Die automatisierte Fabrik der Zukunft
Ein Gespräch über Herausforderungen und Grenzen über die Arbeit am Mehrwert für die Kunden bei immer kürzeren Innovationszyklen in einer immer globaleren Welt.
Jumo feiert 2023 sein 75. Jubiläum. Wir sprachen mit Bernhard Juchheim, dem Gesellschafter des Sensor- und Automatisierungsspezialisten, sowie Dimitrios Charisiadis und Steffen Hoßfeld, die als CEO und COO das Unternehmen operativ führen, über Erfolge, Herausforderungen, Ziele – und natürlich Nachhaltigkeit.
Herr Juchheim, 1985 übernahmen Sie die Geschäftsführung des von Ihrem Vater gegründeten Unternehmens. Über drei Jahrzehnte standen Sie nun an der Spitze eines Hightech-Unternehmens mit 75-jähriger Historie. Was war rückblickend Ihre größte Herausforderung, was Ihr größter Erfolg und wo sind Sie an Ihre Grenzen gestoßen?
Bernhard Juchheim: Die größte Herausforderung für einen Unternehmer ist es, das jeweils aktuelle Produkt- und Lösungsportfolio permanent auf den Prüfstand zu stellen und sich zu fragen, was der Kunde braucht. Wie können wir als Jumo einen Mehrwert für ihn schaffen? Der Markt und die Anforderungen können sich in dieser globalisierten Welt rasch ändern. Hier muss man immer wieder nachjustieren und dem Markt neue, innovative Produkte präsentieren – und auch neue Wege beschreiten: Momentan wandeln wir uns Schritt für Schritt von einem Komponentenhersteller zu einem System- und Lösungsanbieter. Als einen großen Erfolg in der Jumo-Geschichte sehe ich unsere Fokussierung und die ständige Verbesserung im Bereich der industriellen Temperaturfühler für Wärmezähler. Lohn der harten Arbeit ist, dass wir uns hier seit Jahren Weltmarktführer nennen dürfen. Aber auch Ihre Frage nach unternehmerischen Grenzen ist interessant. Wir haben vor Jahrzehnten als einer der ersten die Mikroprozesstechnologie in die Regler integriert. Die Einführung war aufgrund bestimmter physikalischer Einflüsse eine Herausforderung im Feld. Hier sind wir teilweise an unsere Grenzen gestoßen und haben dabei viele Erfahrungen sammeln können.
Gab es einen Tag, an dem Sie Ihre Entscheidung, die Geschäftsführung zu übernehmen, in Frage gestellt haben?
B. Juchheim: Nein, nicht einen einzigen Tag. Das unternehmerische Erbe meines Vaters Moritz Juchheim zu übernehmen, war für mich Verpflichtung und Ansporn zugleich. Die Wachstumsperspektiven für die Jumo-Unternehmensgruppe waren damals auf lange Sicht sehr gut. Technische und organisatorische Herausforderungen gab es in den 75 Jahren immer wieder, doch die Häufigkeit von Krisen in den vergangenen gut 15 Jahren, die unsere Geschäftsmodell und damit das Unternehmen gefährdeten, habe ich vor 2008 selten erlebt. Damals bekamen auch wir als bankenunabhängiges Unternehmen die volle Wucht der Finanzkrise zu spüren. Nach der Eurokrise kam Anfang 2020 die Coronakrise, mit der unsere Gesellschaft heute noch zu kämpfen hat. Dann begann Ende Februar 2022 der Ukraine-Krieg, der schwerwiegende Folgen nicht nur für die Menschen in der Ukraine hat, sondern auch weltweit zu großen Verwerfungen führt.
Nach über 37 Jahren im Geschäft: Was hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in der Geschäftswelt verändert?
