Energie- und Rohstoffknappheit in der Produktion abfedern

Jedes siebte Industrieunternehmen in Deutschland stellt Lebensmittel her. Derzeit steht die Branche vor enormen Herausforderungen. In nahezu allen Bereichen steigen die Produktionskosten in einem Ausmaß wie seit 70 Jahren nicht mehr, warnt die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie. Der aktuelle Kostendruck sorgt für die größte Krise in der Lebensmittelindustrie seit Jahrzehnten. Doch die Krise kann auch eine Chance für den dringend benötigten Kurswechsel in der Branche sein. Das Ziel: eine dauerhaft verschwendungsarme und effiziente Produktion.
 
Einer der größten Kostentreiber sind die steigenden Preise für Rohstoffe und Energie. Nachdem die Lieferketten durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine unterbrochen wurden, wird unter anderem das Angebot an Getreide, Saaten, Fisch und Honig knapper und kann kurzfristig nicht ersetzt werden. Als energieintensive Industrie treffen die explodierenden Kosten bei Gas und Öl die Branche zudem hart. Hinzu kommen Verteuerungen bei Logistik, Verpackung und Düngemitteln. Probleme mit der Versorgung gibt es in Deutschland noch nicht, aber seit Monaten müssen die Bundesbürger wegen steigender die Preise für Lebensmittel tiefer in die Tasche greifen. Im Mai 2022 lag die Preissteigerung bei 11,1 % im Vergleich zum Vorjahr.
 
Krise als Chance begreifen
 
In der Krise fordert die Branche verzweifelt mehr Planungssicherheit. Die lange verbreitete Skepsis, die gewohnten Prozesse zu verändern, bröckelt, denn ein „Weiter-so“ kann es nicht geben. Die steigenden Energie- und Rohstoffkosten zwingen die Unternehmen ebenso zum Umdenken wie die Farm-to-Fork-Strategie der EU. Die Erkenntnis wächst, dass nur ein Kurswechsel zu einer sparsamen, effizienten und nachhaltigen Produktion vom Acker auf den Teller führen wird. Doch damit er gelingt, muss in der ganzen Branche, die überwiegend von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt ist, der Wille bestehen, sich auf dringend notwendige Veränderungen einzulassen. Wer die Krise als Chance begreift, dem bietet sich die Möglichkeit, die Verschwendung in den Wertschöpfungsketten zu reduzieren und Verluste zu vermeiden.
 
Thema Rework grundsätzlich überdenken
 
Bislang werden Verluste noch in großem Umfang akzeptiert. Niemand regt sich auf, wenn in der Produktion täglich etwa 8 % des Spinats, 12 % des Kaffees und 7 % der Eiscreme entsorgt werden. Die Materialverluste werden heute als ein inhärentes Risiko des Produktionsprozesses betrachtet. Zum Teil sind sie technisch bedingt, etwa durch das Ausschieben und Reinigen von Rohrleitungen bei einem Produktwechsel. Oder sie fallen beim Einstellen der Maschinen an, weil beim Schichtwechsel unnötigerweise die Anlagenparameter verändert werden.
 
Häufig stecken aber schlichtweg schlecht durchgeführte Prozesse dahinter. So sollte die Lebensmittelindustrie das Thema Rework grundsätzlich überdenken. Anfallende Reste in der Produktion wieder einzuarbeiten, erzeugt nicht nur unnötige Energiekosten, sondern führt immer wieder zu Lebensmittelverschwendung. Denn bedingt durch das MHD kann regelmäßig nicht bis zur nächsten Produktion mit dem Einarbeiten gewartet werden oder es wird durch die Allergenmatrix verhindert. So gehört Ausschuss zum beruflichen Alltag in der Branche und Anlageneffizienzen von unter 60 % sind keine Seltenheit.
 
Materialverluste vermeiden
 
Ein effektiver Hebel, um Verluste zu vermeiden, liegt deshalb im Bereich der Organisation: Innerhalb der Führung bedarf es eines neuen Mindsets. So ist es eine zentrale Führungsaufgabe, sich täglich davon zu überzeugen, dass die Prozesse exakt wie definiert durchgeführt werden. Bei der sogenannten Prozessbestätigung geht es nicht um disziplinarische Kontrolle und Sanktionierung, sondern um eine Hilfestellung. Sie dient dazu, Fehler in der Ablaufbeschreibung und Qualifikationsdefizite zu erkennen, sie abzustellen und letztlich keine Ressourcen zu verschwenden. Prozesse so zu verändern, dass sie zu einer absoluten Störungsfreiheit und verkürzten Durchlaufzeiten führen, setzt also auf einer Null-Fehler-Strategie auf.
 
