Die EU-Maschinenverordnung 2023/1230 – Auswirkungen für die Praxis
Die Einführung der neuen Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 löst die bisherige Maschinenrichtlinie 2006/42/EG ab und bringt Änderungen und Modernisierungen mit sich. Neben den gestiegenen Anforderungen an die Sicherheit und Funktionalität von Maschinen rückt auch das Thema Nachhaltigkeit in den Fokus. Besonders die neuen Recyclinganforderungen zielen darauf ab, den ökologischen Fußabdruck der Maschinenproduktion zu verringern und die Kreislaufwirtschaft zu fördern. Im Interview gibt Gregor Dietz, Marktmanager bei SEW-Eurodrive in Bruchsal, Einblicke in die praktischen Auswirkungen der Verordnung.
CITplus: Die neue Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 löst die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG ab. Lassen sich die wesentlichen Änderungen für Anwender in wenigen Sätzen zusammenfassen und worauf zielt die Verordnung ab?
Gregor Dietz: Zuerst die gute Nachricht: Es hat sich nicht viel geändert. Die Anhänge, auf die verwiesen wird, sind jetzt neu geordnet. Einige Anforderungen wurden präziser formuliert und die neue Verordnung an die digitale Welt angepasst. Die Digitalisierung hilft, Papierberge zu vermeiden. Auf der anderen Seite führt sie das Thema der sicherheitstechnischen Auswirkungen von Cyberangriffen in die Maschinensicherheit ein. Dabei wird eine Abgrenzung zum Cyber-Resilience-Act (CRA) vorgenommen und Doppelungen vermieden.
Die neue Maschinenverordnung ist ab dem 20.01.2027 anzuwenden. Doch einige Abschnitte sind bereits vorher in der Praxis zu berücksichtigen. Was bedeutet das für SEW-Eurodrive und Ihre Kunden in der Prozessindustrie?
Gregor Dietz: Die neue Verordnung enthält eine Stichtagsumstellung. Demnach müssen Maschinen, die am 19.01.2027 ausgeliefert werden, der bisherigen Maschinenrichtlinie (MR) genügen. Verzögert sich die Auslieferung beim Ausrüster nur um einen Tag und erfolgt erst am 20.01.2027, gilt die neue Maschinenverordnung (MV) – und die alte MR ist ungültig. Die Unterlieferanten werden dann aufgefordert sein, für beide Szenarien die Einbauerklärungen bereitzustellen. Für SEW-Eurodrive bedeuten diese Unwägbarkeiten, die Einbauerklärung zur neuen MV schon im Jahr 2026, also Monate vor dem Januar 2027, bereitzustellen. Denn wir haben keinerlei Einfluss auf die zeitliche Ausgestaltung der finalen Lieferungen bei unseren Kunden, den Ausrüstern. Neubau und Neubeschaffung von Maschinen und Anlagen in der Prozessindustrie sind Projekte, die schon mal eine längere Laufzeit haben und nicht exakt auf einen Stichtag hin geplant werden können. Die in Artikel 54 genannten Zeitpunkte, die vor dem Datum 20.01.2027 gültig werden, betreffen die Aufgaben und Obliegenheiten der Mitgliedstaaten zur Vorbereitung der Einführung der MV und die Reaktionen auf europäischer Ebene. Sie betreffen nicht die Hersteller und Ausrüster und deren Unterlieferanten.
Teil der Maschinenverordnung ist auch die Konformitätserklärung, die auch die das Einhalten der Ökodesign-Richtlinie verlangt. Im April hat das Europäische Parlament die EU-Verordnung für das Ökodesign für nachhaltige Produkte (ESPR) gebilligt. Sie löst damit die bisher gültige Ökodesign-Richtlinie ab. Welches sind die Aspekte, die mit der Verordnung reguliert werden sollen und wie sieht der Zeitrahmen für verschiedene Produktkategorien aus?
Gregor Dietz: Die Ökodesignverordnung für nachhaltige Produkte – ESPR – löst die bisherige Regulierung des Ökodesigns für energierelevante Produkte – ErP – aus dem Jahr 2009 ab. Am 13. Juni 2024 wurde die ESPR im Europäischen Amtsblatt veröffentlicht und trat 20 Tage später in Kraft, die Bestimmungen der ErP wurden zum 18. Juli 2024 aufgehoben. Ebenso wie die alte Regulierung hat diese neue Verordnung einen horizontalen Aspekt und gibt in übergeordneter Weise den Rahmen vor, der dann – in vertikaler Ausprägung zu den Produkten – in den delegierten Rechtsakten ergänzt wird.
