blutplasma sowie der Erforschung von Krebs- oder Autoimmunerkrankungen genutzt werden, erfordert sehr niedrige Temperaturen von teilweise unter -80 °C. Viele Anlagenhersteller setzen als Standardkältemittel R23 (GWP 14.800 kg CO2-Äquivalent) ein, das jedoch das Klima im Falle einer Leckage massiv belastet und dessen Verbot in naher Zukunft realistisch ist. Die KTI-Plersch Kältetechnik bietet nun eine Lösung, die ausschließlich mit natürlichen Kältemitteln betrieben wird. Dabei werden das Kältemittel R744 sowie eine Kaltluft-Kältemaschine eingesetzt, um die Kammertemperatur auf das erforderliche Niveau abzusenken. Alle Komponenten werden in einem sogenannten Box-in-Box-System in Standardcontainer verbaut, wodurch – anders als bspw. bei Tiefkühlschränken – kaum Kälte verloren geht und die Anlagen besonders effizient arbeiten. Damit lassen sich stufenlos Temperaturen bis zu -110 °C einstellen; auf Wunsch sind sogar Lösungen für -130°C umsetzbar.

Zwischen -60 und -90 °C ist die optimale Temperatur, um den Covid-19-Impfstoff Comirnaty des Mainzer Pharmaunternehmens BioNTech bis zu einem halben Jahr zu lagern, ohne dass er Schaden nimmt. „Bis vor kurzem kamen für die Aufbewahrung temperaturempfindlicher Produkte noch Tieftemperaturkühlschränke zum Einsatz.

Inzwischen beobachten wir aber einen Trend hin zu größeren Lagerlösungen, da sie deutlich effizienter und ausfallsicherer arbeiten“, berichtet Michael Walleter, Vertriebsleiter bei der KTI-Plersch Kältetechnik. „Konkret kann man davon ausgehen, dass Lagerräume aufgrund der Isolierdicke, der spezifischen Oberfläche – also dem Verhältnis von Außenoberfläche zum Lagervolumen –, und der größeren Kälte­anlage bis zu zehnmal effizienter sind als einzelne Tieftemperaturkühlschränke.“

Kältemittel belasten Umwelt im Fall von Leckagen stark

Bei den bislang angebotenen Lösungen für größere Lagervolumina kommt meist ein kompliziertes und wartungsintensives Kaskadensystem zum Einsatz, bei dem die gewünschte Temperatur durch stufenweise verschaltete, konventionelle Kompressionskältemaschinen erreicht wird. Dabei kühlt die Kältemaschine der oberen Stufe die Kältemaschine der unteren Stufe, welche schließlich die Luft im Lagerraum kühlt. Die häufigsten Ausfälle von klassischen Kältesystemen sind Flüssigkeitsschläge im Verdichter, eine unzureichende Ölrückführung oder Feuchtigkeit im Öl durch das Eindringen von Luft in das geschlossene System bei der Wartung. Bei mehrstufigen Kältemaschinen vervielfältigt sich die Chance dieser Ausfälle über die Anzahl der Stufen und durch die Materialbelastung aufgrund der tiefen Temperaturen.

Die Tieftemperaturkühlung geht im Fall von Leckagen außerdem mit dem Austritt höchst klimaschädlicher Gase einher. „Um eine Verdam­pfungstemperatur von unter -85 °C zu erreichen, kommt bei der zweiten Stufe der Kaskadentechnologie fast immer das Kältemittel R23 zum Einsatz“, berichtet Thomas Frank von dem Unternehmen Refolution, ein Entwicklungspartner der KTI und spezialisiert auf den Einsatz natürlicher Kältemittel. „Dieses Kältemittel besitzt ein Global Warming Potential (GWP) von 14.800. Das bedeutet, dass 1 kg durch Leckage entwichenes Kältemittel einem CO2-Äquivalent von circa 15 t entspricht.“ Da es bislang kaum Alternativen zum Erreichen dieser niedrigen Temperaturen gibt, darf R23 trotz des hohen GWP-Werts noch innerhalb einer Ausnahmeregelung eingesetzt werden. Doch die 2015 in Kraft getretene F-Gase-Verordnung der EU macht deutlich, dass umweltschädliche Kältemittel auf lange Sicht durch klimafreundlichere Alternativen ersetzt werden. Der Einsatz der Stoffe wird nach und nach limitiert und in absehbarer Zeit voraussichtlich ganz verboten. Seit 2020 sind Kältemittel mit einem GWP > 2.500 bei Neuanlagen verboten. Zudem steigen die Preise für R23 bereits deutlich, weshalb der Betrieb entsprechender Anlagen zunehmend teurer wird.

