Prozessanalysentechnik unterstützt durch zustandsbasierte Instandhaltung

Mit den wachsenden Anforderungen an Anlageneffizienz und Produktqualität hat auch die Nachfrage nach Prozessanalysentechnik (PAT) zugenommen. Sie bietet Fenster in den Prozess. Martin Gerlach, Head of Process Analytical Technologies bei Bayer und Mitglied des erweiterten Vorstands des Arbeitskreis PAT, bietet im Interview mit CITplus einen Überblick über die Möglichkeiten und Nuzten von PAT, um den Anforderungen gerecht zu werden.

©MATTHIAS  BUEHNER - stock.adobe.com
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Die Anlagenverfügbarkeit und das Vermeiden ungeplanter Stillstände spielen für den optimalen Anlagenbetrieb eine bedeutende Rolle. Um dieses Ziel zu erreichen, können Mess- und Analysengeräte mehr als Messergebnisse über Konzentration, Druck oder Temperatur liefern. Über eine digitale Anbindung – in Zukunft über APL-Technologie – der Messstellen lassen sich Zustandsdaten der Geräte, der Anlagen und Prozesse auslesen. Die Interpretation der Daten ermöglicht eine zustandsbasierte Instandhaltung, die erhebliches Kosteneinsparpotenzial bietet. Zudem unterstützt sie Unternehmen vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangel, die Anlagen optimal zu betreiben.

CITplus: Sehr geehrter Herr Gerlach, welches sind die wesentlichen Argumente, um in Prozessanalysentechnik zu investieren? Würden Sie sagen, Anforderungen an Effizienz und Nachhaltigkeit forcieren den Bedarf für PAT?

Martin Gerlach: Tatsächlich nimmt die Anzahl der PAT-Messungen in den letzten 20 Jahren permanent zu. Mit neuen Technologien wurden vorher nicht lösbare Messaufgaben lösbar. Auch das Verständnis für den Nutzen ist deutlich gestiegen bei Betriebsleitern und bei Betriebsingenieuren. Hinzu kommt der Druck, Produktionskosten zu senken und darüber die Effizienz zu steigern sowie durch verbessertes Monitoring sowie Regelungen die Prozesse besser führen zu können. Denn mit PAT kann es möglich sein, mit weniger Aufwand zum gleichen oder sogar besseren Ergebnissen zu gelangen. Im Bereich der Anlagenperipherie fußt der Hauptnutzen auf Aspekten wie Überwachung von Abwasser und Abluft sowie Sicherstellung der Arbeitssicherheit, Anlagensicherheit und des Explosionsschutzes. Für diese Bereiche sind Messaufgaben gesetzlich reguliert und damit Grundlage für die Betriebserlaubnis unserer Anlagen.

Für die Prozessoptimierung kommt natürlich sehr viel Messtechnik zum Einsatz. Wir untersuchen die Rohmaterialien hinsichtlich ihrer Spezifikation sowie die Mengen und Verhältnisse, die in die Prozessreaktionen eingehen. Letztendlich geht es darum, Ausbeuten zu erhöhen und das mit möglichst wenig Energieeinsatz. Es macht häufig Sinn, Laboranalytik durch PAT zu ersetzten, da diese Messungen höhere Datendichten liefern. Die Ergebnisse geben Auskunft über den Zustand des Prozesses und darauf aufbauend kann der Grad der Automatisierung erhöht werden.

Zur Nachhaltigkeit tragen im Grunde alle unsere 5.000 globalen Messungen bei Bayer bei. PAT-Messungen tragen dazu bei, den Energieverbrauch zu senken, die Qualität des Abwassers und unserer Abluft zu überwachen damit unsere CO2-Emissionen zu senken und unsere Umwelt zu schützen. Darüber hinaus tragen PAT-Messungen dazu bei, die Sicherheit von Anlagen zu verbessern und Gesundheit und das Leben von Menschen zu schützen. All dies sind Beiträge zur Nachhaltigkeit unserer Prozesse. Doch vorab stellt sich immer die Frage: Woher kommt der Bedarf für einen Messwert und was ist die Messaufgabe, die dahinter steht? Zusätzlich muss man auch die Art der Messung permanent in Frage stellen. Es kommt vor, dass eine  alte Messaufgabe heute nach 20 Jahren heute mit einem Fünftel des Aufwandes und der Kosten mit neuen Technologien lösbar ist. Es ist wichtig ein Bewusstsein für die Messaufgaben zu schaffen, wie bekomme ich die Information, um meine Anlage, meinen Prozess möglichst effizient zu fahren und das mit guter Produktqualität und bei möglichst hohem Durchsatz und Ausbeute? Der globale Wettbewerb ist hier einer der wesentlichen Treiber.