Fünf wesentliche Aspekte der ESPR sind:
- die verpflichtende Einführung eines Digitalen Produktpasses (DPP) im Kapitel III – in den Artikeln 9 bis 12
- die Umstellung zu delegierten Rechtsakten zu den Produkten – Artikel 4
- die Ökodesignanforderungen der Kreislaufwirtschaft – Artikel 5
- die Regeln zum Umgang mit unverkauften Produkten im Kapitel VI
- die Aufgaben der Marktüberwachung im Kapitel XI
Der Zeitrahmen für die Produkte von SEW-Eurodrive, die in den Geltungsbereich der ESPR fallen, kann grob wie folgt formuliert werden:
- bis Ende 2025 Studie und Konsultationen zum delegierten Rechtsakt für Umrichter und Motoren bis Mitte 2026 Formulierung und Verabschiedung des delegierten Rechtsaktes für Umrichter und Motoren Anfang 2028 Ablauf der 18-monatigen Übergangsfrist
- Entscheidend für diesen Zeitplan sind die Einführungen und europäischen Harmonisierungen der entsprechenden Normen für den DPP und der Lastprofile für die Lebensdaueranalyse (LCA) zur Bestimmung des CO2-Fußabdrucks.
Für Anwender sollen Instrumente wie der Digitale Produktpass, ein Ökodesign-Label und ein Reparierbarkeits-Index eingeführt werden. Was ist darunter zu verstehen und inwieweit kann SEW-Eurodrive hier bereits Informationen über seine Produkte für Anwender liefern?
Gregor Dietz: Die EU will die Rechte der Verbraucher und deren Bedürfnisse stärken. Eine Unterscheidung zwischen Konsumgütern für den privaten Gebrauch – B2C – und Investitionen im industriellen Umfeld – B2B – wird in der horizontalen, grundsätzlichen ESPR nicht vorgenommen. Hier wird die Notwendigkeit der Unterscheidung durch die Verbände und Hersteller in den vertikalen delegierten Akten verstärkt und im Detail formuliert werden. Eine Produktlebensdauer von zwei bis drei Jahren im B2C-Bereich – T-Shirts, Elektronik, … – stehen Zyklen von 15 bis 20 Jahren an Einsatzzeiten – beispielsweise bei Motoren – diametral gegenüber. Der Vorgabe einer prozentualen Angabe von wieder zu nutzenden Material steht die dem Markt verfügbare Menge eines entsprechenden Stoffes in der erforderlichen Qualität für eine großtechnische Anwendung gegenüber. Da passt einiges noch nicht zusammen, aber der Weg ist richtig und wird von der Industrie unterstützt.
SEW-Eurodrive lebt bereits heute viele dieser Themen in der realen Umsetzung. Von der Neuwertreparatur zur Verlängerung des Lebenszyklus über die Ersatzteilverfügbarkeit bis zu zehn Jahre nach Ende des Neuverkaufs, einem QR-Produktlabel zur digitalen Bereitstellung von Unterlagen und Dokumenten zum gekauften Antrieb – diese Mechanismen der ESPR sind bei uns schon heute gelebte Praxis. Sicherlich können wir nicht erwarten, dass die EU die SEW-Welt 1:1 abbilden wird und dass keine Anpassungen erforderlich sein werden. Aber weit von der gelebten Praxis sollten die gesetzliche Vorgaben nicht entfernt sein, denn diese haben sich bereits im Markt und in der Anwendung bei Kunden und Betreibern bewährt.
Wie wird der digitale Produktpass bei SEW-Eurodrive umgesetzt und gibt es dafür Standards, die es Anwendern erlaubt, alle Maschinendaten herstellerübergreifend zu verwalten und im Produktlebenszyklus anzupassen?
Gregor Dietz: Die Neutralität ist ein Ziel, aktuell werden dazu aber erst die Normen und Standards geschrieben. Diese werden zwei Hauptaspekte abdecken: Zum einen das System des digitalen Produktpasses, der die rein technischen Aspekte berücksichtigen wird. Zum anderen die inhaltlichen Strukturen, die die Austauschbarkeit und Kompatibilität sicherstellen sollen. Hier beteiligt sich SEW-Eurodrive intensiv am Entstehungsprozess der Normen. SEW legt einen hohen Wert auf der Fortführung der Erfahrungen und Kenntnisse aus der Einführung der industriellen Revolution 4.0. Die Verwaltungsschale der I4.0 ist ein exzellentes Element, um die nötige Austauschbarkeit innerhalb der Herstellerprodukte für die Ausrüster und Nutzer zu erzielen. Hier gilt es Gutes zu bewahren und die neuen Anforderungen zu integrieren. Mit anderen Worten: Der DPP 4.0 ist ein Logbuch, das von uns als Hersteller mit Primärangaben befüllt und dann vom Ausrüster mit Maschinen- und Anlagendaten ergänzt wird. Der Betreiber erhält dann das Logbuch. Er entscheidet, wo und auf welchem Server das Logbuch gespeichert wird. Die Zugriffsrechte müssen dabei gemäß DGSVO und CRA festgelegt werden.