Neuartige Anlage nutzt nur Luft (R729) und CO2 (R744) als Kältemittel

Um dieser Entwicklung zuvorzukommen, bietet der Kälteanlagenbauer nun ein Ultratieftemperaturlager, das auf der von Mirai Intex entwickelten Kaltlufttechnik und dem sogenannten Joule-­Kreislauf basiert. Für Temperaturen von bis zu -110°C – bei Bedarf sind sogar bis zu -130 °C möglich – wird für die Lagerraumkühlung Luft (R729) im offenen Kreislauf und für die Schleusenkühlung CO2 (R744) im geschlossenen Kreislauf eingesetzt. Die Luft aus dem Lagerraum wird in einem Kreislaufprozess immer weiter heruntergekühlt, indem sie angesaugt, verdichtet, gekühlt und schließlich wieder entspannt wird. Dies resultiert in einer kälteren Austrittstemperatur verglichen mit der Eintrittstemperatur. Eine Verdichter-Expander-Einheit der Kaltluft-Kältemaschine, die mit ölfreier Luftlagerung nahezu verschleißfrei betrieben wird, erwirkt die entsprechende Verdichtung und Entspannung der Luft. Ein integrierter Rekuperator sorgt dafür, dass die erforderlichen tiefen Temperaturen erreicht werden können. Da dabei ein Überdruck von weniger als 1 bar herrscht, entsteht keinerlei Gefahr für Mensch und Umwelt.

Eine Luftschleuse zwischen Umgebung und Tieftemperaturkammer wird auf -20 °C gekühlt, was sowohl ein Entkoppeln der Temperatur als auch ein Entfeuchten der Luft bewirkt. Die Schleusenkühlung wird mit CO2 (R744) als Kältemittel ausgeführt. Beide Maschinen – Lagerraumkühlung und Schleusenkühlung – sind wassergekühlt. Die Rückkühlung kann dabei entweder mit einem luftgekühlten Propan-(R290)-Kaltwassersatz oder auch mit vorhandenem Kühlwasser erfolgen.

Wichtig ist, dass die Kaltwasserversorgung kundenspezifisch gestaltet werden kann.

Auf der Hinterseite ist der Maschinenraum platziert. Das Bild zeigt die...
Auf der Hinterseite ist der Maschinenraum platziert. Das Bild zeigt die CO2-Einheit, welche die Luftschleuse auf -20 °C hält. Dahinter befindet sich die Einheit zur Erzeugung der Tiefsttemperatur mit Luft als Kältemittel. © KTI-Plersch Kältetechnik

Planungssicherheit beim Kältemitteleinsatz

Durch den innovativen Ansatz unter Verwendung ausschließlich natürlicher Kältemittel hat der Kunde Planungssicherheit und ist nicht den Bestimmungen der F-Gase-Verordnung 517/2014/EU unterworfen. Natürliche Kältemittel tragen im Vergleich mit synthetischen Kältemitteln nur geringfügig zum Treibhauseffekt bei und sind daher umweltfreundlicher.

Ein weiterer Vorteil der Kaltluftkältemaschine ist, dass keine thermische Abtauung stattfindet. Bei diesem Vorgang entsteht ein großer Wärmeeintrag in die Kältekammer, der sich negativ auf die Energieeffizienz auswirkt. Anders wird bei der Lösung des Kälteanlagenbauers verfahren: Am sog. „Snow catcher“ sammelt sich die Feuchtigkeit aus der Luft an Filterkerzen und bildet dort Eiskristalle. Mit einem Differenzdrucksensor wird die Beladung des Filtersystems gemessen, sodass bei einer bestimmten Vereisung ein Luftdruckstoß entgegengesetzt zur Förderrichtung der Luft ausgesandt wird.

Dadurch werden die agglomerierten Eiskristalle von den Filterkerzen abgestoßen und fallen auf einen Kettentrieb, welcher das Eis hinausbefördert, wo dieses dann bei Umgebungstemperatur schmilzt. Die Filterkerzen sind redundant ausgeführt, sodass zu jedem Zeitpunkt die volle Kälteleistung zur Verfügung steht und die Raumtemperatur stabil bei ±0,5 K geregelt werden kann.

