31.01.2025 • PraxisberichteVDICITplusBING

Studierende der RWTH überzeugen im ChemPlant-Wettbewerb 2024 mit ihrem AixStrawdinary-Prozess

Buta-1,3-dien (BD) ist eine zentrale Industriechemikalie, die hauptsächlich zur Herstellung von synthetischem Kautschuk und Polymeren verwendet wird. Der konventionelle Produktionsprozess durch Cracken von fossilem Naphtha ist äußerst energieintensiv und verursacht hohe CO₂-Emissionen. Der innovative AixSTRAWdinary-Prozess bietet eine nachhaltige Alternative, indem er Getreidestroh als Rohstoff nutzt und CO₂-Emissionen erheblich reduziert. Der Prozess ist wirtschaftlich konkurrenzfähig und unterstützt lokale Landwirte durch die Verwertung von überschüssigem Stroh. Mit dieser Prozessentwicklung gewannen Studierende der RWTH Aachen den ChemPlant -Wettbewerb 2024 des VDI-GVC

Autoren: Karim Ben Hicham, Elvis Jonathan Sim, Christian Kuckelkorn, Christopher Kypke und Niklas Nickel, Studierende der RWTH Aachen

Gewinner des ChemPLant-Wettberwerbs stellen neuen Prozess zur nachhaltigen Butadien-Produktion vor

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© pixabay.com – catazul, – TheDigitalArtist

Buta-1,3-dien (BD) ist eine zentrale Industriechemikalie, die in der Herstellung von synthetischem Kautschuk und Polymeren verwendet wird. 95 % des Butadien wird konventionell durch das äußerst energieintensive Cracken von fossilem Naphtha produziert, welches mit erheblichen Umweltbelastungen einhergeht – insbesondere durch hohe CO2-Emissionen von 19,4 Mio. t pro Jahr.

Alternative Verfahren, wie z. B. die Produktion aus synthetischem Naphtha, weisen ebenfalls Einschränkungen auf: Sie sind entweder nicht nachhaltig, technisch schwer skalierbar oder wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig.

Der neu konzeptionierte AixStrawdinary-Prozess stellt eine innovative und nachhaltige Alternative dar und wurde großtechnisch auf eine Jahresproduktion von 50 kt ausgelegt. Er ebnet den Weg für eine wirtschaftliche Butadienproduktion auf Basis von Biomasse und nutzt einen chemokatalytischen Ansatz. Soweit den Preisträgern bekannt ist, handelt es sich hierbei um die erste Arbeit, die einen chemokatalytischen Produktionsweg von Biomasse zu Butadien vorschlägt.

Hidden Champion: Getreidestroh

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Mobilisierbares Strohpotenzial in Deutschland. Die schwarze Linie zeigt das Bezugsgebiet um den Anlagenstandort Bitter­feld-Wolfen an. Durch diese geschickte Wahl konnte die durchschnittliche Transportdistanz auf 60 km reduziert werden.

Anstelle fossiler Rohstoffe nutzt der AixStrawdinary-Prozess Getreidestroh, das seit mehreren Jahren als vielversprechende Biomassequelle gilt. Mit einem mobilisierbaren Potenzial von 4,2 Mio. t jährlich bietet Getreidestroh die größte Verfügbarkeit unter den Biomasseressourcen in Deutschland. Dennoch wird es aktuell in Deutschland nur unzureichend genutzt – im Gegensatz zu Dänemark, das mit einer etablierten Strohwirtschaft eine Vorreiterrolle einnimmt.

Die Beschaffung von Stroh gestaltet sich dabei einfacher als oft angenommen. Bereits ein Umkreis von rund 60 km um den Standort Bitterfeld-Wolfen reicht bspw. aus, um eine Butadien-Produktion von 50 kt/a zu ermöglichen, wie in der Abbildung dargestellt. Ein zentralisiertes Konzept bietet gleichzeitig den Vorteil einer bereits bestehenden industriellen Infrastruktur, die für den Prozess genutzt werden kann.

