Multiphysikmodellierung in der Biopharmaindustrie
Ein führendes multinationales biopharmazeutisches Unternehmen, nutzt multiphysikalische Simulations-Apps um Prozesse zu rationalisieren, Arbeitsabläufe zu verbessern und die Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln zu gewährleisten.
Am Beispiel von Trocknungsprozessen, die zu einem Engpass in der Herstellung einer Arzneimittelsubstanz hätten werden können, wird dargestellt, wie sich mithilfe der Simulations-App die Trocknungsvorgänge optimieren ließen.
Um die unterschiedlichen Modalitäten, Funktionen und Kommerzialisierungsstadien von Arzneimitteln bewältigen zu können, müssen die verschiedenen Modellierungs- und Simulationswerkzeuge in der biopharmazeutischen Industrie eine große Bandbreite mit ausreichender Tiefe bieten. Amgen, ein internationales biopharmazeutisches Unternehmen, nutzt die Multiphysik-Simulation als Werkzeug, um die Wirksamkeit und Sicherheit von Medikamenten zu gewährleisten.
Prozessmodellierung ist wichtiger als Produktmodellierung
Hinter jedem Produkt des Pharmakonzerns steckt eine Vielzahl von Prozessen, wobei der Hersteller ein vielfältiges Portfolio von Prozessmodellen einsetzt, um die Workflows zu verbessern.
In einer Branche wie der Biopharmaindustrie, in der die Prozessmodellierung wichtiger ist als die Produktmodellierung, ist ein solches Portfolio von entscheidender Bedeutung. Pablo Rolandi, Leiter der Prozessentwicklung bei Amgen, hat den Einsatz der Comsol Multiphysics-Software als Plattform-Modellierungstool für seine Mitarbeiter betreut. „Comsol ist eine ausgereifte Plattform mit modernen Designprinzipien“, erklärt Rolandi. „Mit einer schlanken und einfach zu bedienenden Oberfläche und GUI und sowohl Single- als auch Multiphysik-Fähigkeiten können wir eine große Vielfalt an Tools entwickeln.“ Da verschiedene Probleme in der Entwicklungsphase auftreten, wenden sich Rolandi und sein Team der Multiphysik als Lösung zu.
Produktionsengpässe beim Trocknen beseitigen
In vielen Fällen werden diese Lösungen auch von der Entwicklung von Simulations-Apps begleitet, die direkt aus dem Modell über den Application Builder erstellt werden können. Durch den Umgang mit einer spezialisierten Benutzeroberfläche kann der Anwender von den Erkenntnissen der Simulationsergebnisse profitieren, auch wenn er kein Experte in der Modellierung ist. In den letzten 18 Monaten haben die Experten App-Pakete entwickelt, die rationalisiert, kommunizierbar und einfach zu implementieren sind, um Unternehmensfunktionen in der Prozessentwicklung, im Betrieb und in der Forschung und Entwicklung zu unterstützen.
Die Optimierung eines Trocknungsprozesses dient als erstes Beispiel, bei welchem das Team von Rolandi eine maßgeschneiderte App zur Lösung eines Problems im Produktionsworkflow entwickelt hat. Im Mittelpunkt dieses Falles stand die Verlagerung des Herstellungsprozesses einer niedermolekularen Arzneimittelsubstanz von einer Contract Manufacturing Organization (CMO) in das Werk von Amgen in Singapur. Mittendrin wurden die Trocknungsvorgänge, die von einem Rührfiltertrockner (RFT) in einem ähnlichen Prozess wie in der Abbildung durchgeführt wurden, als mögliche Engpässe in der Produktionsanlage identifiziert. Natürlich kann ein Engpass ein erhebliches Risiko für die Befriedigung der Produktnachfrage darstellen.
Rolandi und sein Team begannen, die Trocknungsprozesse zu modellieren und den Prozess zu rationalisieren. Da die CMO für die ersten drei Prozessschritte einen anderen Trocknertyp verwendete, fehlten ausreichende Charakterisierungsdaten aus diesen Isolationen, um sie genau zu modellieren und die Auswirkungen wechselnder Betriebsbedingungen zu identifizieren.
Zu den bekannten Eigenschaften des Systems gehörten Materialeigenschaften, geometrische Eigenschaften des Equipments und Betriebsbedingungen, einschließlich Feuchtigkeitsgehalt, Temperatur, Druck und ob Rühren beteiligt ist. Rolandi musste jedoch noch zwei kritische Faktoren bestimmen: die Verdampfungsrate und die Diffusionskoeffizienten der neuen RFT. Dazu wurde eine umfangreiche Datenerfassung durchgeführt und mittels Multiphysiksimulation die regressiven Parameter zur Charakterisierung des Modells manuell abgeschätzt.
Danach wurde eine Simulations-App erstellt, die die Trocknungszeiten berechnet und den Prozessingenieuren in der entscheidenden Phase zur Verfügung gestellt. So hatte der Endanwender die Möglichkeit, die Auswirkungen veränderter Betriebsbedingungen zu visualisieren. Schließlich wurde festgestellt, dass die Kombination von Rühren mit einer Heizplatte die Trocknungszeit verkürzt und somit der Engpass gemildert und die Effizienz gesteigert werden konnte.
Einhaltung aller Sterilisationsstandards
In einer anderen Situation stieß eines der Produktionsteams von Amgen auf ein Problem mit der Sterilisation. Chemisch-pharmazeutische Produkte werden in sogenannten Primärbehältern transportiert. Da Bakterien in Arzneimitteln ein enormes Gesundheitsrisiko darstellen können, müssen diese Transportfläschchen nach einem bestimmten Standard sterilisiert werden, um als neuwertige Behälter eingestuft zu werden. Das Standard-Sterilisationsprotokoll, das die Diffusion von Ethylenoxid als Haupttransportmechanismus beinhaltet, erfüllte jedoch nicht die Anforderungen an einen neuartigen Behälter.