Integration in Standardcontainer vereinfacht Transport

Ausschlagend für eine hohe Energieeffizienz war jedoch nicht allein der neuartige Ansatz zur Erzeugung ultratiefer Temperaturen. Um eine besonders sparsame und praxistaugliche Anlage zu realisieren, nutzte der Anlagenbauer seine Erfahrung aus weltweit umgesetzten Projekten in der Kältetechnik. Seit vielen Jahren bewährt hat sich dabei, die Anlagen in einen Standardcon­tainer zu integrieren. Das vereinfacht bspw. den Transport, da sich die fertiggestellten Lösungen ganz einfach per Schiff, Zug oder Lkw zum finalen Einsatzort transportieren sowie im Bedarfsfall genauso schnell wieder abtransportieren lassen. Von großer Bedeutung war auch die Auswahl der Materialien und Beschaffenheit der Komponenten: „Die sehr niedrigen Temperaturen können Materialermüdungen zur Folge haben“, erklärt Walleter.

„Gleichzeitig gibt es nur wenige Hersteller, die ihre Materialien überhaupt für den Einsatz bei so niedrigen Temperaturen freigeben, weshalb die Baustoffauswahl bspw. für die Isolierpaneele vor allem auf eigenen Erfahrungswerten beruht.“

Im Falle des Ultratieftemperatur-Lagersystems entschieden sich die Kältetechnikexperten von KTI-Plersch außerdem dafür, ein Box-in-Box-System umzusetzen. Das bedeutet, dass bei Betreten des Containers selbst lediglich -20 °C herrschen. Die ultratiefen Temperaturen werden dagegen in einer weiteren, an die Luftschleuse angeschlossenen Kammer innerhalb des Containers realisiert. Weiterhin wird die gesamte innere Kammer von der -20 °C kalten Luft umströmt. Dadurch kann der Eintrag von Wärme und Luftfeuchtigkeit beim Öffnen der Tür zur Kältekammer und in der Folge der Stromverbrauch auf ein Minimum begrenzt werden. Dies gilt auch, wenn bspw. die Kälte­anlage ausfällt. Da die Kammer mit Temperaturen um -80 °C nicht direkt mit der Außenwelt in Berührung kommt, wo für gewöhnlich zumindest leichte Plusgrade herrschen, dauert es länger, bis sich die Kammer aufheizt. Höhere Wärmeverluste und Schäden an den gelagerten Produkten können so über mehrere Stunden hinweg zuverlässig vermieden werden. Bei größeren Stromausfällen ist es möglich, die Anlage an einen Dieselgenerator anzuschließen.

Studie bestätigt hohe Effizienz der Kaltlufttechnik

Die Steuerung der Anlage erfolgt über die bewährte S7-1200 von Siemens sowie über zwei 7“-HMI-Touchpanels. Alle Messwerte werden automatisch geloggt und können unter anderem über eine gesicherte VPN-Verbindung mit einem Webbrowser grafisch aufbereitet und abgefragt werden. „Um möglichst schnell Sicherungsmaßnahmen ergreifen zu können, löst die Steuerung bei Überschreiten eines vorher festgelegten Temperatur-Schwellenwertes automatisch einen Voralarm und einen Hauptalarm aus“, erläutert Frank. „Die Kaltluftmaschine besitzt außerdem eine eigene Steuerung inklusive Touchpanel, die über eine Profinet-Schnittstelle mit der KTI-Steuerung kommuniziert. Generell konstruieren wir die kundenspezifisch entwickelten Anlagen in enger Kooperation mit verschiedenen Partnern aber so, dass eine möglichst hohe Ausfallsicherheit gegeben ist und das System zu jeder Zeit effizient arbeitet.“

Dieser Anspruch wurde kürzlich von unabhängiger Seite bestätigt: Eine Studie, die in Kooperation mit dem Ingenieurbüro Refolution Indus­triekälte und der Hochschule Karlsruhe entstand, verglich verschiedene Tieftemperaturtechnologien miteinander. „Die Ergebnisse zeigen auf, dass die Kaltlufttechnik im Volllastfall bei -80 °C ca. 10 % effizienter im Vergleich zu gängigen Kaskadentechnologien ist – bei Teillast sogar sehr häufig um bis zu 30 %. Damit ist die Kaltlufttechnik sowohl in ökologischer als auch in ökonomischer Sicht zukunftsfähig“, so Walleter abschließend.

Autorin: Pia Schäble, technische Redakteurin, KTI

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