B. Juchheim: Das Internet wurde 1990 in den USA für alle freigegeben, Google ging 1997 online. Das Internet und auch die Digitalisierung haben unser berufliches und privates Leben gravierend verändert. Als Unternehmer finde ich es natürlich spannend, die Entwicklung bei den Themen Industrie 4.0 beziehungsweise Fabrik der Zukunft zu beobachten. Hier hat die Wirtschaft in den zehn Jahren, als das Thema zum ersten Mal groß auf der Hannover Messe gespielt wurde, enorme Sprünge gemacht. Auch Jumo hat sich aktiv in diesen Prozess eingebracht und bietet entsprechende Lösungen, beispielsweise die Datenübertragung vom Sensor in die Cloud. Dass die beiden Megathemen Klimaschutz und Nachhaltigkeit bei vielen Unternehmen weltweit ganz oben auf der Agenda stehen, freut mich persönlich sehr. Jumo managt den ökologischen Fußabdruck schon seit Jahrzehnten so gut wie möglich. Wir haben lange vor den gesetzlichen Regelungen viele Prozesse implementiert und ständig verbessert, um nachhaltig zu produzieren und die Umwelt so wenig wie möglich zu belasten. Auf diese Vorreiterrolle sind wir stolz.
Sie und Ihr Sohn Michael Juchheim haben sich im Mai 2022 aus dem operativen Geschäft zurückgezogen, um sich auf die Gesellschafterrolle konzentrieren zu können. Übernommen haben die Position nun Dimitrios Charisiadis und Steffen Hoßfeld – und damit ist Jumo nicht mehr in Familienhand.
Bernhard Juchheim: Jumo ist und bleibt ein Familienunternehmen, alle Anteile am Unternehmen liegen in der Hand der Familie Juchheim. Mein Sohn Michael und ich können uns nun stärker auf Zukunftsthemen konzentrieren und diese vorantreiben. Das operative Geschäft liegt in den Händen der beiden Geschäftsführern, Dimitrios Charisiadis und Steffen Hoßfeld, die unser vollstes Vertrauen genießen und sich mit uns abstimmen.
Herr Charisiadis, Herr Hoßfeld, wo liegen die jeweiligen Schwerpunkte in Ihrer Funktion als Geschäftsführer?
Dimitrios Charisiadis: Als Chief Executive Officer bin ich auf globaler Ebene u. a. zuständig für den Vertrieb, das Produkt- und Branchenmanagement, das Marketing und die Entwicklung sowie das Personal. Generell ist unser Ziel, unsere Kunden mit unserem System- und Lösungsangebot noch erfolgreicher zu machen und damit unsere Geschäftsaktivitäten weiter auszubauen. Daher optimieren wir sowohl unser Angebotsspektrum als auch die Prozesse derzeit an vielen Stellen.
Steffen Hoßfeld: Als Chief Operation Officer verantworte ich u. a. die Bereiche Globale Produktion, Globale Finanzen und Globale IT. Wir durchlaufen gerade einen „Change-Prozess“ im Unternehmen, um noch nachhaltiger und effizienter zu wirtschaften, dem Kunden einen klaren Jumo-Nutzen zu liefern und gleichzeitig Erlöse und Ergebnisse zu steigern. Mit unserem neuen Werk vor den Toren Fuldas reagieren wir auf die Nachfrage in den Wachstumsmärkten. Da nehmen wir mit den veranschlagten rund 48 Mio. € sehr viel Geld in die Hand. Wir haben Ende 2013 das rund 100.000 m2 große Grundstück erworben. In der neuen Fertigungsstätte werden wir neben der Temperatursensorproduktion auch den kompletten Produktionsbereich für Druckmesstechnik sowie die dazugehörige Logistik unterbringen. So stellen wir uns für die Zukunft sicher auf.
Ein Unternehmen in Zeiten von Lieferengpässen und steigenden Rohstoffpreisen zu übernehmen, ist eine Herausforderung. Wie meistern Sie diese?
D. Charisiadis: Wir setzen auf eine hohe Verfügbarkeit von Komponenten, solange es noch wirtschaftlich ist. Das heißt: Verfügbarkeit geht vor Preis. Unser Einkauf hat langjährige Erfahrung, sodass wir frühzeitig auf Marktveränderungen reagieren können. Forecast und langfristige Bestellungen bis zwei Jahre haben zuletzt zunehmend an Bedeutung gewonnen.
S. Hoßfeld: Zudem lagern wir kritische Rohstoffe bzw. Komponenten gezielt ein. Wir nutzen intensiv unsere Netzwerke, wie den Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) oder informieren uns auf Messen über die neuesten Trends. Zudem stimmen wir uns regelmäßig mit unseren Lieferanten ab. Dabei sind uns ein globales Lieferantennetzwerk und langjährige Partnerschaften wichtig.