Die Nutzung von Stroh ermöglicht erheb­liche CO2-Einsparungen, da Kohlenstoff photosynthetisch gebunden ist. Im Gegensatz zu herkömmlichen Biomassen verursacht Stroh darüber hinaus keine Landnutzungsänderungen oder Konkurrenz zur Lebensmittel­industrie – im Gegenteil: Für lokale Landwirte kann der Verkauf von überschüssigem Stroh eine zusätzliche Einnahmequelle darstellen.

Der AixStrawdinary-Prozess

Der AixStrawdinary-Prozess basiert auf einer innovativen zweistufigen chemokatalytischen Synthese, die die direkte Umwandlung von lignozellulosehaltiger Biomasse in das Zwischenprodukt Ethanol und die anschließende Synthese zu Butadien umfasst. Das chemokatalytische Verfahren bietet einige Vorteile zu konventionellen Alternativen: Im Gegensatz zur Fermentation wird kein CO2 produziert, was mit einer höheren Produktivität und Atom­ökonomie einhergeht; Im Gegensatz zum Vergasungsverfahren wird nur ein Bruchteil der Energie benötigt und hohe Temperaturen vermieden. Der Prozess wurde rigoros in der Prozesssimulationssoftware Aspen Plus simuliert.

Stufe 1: Stroh zu Ethanol

Der AixStrawdinary-Prozess auf einen Blick

Das getrocknete und zerkleinerte Stroh wird zusammen mit Phosphorsäure und Wasser­stoff dem ersten Reaktor zugeführt. Ein neuartiger und innovativer Nickel-auf-Kohlenstoff-Katalysator in Nanopartikelform ermöglicht die selektive Hydrogenolyse der Lignozellulose zu Ethanol. Am Auslass des Reaktors sind neben Ethanol vor allem nicht umgesetzter Wasserstoff und Methan als gasförmige Komponenten sowie Phosphor­säure, Butanol und Rückstände des Lignins als flüssige Komponenten vorhanden. Die Rückführung der im Prozess anfallenden Komponenten Wasserstoff und Phosphorsäure sowie die energetische Nutzung von Methan und Lignin-Rückständen tragen zu einer Steigerung der Wirtschaftlichkeit des Verfahrens bei. Butanol und Kalziumhydrogenphosphat werden als wertvolle Nebenprodukte aufgereinigt und verkauft.

Stufe 2: Ethanol zu Butadien

In der zweiten Stufe wird Ethanol im Lebedev-Prozess zu Butadien umgewandelt. Das in den 1930er Jahren entwickelte Verfahren wurde allmählich von günstigeren Naphtha-Cracking-Prozessen vollständig ver­drängt und geriet in Vergessenheit. Im Aix­Strawdinary-Prozess erlebt es seine Renaissance. Das Verfahren arbeitet dank eines neuartigen nicht-Edelmetall Katalysators auch in Gegenwart von Wasser hocheffizient, wodurch auf eine aufwendige Trennung von Ethanol über den azeotropen Punkt hinaus verzichtet werden kann. Darüber hinaus ermöglicht es hohe Umsätze bei hohen Ethanol-Anteilen, wodurch sich die Verdichtung großer Mengen Inertgas erübrigt. Die Ausbeute an Butadien beträgt insgesamt 83,9 %, wobei die erforderliche Reinheit von 99,6 % durch Extraktion mit Acetylaceton sichergestellt wird. Das Hauptnebenprodukt Buten wird ebenfalls abgetrennt, aufgereinigt und verkauft.