Natürlich musste der Sterilisationsprozess optimiert werden, aber statt aufwendige Experimente und kostspielige Trial-and-Error-Iterationen durchzuführen, nutzten Rolandi und sein Team eine Simulation, um die Diffusion des Ethylenoxids durch die Fläschchen zu modellieren. Die App enthielt Optionen zur Auswahl der Permeations- und Kontaminationsgrenzen, der Eingangslöslichkeits- und Diffusionskonstanten und zur Erzeugung zeitabhängiger Konzentrationsprofile des Ethylenoxids. Die Verfahrenstechniker konnten dann mithilfe der Apps feststellen, ob die Konzentration ausreichend war, um eine sichere Sterilisation zu gewährleisten. Dadurch wurde die Zeit für Experimente reduziert und das Programm um einige Monate beschleunigt.
Jenseits der Simulation
„Über die Simulation hinaus lässt sich die Technik in weiteren Anwendungen einsetzen“, sagt Rolandi. „Ich denke, das ist eine strategische Herausforderung und wir fangen gerade erst an.“ Eines seiner Ziele ist es, Unsicherheiten in ihre Modelle zu integrieren. In der Praxis sind die Parameter selten exakt und die Betriebsbedingungen variabel. Die Integration dieser Variationen in die Simulationen kann zu vorausschauenden Ergebnissen führen, die im Kontext besser verstanden werden können.
Rolandi und sein Team arbeiten z. B. an einem Autoinjektor, einem Gerät, das einem Patienten Medikamente injiziert, ohne dass ein Arzt sie verabreichen muss. Ein kritischer Aspekt der Injektionen ist der Zeitpunkt der Verabreichung, der sehr genau kontrolliert werden muss, damit das verabreichte Medikament seine Wirkung entfalten kann. Das Problem ist, dass die Abgabedauer von einer Reihe von Faktoren abhängt, die alle unterschiedliche Unsicherheiten aufweisen, darunter die Behältergeometrie, die Viskosität und das Volumen des Medikaments, die Federkonstanten des Injektors und die Reibungskonstanten des Kolbens.
Wenn die Unbestimmtheit dieser Faktoren nicht berücksichtigt wird, hat eine simulierte Abgabezeit eine unbekannte Varianz und gibt somit keine Auskunft über ihr Potenzial, genau gesteuert zu werden. In der Prozessmodellierung ist es von unschätzbarem Wert, eine Wahrscheinlichkeitsverteilung der erwarteten Ergebnisse zu erstellen, um das Verhalten des Systems besser zu verstehen.
Um besser zu verstehen, wie sich die Unsicherheit dieser Parameter fortpflanzt, nutzten die Experten die Multiphysiksimulation. Damit lässt sich eine globale Sensitivitätsanalyse des Systems durchführen und der Effekt der Faktorvariabilität streng quantifizieren. Die Analyse ermittelt für jeden Parameter einen Sensitivitätsindex, der eine teilweise Zuschreibung der Varianz als Reaktion auf diesen Parameter darstellt.
Parameter der Varianz identifizieren
Sie fanden heraus, dass die Viskosität des Produktes, die Federkonstanten und die Nadelgeometrie 90 % der Varianz in der Einspritzzeit ausmachten, wodurch sie ihr Modell stark vereinfachen konnten. Da nur wenige Parameter signifikante Auswirkungen auf die Injektionszeit haben, ist es für sie viel einfacher, Unsicherheit und Risiko durch robuste Spezifikationen an die Komponentenlieferanten zu managen. Ähnlich wie bei den anderen Lösungen wurde das Einspritzzeitmodell in eine benutzerfreundliche und einfach zu bedienende Simulations-App überführt. Die App bietet benutzerdefinierte Eingaben, führt eine Unsicherheits- und Empfindlichkeitsanalyse durch, schreibt einen automatisierten Bericht und zeigt die Modelldokumentation an. Die App hat dazu beigetragen, Kosten einzusparen und die Geschwindigkeit zu steigern sowie ein effektiveres Management der Unsicherheit während des gesamten Prozesses ermöglicht.
App-Bereitstellung
Der Anwender nutzt auch eine lokale Installation des Comsol Servers, um die Zugänglichkeit für seine Mitarbeiter zu erhöhen. „Wir haben eine Reihe von Anwendungen, die wir unbedingt jedem bei Amgen zur Verfügung stellen wollen“, sagt Rolandi. „Im Moment gibt es etwa ein Dutzend Apps, welche heute in der gesamten Organisation in einer Weise genutzt werden, auf die ich sehr stolz bin, und Comsol hat uns dies ermöglicht.“ Mit der Plattform ist die App-Bereitstellung trivial und die Lifecycle-Verwaltung kann effektiver gestaltet werden. Die Benutzer können sich einfach über einen Webbrowser einloggen, um auf die vom Rolandi-Team entwickelte Anwendungsbibliothek zuzugreifen. Sie haben auch vor, die Komplexität ihres Systems zu erhöhen, indem sie sich von der manuellen Eingabe verabschieden und Comsol-Modelle als Berechnungskerne betrachten. Diese können mithilfe fortschrittlicher Algorithmen in einer Reihe von aussagekräftigen, modellbasierten Studien wiederverwendet werden. Das ist ein wichtiger Schritt bei der Implementierung einer Modellierung auf Unternehmensebene, die einem großen Nutzerkreis und vielen Akteuren echten Mehrwert bietet.
Autor: Zack Conrad, Comsol