Greenfieldanlagen lassen sich bereits in der Planung sehr gut mit PAT ausstatten. Welche hauptsächlichen Hindernisse bei Bestandsanlagen könne wie überwunden werden, um Anlagen mit mehr Prozessanalytik auszustatten?

M. Gerlach: Ja sicher, bei Neuanlagen wird das Konzept und die Instrumentierung systematisch geplant. Auch bei neuen Teilanlagen und Erweiterungen wird in Messtechnik von vornherein investiert. Bestandsanlagen sind bei uns in der Regel bereits gut instrumentiert, aber natürlich können neue Messaufgaben oder Technologien eine Neuinstallation erfordern. Aktuell erfordert die Optimierung des Energie- bzw. Dampfbedarfs angesichts der hohen Energiepreise zunehmend mehr Messtechnik, was zu Kosteneinsparungen führen wird. Was dabei aber auch nicht außer Acht gelassen werden darf, ist, dass mehr automatisierte Messtechnik auch weniger Personalbedarf bedeuten kann. Das kann dann für den Betriebsingenieur oder den Betriebsleiter eine schwierige Aufgabe sein, zu überzeugen, warum eine neue Messung Sinn macht. Es ist wichtig, die Mitarbeiter mitzunehmen. Mehr Messtechnik bedeutet neben Kosteneinsparungen auch Entlastung und mehr Zeit für andere Tätigkeiten.

 

Martin Gerlach, Head of Process Analytical Technologies bei Bayer und Mitglied...
Martin Gerlach, Head of Process Analytical Technologies bei Bayer und Mitglied des erweiterten Vorstands des Arbeitskreis PAT. © Bayer

Um aus PAT-Messergebnissen mehr Informationen zu generieren, sind schnelle Netzwerke und Kommunikationsprotokolle notwendig. Wie ist der aktuelle Stand in den Anlagen und wohin geht die Entwicklung dazu?

M. Gerlach: Wenn eine Anlage 50 Jahre alt ist und mit der 4–20 mA-Technik ausgestattet, ändert man das so schnell nicht. Sicher gibt es Teilerneuerungen, in denen bereits digitale Protokolle wie Profinet, Feldbus und anderedigitale Protoklle laufen. Und jetzt ist ja in aller Munde die APL-Technik – Advanced Physical Layer–, die zehn Megabit – gegenüber 30 Kilobit bisher – Datentransfer haben soll und dabei für den Einsatz in explosionsgefährdeten Bereich geeignet ist. Es gibt jetzt erste Geräte am Markt, die geeignet sind, die Topologie aufzubauen. In ein paar größeren Laboratorien bei großen Firmen hier in Deutschland, werden Prototypen und Geräte auch getestet. Aber ich sehe in unserer Region in den nächsten zwölf Monaten keine voll mit APL instrumentierte Anlage. Was bekannt ist, dass die BASF in China eine erste neue Anlage APL-ready bauen wird, dass man bei Covestro plant, ein Tanklager APL-ready auszustatten und auch wir bei Bayer über erste Investitionen in APL-Technik diskutiert wird. Wir bauen derzeit ein Labor auf, um diese Topologien und Messgeräte zu testen.

Was bedeutet APL-ready? Werden entsprechende Kabel verlegt oder steckt noch mehr dahinter?

