ProcessNet-Jahrestagung und Dechema-Jahrestagung der Biotechnologen im Cyberspace
Digitalisierung und Industrie 4.0 zählen zu den großen Themen für Biotechnologie und chemische Verfahrenstechnik. Auch das wichtigste Treffen der beiden Disziplinen wird nun digitalisiert.
Natürlich liegt die Ursache der Entscheidung für eine virtuelle Tagung in der aktuellen Covid-Situation. Zwar wären Vorträge auch vor Ort in Aachen denkbar gewesen, aber „ein großer Reiz der Jahrestagungen liegt in der Gelegenheit zur Diskussion, ob an den Postern oder in den Kaffeepausen“, sagt Andreas Förster, Geschäftsleiter von ProcessNet. Eine Posterparty wie in den Vorjahren oder eine dichtgedrängte Kaffeepause in der Ausstellung sind mit Abstandsregeln nicht vereinbar – die Jahrestagungen wären ein Schatten ihrer selbst gewesen. Deshalb fiel schon im Frühjahr die Entscheidung, die Jahrestagungen virtuell durchzuführen.
Vorteile des virtuellen Formats nutzen
Sofort war aber auch klar: Es kann nicht darum gehen, das geplante Vortragsprogramm 1:1 zu streamen, nur eben ohne das „Drumherum“ – wenn schon virtuell, dann sollen auch die Vorteile und Möglichkeiten einer Online-Veranstaltung genutzt werden. Daraus ist ein Gesamtpaket entstanden, das mit einer einfachen Zoom-Konferenz wenig gemein hat: In den virtuellen Räumen, die dem Eurogress in Aachen nachempfunden sind, finden Vortragssessions, die Posterausstellung, eine Firmenausstellung und auch gesellige Elemente ihren Platz.
Entsprechend wurde das Programm neu konzipiert: Vom 21. bis zum 23. September laufen parallele Sessions in drei virtuellen Räumen. Diese Sessions umfassen aber nicht nur Vorträge, sondern auch Interviewformate und Diskussionsrunden. „Gemeinsam mit den Autoren haben wir überlegt, wie wir die Sessions so lebendig und interaktiv wie möglich machen können“, erläutert Kathrin Rübberdt, Leiterin der Abteilung Biotechnologie. Daraus ist ein abwechslungsreiches Programm entstanden, das die wissenschaftlichen Inhalte auf lebendige Weise transportiert.
Großes Themenspektrum
Trotz der Beschränkung auf drei parallele Sessions, zwischen denen die Teilnehmer jederzeit wechseln können, ist das Themenspektrum der Jahrestagungen groß:
- Der Komplex „Digitalisierung in der Prozessindustrie“ beschäftigt sich mit „Plug & Research“ im Labor ebenso wie mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Prozessindustrie. Die Podiumsdiskussion am 22. September stellt in diesem Zusammenhang die provokante Frage „Digitalisierung – Pilotieren wir uns zu Tode? Der Wert des Teilens von Informationen“.
- Die Session „Energie- und Rohstoffwende“ nimmt die Circular Economy in den Blick und greift eine Reihe interdisziplinärer Themen, etwa die Abtrennung von Mikroplastik aus Abwasser, ebenso auf wie neue Elektrolyseverfahren.
- Eine Diskussionsrunde zum Thema „Digitalisierung in der industriellen Biotechnologie“ eröffnet das Programm zur Pharmaverfahrenstechnik, das sich im Weiteren u. a. mit Produktdesign befasst.
- Der Themenstrang „Fluidverfahrenstechnik“ greift die „Separation Units 4.0“ auf und deckt mit einzelnen Vorträgen die gesamte Bandbreite von Stofftransport, Extraktion und Mischungen ab.
- „Bildung für die Zukunft“ setzt sich unter anderem mit digitalisierten Anlagen und dem Spannungsfeld zwischen „klassischen“ Organisationen und agilem Management auseinander. Außerdem geht es um digitale Unterrichtsmöglichkeiten in Bildung und Weiterbildung und die Chancen, die sich daraus für Kooperationen ergeben.