Effiziente Wärmeintegration durch Großwärmepumpe

Die Optimierung der Energieeffizienz spielt eine zentrale Rolle in dem neu entwickelten Prozess. Ziel ist es, die vorhandene thermische Energie maximal zu nutzen, um sowohl die Betriebskosten als auch die CO2-Emissionen erheblich zu senken. Ein Schlüsselfaktor ist die Dampferzeugungseinheit, die Restlignin und Prozessabgase energetisch verwertet und somit sämtlichen Hochdruckdampf bereitstellt. Ergänzend wurde eine industrielle Wärmepumpe integriert, die die verbleibende Niedertemperaturwärme effizient nutzt und die Wärmerückgewinnung verbessert. Diese Maßnahmen ermöglichen den vollständigen Verzicht auf Prozesswärme und erlauben die Lieferung von Fernwärme an nahegelegene Städte über ein bestehendes Netz. Zusätzlich können 215 t Hochdruckdampf pro Stunde für benachbarte Anlagen am Standort bereitgestellt werden, was zu beträchtlichen wirtschaftlichen Vorteilen und CO2-Einsparungen führt.

CO2-negativ durch biogenen Kohlenstoff

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Aufschlüsselung der CO2-Emissionen und Beiträge zum Mindestverkaufspreis (MSP) des AixStrawdinary-Prozesses bezogen jeweils auf 1 t Butadien. Klar ist: Der AixStrawdinary-Prozess ist eine ökologisch und ökonomisch gangbare Alternative.
© © AixStrawdinary · ChemPlant-Team der RWTH Aachen

Eine Scope-3-Cradle-to-Gate-Kohlenstoffbilanz wurde erstellt und ist in der Abbildung  dargestellt. Die Hauptfaktoren für die Emissionen des Prozesses sind die energetische Verwertung von Lignin und Prozessabgasen sowie die Beschaffung von Grauwasserstoff für die Hydrogenolyse. Da das Stroh beim Wachstum CO2 aus der Atmosphäre entzogen und in Form von Biomasse gebunden hat, ist der Prozess insgesamt CO2-negativ mit einer Gesamtemission von -8,7 kgCO2/ kgBD – deutlich unter der konventionellen Synthese aus fossilem Naphtha mit 1,7 kgCO2/kgBD. Neben den ökologischen Vorteilen bietet der AixStraw­dinary-Prozess auch soziale Vorteile, indem er neue Arbeitsplätze in der Region schafft und lokale Landwirte durch die Verwertung von überschüssigem Stroh unterstützt.

Eine wirtschaftliche Alternative

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© AixStrawdinary · ChemPlant-Team der RWTH Aachen

Der vorgestellte Prozess erzielt einen Mindestverkaufspreis von 1,56 EUR/kgBD und ist damit günstiger als Prozesse auf Basis von synthetischem Naphtha, deren Mindestverkaufspreis bei etwa 1,77 EUR/kgBD liegt. Neben den Haupteinnahmen aus dem Verkauf des Hauptprodukts Butadien profitiert der Prozess zudem stark von der thermischen Verwertung der Ligninreste zur Erzeugung von Wärmeenergie für den Chemiepark und dem Verkauf von Nebenprodukten, die als Kraftstoffzusätze und Düngemittel verwendet werden können. Ein Verkaufspreis von 1,90 EUR/kgBD bei einem kalkulatorischen Zinssatz von 5 % ermöglicht eine Amortisation des Prozesses innerhalb von zehn Jahren. Durch den erwarteten zukünftigen Preisrückgang für Wasserstoff könnte sich die Preislücke zum konventionellen Naphtha-Cracking schließen, wodurch der AixStrawdinary-Prozess auch rein wirtschaftlich attraktiv werden würde.

Dank seines gut integrierten und innovativen Designs ist der Prozess sowohl aus ökologischer als auch aus ökonomischer Sicht ein vielversprechender Ansatz für die Zukunft der Butadien-Herstellung.