M. Gerlach: Die Topologie wird vorbereitet. Dazu gehören die Kabel, aber es muss auch eine Architektur aufgebaut werden. Im Bestand wie bei Bayer ist zudem zu klären, ob und wie bestehende Verkabelung benutzt werden können. Es ist noch recht früh, aber viele Experten gehen davon aus, dass das die APL-Technologie sich in Kombination Profinet und ProfinetSafe und in Kombination mit OPCUA sich dann auch relativ zügig durchsetzen wird, wenn entsprechend Messinstrumente verfügbar sind.

Was sind die entscheidenden Vorteile der APL-Technik?

M. Gerlach: Zu den Vorteilen bei APL zählt, dass es möglich sein wird, über die Messdaten hinaus die Vitalitätsdaten des Messgerätes schnell und mit hoher Datendichte zu übertagen. Dazu kommen weitere Informationen, die ich als wie heiß ich, wer bin ich, wo wohne ich beschreiben würde – das digitale Typenschild – PADIM. Das soll in Zukunft dann auch direkt vom Analysengerät abgegriffen werden. Diese Information wird in der Regel vielleicht einmal im Monat abgefragt. Hingegen sollten die Informationen über den Zustand einer Messung, für eine Mess­technik deutlich häufiger sichtbar sein, um einen Ausfall oder besser einen sich anbahnenden Ausfall zeitnah vorhersehen zu können. Das ist für uns der Schlüssel, um von einer zeitabhängigen Instandhaltung mit Wartungsplänen zu einer zustandsbasierten Instandhaltung zu kommen. Davon versprechen wir uns, weniger Zeitaufwand für Wartungsarbeiten und auch weniger Material aufwenden zu müssen. Ziel wäre es, den Aufwand für Inspektionen um mindestens zu 80 % und für Wartungen um 10 bis 30 % zu reduzieren. Da sprechen wir bei 5.000 Messstellen bei Bayer von Kosteneinsparungen in Millionenhöhe.

Ein wichtiger Aspekt dabei ist, die Informationen standardisiert zu benennen, nämlich einheitliche Bezeichnungen für die verschiedenen Parameter auch herstellerübergreifend zu finden. Dafür ist eine IEC-Norm in Vorbereitung. Wir gehen davon aus, dass diese Mitte nächsten Jahres in Europa gültig ist.

Ein anderes Thema: Der modulare Ansatz im Anlagenbau bietet eine große Chance für mehr Effizienz in der Planung und Umsetzung sowie für die Flexibilität von Anlagen. Wie weit ist MTP für PAT für welche Applikationen gediehen?

M. Gerlach: Im NAMUR Arbeitskreis 3.6.4 beschäftigen wir uns mit diesem Thema. Wir haben neben einem pH-Modul bereits ein Modul für eine sogenannte Inertisierungsüberwachung entwickelt. Es dient zum Beispiel dazu, den Sauerstoffgehalt zu überwachen, um Explosionen in gefährdeten Reaktoren zum Beispiel von Lösemitteln zu verhindern. Außerdem ist ein Probenvorbereitungsmodul in Arbeit, eines für Gasmessungen, eines für Flüssigkeiten und eines für Feststoffe. In den Modulen ist eine gewisse Logik anhand eines Fragenkatalogs verankert.

Je nach Antwort, ergibt sich am Ende ein Hardware-Vorschlag für den Ingenieur der Systemintegration, der das Modul bauen soll. Das Modul muss mit seinen Komponenten herstellerunabhängig bleiben. Insgesamt reduziert das den Engineer­ingaufwand erheblich und kann auch kleineren Firmen für PAT-Mestechnik den Einsatz von PAT-Mess­technik erleichtern. Die Automatisierung dieser Module ist geplant, nach dem MTP-Konzept realisiert zu werden. Dies befindet sich bereits in einer ersten Phase der Realisierung.

Wie beurteilen Sie den aktuellen Status in der Praxis, um aus Messdaten Informationen für eine effiziente Prozessführung und eine hohe Produktqualität zu erzielen? Welche Rolle spielt Machine Learning heute und welche Rolle wird KI spielen?