- Die Nutzung von C1-Molekülen – sei es elektrobiotechnologisch oder fermentativ – ist ein Themenstrang bei der Biotechnologie. Dazu kommen Sessions zu Algen und eine Interview- und Diskussionsrunde zu den Potenzialen von Pilzen in der Biotechnologie unter dem Stichwort „Mind the fungi“.
- Die Reaktionstechniker stellen aktuelle Trends ihres Fachgebiets in einer Diskussionsrunde vor, und eine eigene Session widmet sich neuen Materialien und ihren Herstellungsmethoden.
- Die Experten für Anlagensicherheit beleuchten die Herausforderungen, die sich durch die Digitalisierung und Modularisierung ergeben.
So vielfältig die Themen, so deutlich sind doch an vielen Stellen die Querbeziehungen zwischen den verschiedenen Fragestellungen – alle unter dem gemeinsamen Motto „Processes for Future“: Wie können chemische Verfahrenstechnik mit innovativen und sicheren Prozessen dazu beitragen, Produktion, Mobilität und Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs nachhaltiger zu gestalten? Diesen Fragen widmen sich auch die hochkarätigen Plenarvorträge, die die einzelnen Veranstaltungstage eröffnen. Die bekannte Meeresbiologin Antje Boetius, Alfred-Wegener-Institut, lenkt den Blick auf die Ozeane und ihre Rolle für das Klima. Teresa Rodó, Merck, spricht über kontinuierliche Produktion von Biologika, und Oscar-Werner Reif, Sartorius Stedim Biotech, stellt den Einfluss von „advanced data analytics“ auf die Entwicklung und Herstellung von Biopharmazeutika vor.
Poster im Rampenlicht
Eine der wichtigsten Fragen in der Vorbereitung der Tagungen war: Wie können wir den Postern, die bei den Live-Veranstaltungen eine herausragende Rolle spielen, Raum geben? Den haben sie nun bekommen: Die virtuelle Posterausstellung mit rund 300 Postern ist an allen Tagen jederzeit zugänglich. Der letzte Veranstaltungstag (24. September 2020) ist ganz den Postern gewidmet. In kleinen Diskussionsrunden, zu denen jeder dazustoßen kann, können die Autoren ihre Poster live und online vorstellen, Fragen beantworten und Inhalte diskutieren.
Auch die Firmenausstellung hat im Cyberspace ihren Platz. Rund 20 Aussteller, Firmen und Organisationen erwarten die Besucherinnen und Besucher an ihren Ständen und halten dort nicht nur Informationsmaterial bereit, sondern stehen auch für Gespräche zur Verfügung – und statt Popcorn erwartet die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sicher das eine oder andere digitale „Schmankerl“.
Studierende und Doktoranden kommen ebenfalls auf ihre Kosten: Mit Führungen an den Ständen und einem eigenen Programm, das wertvolle Tipps für Berufseinstieg und Karriere bereithält. Beim ChemPlant-Wettbewerb zeigt der Nachwuchs, welche Lösungen er für „Processes for Future“ entwickelt hat.
Und am Abend: Weinprobe
Einiges Kopfzerbrechen bereitete die Frage nach dem geselligen Programm: Jahrestagungen ohne Auftaktabend und ohne Konferenzdinner? Mit Unterstützung der BASF wurde auch dieses Problem gelöst: Eine virtuelle Weinprobe bietet die Möglichkeit, bei einem (oder mehreren) guten Tropfen zu erfahren, welche Verbindungen zwischen Wein und „Processes for Future“ bestehen, und sein Wissen über Wein zu testen. Der Wein kommt per Post, der Sommelier per Bildschirm – und der Spaß hoffentlich ganz von selbst!
Die Autorin
Dr. Kathrin Rübberdt, Dechema