Was bedeutet Reparierbarkeitsindex und wie soll das für Hersteller und Anwender in der Praxis umgesetzt werden?
Gregor Dietz: Lange Produktlebensdauern sind das Ziel, um Materialressourcen zu schonen. Inspektion und Wartung verlängern die Lebensdauer. Dafür muss das Produkt konstruiert sein. Ebenfalls auf Basis einer europäischen Norm wurde ein Bewertungsschlüssel erarbeitet, der neben der Einstufung der benötigen Werkzeuge auch die Voraussetzungen und Kenntnisse berücksichtigt. Notwendige Qualifizierungen werden ebenso berücksichtigt wie Sicherheitsvoraussetzungen, zum Beispiel Kenntnisse im Umgang mit elektrischen Gefährdungen. Schlussendlich ergibt sich eine Zahl zwischen 0 und 1. Ob und wie ein Mindestwert zur Bedingung für die Kaufentscheidung wird, bleibt zunächst den Marktkräften überlassen. Dass es ein Steuerungselement seitens der EU sein soll, ist bekannt. Ob es in Zukunft ein Verkaufsverbot für Produkte mit sehr kleinen Zahlen geben wird, ist nicht unwahrscheinlich.
Welche Rolle spielen Händler und Recycler in dem Produktlebenszyklus?
Gregor Dietz: Diese beiden Marktteilnehmer wurden bisher vom europäischen Gesetzgeber nicht ursächlich betrachtet. Das ändert sich mit den neuen Gesetzen. Händler werden in Zukunft wie der Hersteller zur Verantwortung gezogen, falls sie das Produkt in alleiniger Verantwortung oder im Auftrag des Herstellers auf einem lokalen Markt bereitstellen. Recycler werden in Europa künftig eine wichtigere Rolle spielen. Die stoffliche Verwertung soll Vorrang vor der Deponierung haben. Die Vorgabe einer zu erzielenden stofflichen Verwertungsquote kann nur durch die Erfassung der Stoffmengen richtig gesteuert werden. Die Kreisläufe vor der stofflichen Verwertung liegen jedoch in der Hand der Hersteller und eröffnen neue Möglichkeiten und Geschäftsfelder.
Für welche Zeiträume und welche Zustände einer Maschine ist die Reparierbarkeit gefordert?
Gregor Dietz: Hier verlangt die EU fast Unmögliches von uns Herstellern. Bisher stand neben der Verfügbarkeit auch die Wirtschaftlichkeit der Ersatzteilproduktion im Focus. Jetzt verschiebt sich die Gewichtung in Richtung Verfügbarkeit und Bereitstellung. Wenn wir innerhalb von 15 Arbeitstagen die Ersatzteile dem Kunden zur Verfügung stellen müssen, lässt sich das oft nur durch erhöhte Vorproduktion und Einlagerung der Teile realisieren. Diese Lagerhaltung wird sich im Preis niederschlagen müssen. Die angedachte Zeitspanne, für die die EU das fordert, liegt mit sieben Jahren nach dem letzten Neuverkauf aktuell etwas unter dem, was SEW-Eurodrive schon seit Jahren freiwillig praktiziert.
Betrifft der Index nur eine gesamte Maschine oder auch einzelne Komponenten? Wie wird das mit Zulieferern geregelt werden und wie stellt sich das für den Anwender dar?
Gregor Dietz: Sichtbar ist der Reparaturindex in der EU nur auf Komponentenebene, weil derzeit als Vorgabe nur die Möglichkeit besteht, dies über den delegierten Rechtsakt zur Richtlinie umzusetzen. Delegierte Rechtsakte sind immer produktbezogenen und damit auf Komponentenebene wirksam. Bis sich die EU auch auf Vorgaben für die höherwertigen und komplexeren Maschinen und Anlagen verständigt, werden die Erfahrungen auf Komponentenebene und deren Auswertung abgewartet.
Gibt es ähnliche Anforderungen auch international und wie kann ein global agierendes Unternehmen wie SEW damit umgehen?
Gregor Dietz: Wir wünschen uns oft, dass solche tiefgreifenden Vorgaben und Bedingungen nicht zu sehr auf lokaler Ebene eingeführt werden. Glücklicherweise haben wir mit dem harmonisierten europäischen Markt schon viel erreicht. Aber es ist zu erwarten, dass andere große Märkte wie die USA oder China hier folgen werden. Leider lehrt die Erfahrung, dass dann nie eine 1:1-Kopie der EU-Gesetze kommt. Es wird immer die eine oder andere regionale Ergänzung geben, auf die sich die Hersteller einstellen müssen. SEW-Eurodrive hat den Vorteil, diese Märkte mit eigenem Personal frühzeitig zu kennen und sich mit einem zeitlichen Vorsprung darauf einstellen zu können.