M. Gerlach: Modellbasierte Regelungen werden schon länger in Conti-Prozessen eingesetzt. Man steuert und regelt auf einen gewissen Punkt hin, der sich aus dem optimalen Energieverbrauch, der notwendigen Qualität und optimalen Durchsatz ergibt. Ein gutes Beispiel dafür sind Kolonnen, die sich sehr gut berechnen lassen. Auf Basis der berechneten McCabe-­Thiele-Diagramme werden die Kolonnen gefahren und die Überwachung erfolgt über spektroskopische Messungen. Dagegen spielen solche modellbasierten Regelungen derzeit in Batch-Prozessen kaum eine Rolle. Was ich mir aber schon vorstellen kann ist, dass man über mehr Sensorik kombiniert mit den Zustandsdaten viel mehr Prozessinformationen generieren kann als in der Vergangenheit. Allerdings sehe ich für KI-Anwendungen noch sehr viel Forschungsarbeit zu leisten, eher mit einer Anwendungsper­spektive von 10 oder 20 Jahren. Ein Beispiel, wie Zustandsdaten auf den Prozess schließen lassen können, wäre das Quellverhalten von pH-Glaselektroden, welche sich in der Glas­impedanz wiederspiegeln. Je nach Prozess, Medium und Chemie gibt es eine signifikante Quellkurve. Weicht der Zustand der Elektrode, also das Quellverhalten ab, kann man daraus einen Rückschluss auf den Prozess ziehen. Auch Zustandsdaten einer Pumpe oder eines Stellmotors können potentiell einen Rückschluss auf den Prozess liefern, es könnte sich beispielsweise die Viskosität geändert haben.

Wo werden die Mess- und Zustandsdaten ausgewertet und wie werden sie an die richtigen Empfänger geleitet?

M. Gerlach: Messwerte wie Konzentrationen oder Temperaturen werden ins Prozessleitsystem gegeben. Für die Vitalitätsdaten sowie für die Daten des digitalen Typenschilds wird es einen Parallelweg geben, der nach dem Prinzip der Namur Open Architecture  – NOA – organisiert wird. Um aus dem OT-Netzwerk die Daten ins Business-Netzwerk zu führen, sind einige Sicherheitsbarrieren wie Firewalls zu überwinden. Diese Netzarchitektur ist allerdings streng mit der IT-Security abzuklären. Aus dem Business-Netzwerk können die Daten in einer Cloud verfügbar gemacht werden, zum Beispiel in der Zukunft nach Absprache gegebenenfalls auch für externe Dienstleister. Auch hier könnte man dann eine zeitbasierte durch eine zustandsbasierte Instandhaltung ablösen. Aber dies ist im Augenblick noch Zukunftsmusik.

Das Interview führte Etwina Gandert, Chefredakteurin CITplus.

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P2P – Mit PAT zur Produktqualität

18. Herbstkolloquium Prozessanalytik

Was gibt es Neues in der PAT? Auf unserem 18. AK PAT Kolloquium wollen wir gemeinsam erfahren, wie uns PAT zur beabsichtigten Produktqualität hilft. Wie nehmen wir Proben? Wie bereiten wir sie auf? Wie kommuniziert die PAT? Für die Antworten und den Erfahrungsaustausch bietet uns die Hochschule Niederrhein in Krefeld dieses Jahr unsere Plattform. In vier Sessions plus Round-Table-Diskussionen und Poster-Ausstellungen behandeln wir Erfolgsprojekte aus der Praxis, Probenahme und Probenaufbereitung, PAT und ihre Kommunikation, und PAT-Innovationen. Wir suchen Beiträge zu den aktuellen und wichtigen Themen Brownfield und Greenfield, NOA und MTP, aggregatspezifische, regulatorische und branchenabhängige Probenahme. Der Dauerbrenner PAT-Innovationen bietet Vorträge und Poster über Neue Echtzeit-Methodologien, Multisensorik und Miniaturisierung. Das 18. Herbstkolloquium Prozessanalytik wird von der GDCh organisiert.
Ansprechpartner bei der GDCh ist Maike Fries, Tel.: +49 69 7917 - 368, [email protected]

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