Blick über den Tellerrand
 
Wie schlanke Prozesse die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens verbessern, zeigt ein Blick über den Tellerrand. So hat Automobilhersteller Toyota mit effizienten und verschwendungsarmen Prozessen einen nachhaltigen Erfolg für die gesamte Lieferkette und alle Beteiligten geschaffen. Eine Adaption für die Lebensmittelindustrie ist möglich, so dass auch der Food-Sektor von Lean Management profitieren kann.
Der aktuell von Überproduktion und hohen Beständen geprägten Branche bietet sich sogar ein enormes Einsparpotenzial durch die Optimierung sogenannter Lean-Verluste. Jeder Teilnehmer der Wertschöpfungskette sollte dabei die folgenden vier Lean-Merkmale in seinem eigenen Bereich umsetzen:

  • Lean-Merkmal Störungsfreiheit
Ausschuss wird nicht akzeptiert. Alle Produktionsanlagen müssen in allen Schichten störungsfrei laufen. Fehler dürfen nicht reproduziert werden. Sie müssen sofort behoben werden und dürfen keinesfalls durch Bestände abgefedert werden.
 
  • Lean-Merkmal Fluss
Der Transport zwischen einzelnen Fertigungsstufen muss auf ein Mindestmaß reduziert werden. Die kleinstmögliche Weitergabe von Waren reduziert die Durchlaufzeit und steigert die Flexibilität.
 
  • Lean-Merkmal Rhythmus
Der Kunde gibt mit seiner Nachfrage den Takt für die Produktion vor. Es wird nur die Menge produziert, die wirklich benötigt wird.
 
  • Lean-Merkmal Sog (Pull)
An den verbleibenden Schnittstellen wird das Pull-Prinzip eingeführt. Die Fertigung steuert den Materialnachschub durch klar definierte, geringe Pufferbestände selbst.
 
Auf Kundenwünsche reagieren kleine Losgrößen zu produzieren, just-in-time zu liefern und flexibel auf Kundenwünsche einzugehen ist für viele Unternehmen eine große Herausforderung. Das Beispiel einer Großbäckerei im Nordosten Deutschlands zeigt, wie sich ein Unternehmen mit Hilfe von Lean Management wandeln und erfolgreich wirtschaften kann. 
 
Nach der Insolvenz im Jahr 2019 startete das Unternehmen mit schlanken Prozessen neu durch. In allen Filialen änderte die Kette das Sortiment je nach Jahreszeit. Neben Brot und Brötchen werden selbst hergestellte Kuchensorten angeboten. An Feiertagen und bei Großveranstaltungen wird das Angebot durch spezielle Produkte erweitert. Welche Produkte die einzelnen Filialen abrufen, richtet sich dabei nach den Wünschen der Kunden vor Ort. So ist es der Großbäckerei gelungen, die Sortimentsvielfalt, die Verfügbarkeit und die Planbarkeit zu verbessern. Sich an solchen Beispielen zu orientieren, kann insbesondere kleinen Unternehmen das nötige Vertrauen geben, um sich auf Veränderungen einzulassen. Aber auch externe Berater können helfen, eine neues Produktionssystem zu etablieren. Sogenannte Leuchtturmprojekte lassen sich schnell und kostenwirksam umsetzen.
 
Lebensmittel müssen bezahlbar bleiben
 
Seit Jahrzehnten schätzen Kunden die Qualität deutscher Produkte sowie die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Lebensmittelindustrie. Jetzt in der Krise ist der Zeitpunkt, sich den Herausforderungen zu stellen und für nachhaltige schlanke Prozesse zu sorgen, damit Lebensmittel „Made in Germany“ auch künftig für die Verbraucher in Deutschland und weltweit bezahlbar bleiben.
 
Mit dem Branchenpaper „Die Lebensmittelindustrie braucht einen Kurswechsel – Farm to Fork neu gedacht“, lädt Staufen Unternehmen im Food-Sektor ein, über den Tellerrand zu blicken. Der Download des Papers ist kostenlos:
 
 
 
 
 
 

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