Danksagung

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Das RWTH-Siegerteam des ChemPlant-Wettbewerbs 2024: Niklas Nickel, Christian Kuckelkorn, Karim Ben Hicham, Christopher Kypke, Elvis Jonathan Sim (v.l.n.r.)
© AixStrawdinary · ChemPlant-Team der RWTH Aachen

Die Autoren danken Jannik Dohmen, Anna Taka und Tai Xuan Tan für ihre tatkräftige Unterstützung. Weiterhin danken wir Prof. Dr.-Ing. Andreas Jupke und Prof. Alexander Mitsos, Ph.D. für ihr Feedback und die Bereitstellung der nötigen Ressourcen.


ChemPlant-Wettbewerb

Beim ChemPlant-Wettbewerb sind theoretisches Wissen und praktisches Können in der Verfahrenstechnik gefragt. Ziel des Studierenden-Wettbewerbs ist der Ideen- und Wissensaustausch zwischen Unternehmen und Studierenden. Ein Konsortium aus Industrie- und Hochschulvertretern stellt jährlich eine konkrete Aufgabe.
Mögliche Themenfelder sind:

  • Digitalisierung und Industrie 4.0
  • Prozessplanung und Konzeptionierung neuer Anlagen
  • Nachhaltigkeit in der chemischen Industrie

Mit Kreativität und verfahrenstechnischem Denken gilt es für die Studierenden-Teams, einen innovativen Lösungsansatz zu finden. Dazu haben sie drei Monate Zeit.
Die Ergebnisse werden auf der großen Bühne eines internationalen Kongresses (2025 im Rahmen der Partec) präsentiert. Die drei besten Teams gewinnen Preisgelder im Gesamt­wert von 3.500 EUR. Zudem ­erhalten alle Teams den Zugang zu spannenden ­Unternehmen und deren Vertretern. On top bekommen die Teams Unterstützung und Zugang zu digitalen Simulationstools.

  • Anmeldeschluss zum Wettbewerb: 18.04.2025
  • Veröffentlichung der Aufgabe: 22.04.2025
  • Konzepteinreichung: 23.05.2025
  • Abgabe der Endergebnisse: 25.07.2025
  • Finale: Partec 23. – 25.09.2025

[email protected] · www.vdi.de/gvc

ChemCar-Wettbewerb

Beim VDI-Wettbewerb ChemCar gehen Modellfahrzeuge ins Rennen, die von (bio)-chemischen Reaktionen angetrieben werden.
Ziel ist es, eine erst kurz vor dem Start ausgeloste Distanz möglichst genau zu erreichen. Die Studierenden-Teams können mit ihrer innovativen Idee, aber auch mit einem überzeugenden Sicherheitskonzept und einer guten Präsentation beim Posterwettbewerb punkten. Die ersten drei Siegerteams können sich über Preisgelder freuen, die von hochrangigen Unternehmen der chemischen Industrie zur Verfügung gestellt werden.

Beim Rennen ist Präzision gefragt, da eine kurz vor dem Start ausgeloste Distanz möglichst genau gefahren werden muss. Dabei muss ein ebenfalls ausgelostes Zusatzgewicht von bis zu 30 % des Fahrzeug-Eigengewichts transportiert werden. Jedes Team hat zwei Versuche, von denen der Beste gewertet wird.

Ebenso wichtig wie das Rennergebnis sind innovative Antriebe und Sicherheitskonzepte sowie deren Präsentation beim Posterwettbewerb. Zum Wettbewerb werden maximal neun Teams durch die Jury nominiert.

  • Ende formlose Anmeldung: 06.04.2025 / 23:59 Uhr
  • Ende Konzepteinreichung: 13.04.2025
  • Konzeptberichte zurück: 27.04.2025
  • Einreichung Sicherheitskonzept: 08.06.2025
  • Einreichung der überarbeiteten Sicherheitskonzepte: 17.08.2025
  • ChemCar-Wettbewerb: 23. – 24.09.2025  

[email protected] · www.vdi.de/gvc

Anbieter

VDI-Gesellschaft Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen

VDI-Platz 1
40468 Düsseldorf
Deutschland

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