Wie Smart Maintenance durch die nächste Krise hilft
Unvorhersehbare Katastrophen haben auch auf Industriebetriebe erhebliche Auswirkungen. Um mehr Resilienz zu erreichen und im Krisenfall resistenter zu sein, ist die umfassende Digitalisierung in einem Smart Maintenance-Konzept ein möglicher weg.
Globale und lokale Krisenereignisse haben auch auf Industriebetriebe Auswirkungen, die mit klassischen Mitteln der Schadensbekämpfung kaum beherrschbar sind. Eine intelligenten Instandhaltung, der Smart Maintenance, fällt dabei eine entscheidende Rolle zu. Denn Smart Maintenance ist viel mehr als nur der Blick auf den Anlagenzustand in der Produktion: Sie ist verantwortlich für das Erfassen und Digitalisieren der komplexen Strukturen und ermöglicht somit das Entschärfen von schwerwiegenden Folgen im Ausnahmezustand.
Derzeit treten in Deutschland vermehrt wahrnehmbare Krisen auf: Die Covid-19-Pandemie, aber auch zuletzt die Hochwasserkatastrophe, haben erhebliche Folgen hinterlassen. Die Verfügbarkeit von Waren konnte aufgrund von Produktionsausfällen, Lieferproblemen und Ressourcenknappheit nicht sichergestellt werden, Eigentum von Unternehmen und Menschen ging verloren und der worst case trat ein: Menschen starben an den Folgen der Pandemie oder des Hochwassers Um dieser Herausforderung zu begegnen, hat die Instandhaltung in einem produzierenden Unternehmen die Aufgabe, die Verfügbarkeit der technischen Einrichtungen so sicherzustellen, dass ungeplante Anlagenausfälle auf jeden Fall vermieden werden. Dabei ist vor allem von Bedeutung, Ereignisse zu prognostizieren und bereits vorbeugend zu agieren.
Sind aber die Folgen einer schlechten Prognose in einem Unternehmen mit den oben genannten Katastrophen vergleichbar? Die Reaktorunfälle von Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) oder die Havarie der Bohrinsel Alexander Kieland (1980) hatten auch mit falschen Prognosen und Ausfällen von Anlagenkomponenten zu tun. Solche schwerwiegenden Auswirkungen sind glücklicherweise nicht die Regel, dennoch können auch in Unternehmen Ausfälle kritischer Komponenten oft mit immensen Konsequenzen verbunden sein, bspw. wie beim Großbrand bei Wiesenhof (2016).
Was macht Smart Maintenance aus?
Smart Maintenance muss im Kontext zur Idee einer intelligenten vernetzten Fabrik, der Smart Factory, gesehen werden. Autonomie, Selbststeuerung und eine hohe Flexibilität sind dabei relevante Zielgrößen. Sie bilden die Basis für eine optimale Planung und Steuerung. In diesem Zusammenhang hat auch die Instandhaltung eine höhere Bedeutung erhalten, denn sie wurde zur Smart Maintenance, einem wesentlichen Treiber und Enabler von Digitalisierung in den produzierenden Unternehmen in Westeuropa. Eine wesentliche Erkenntnis ist dabei, dass die notwendige Optimierung und Digitalisierung von Produktionsanlagen nur mit der innerbetrieblichen Instandhaltung durchgeführt werden kann.1
Der digitale Zwilling für mehr Resilienz
Im Mittelpunkt dieser Smart Factory steht der digitale Zwilling, das „individuelle, virtuelle Abbild eines physischen Objektes oder Prozesses“.2 Dafür werden die Daten von Anlagen und relevanten Komponenten über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg gesammelt. Diese können so unter anderem dazu genutzt werden, die technisch mögliche Restnutzungsdauer einer Komponente mit der benötigten Restnutzungsdauer abzugleichen. Dadurch können Produktions- und Instandhaltungspläne optimal nach unterschiedlichen Schwerpunkten hin geplant werden. Und hier kommt nun auch die Resilienz ins Spiel: Während in der Vergangenheit das Maximieren der Ausbringungsmenge und Kosteneffizienz im Vordergrund standen, haben die aktuellen Ereignisse den Fokus erweitert. Der digitale Zwilling hilft auch bei der Beantwortung der Frage, wie resilient eine Produktion aufgestellt ist oder sein sollte – vor allem auch im Hinblick auf externe Ereignisse.
Resilienz – was ist das eigentlich?
Laut Definition ist die Resilienz „das Vermögen eines dynamischen Systems, sich Störungen erfolgreich anzupassen, die seine Funktion, Lebensfähigkeit oder Entwicklung bedrohen.“ 3 Sie bezieht sich auf Systeme unterschiedlicher Art und Größe, vom einzelnen Individuum hin bis zu ganzen Staaten. Wird Resilienz als gesellschaftliche und globale Herausforderung betrachtet, so ist sie eine Antwort auf Naturkatastrophen, politische Instabilitäten, Ressourcenverknappung und Umweltzerstörung. Das Resilienzmodell von Fraunhofer4 gliedert ein Schadensereignis in fünf Phasen und ordnet diesen Phasen Handlungsempfehlungen zu:
- Prevent/Prepare: Ereignisse zu prognostizieren und auf diese vorbereitet zu sein;
- Protect: schnell und flexibel auf neue Anforderungen, wie einen Schadenseintritt, zu reagieren;
- Respond: den veränderten Zustand, der i.d.R. eine deutliche Verschlechterung des Ausgangszustands darstellt, als neuen Ist-Zustand zu betrachten und damit optimal umzugehen;
- Recover: nicht nur den wiederhergestellten Ausgangszustand, sondern auch eine Verbesserung herbeizuführen und Lehren aus den Ereignissen zu ziehen.
Der Beitrag von Smart Maintenance auf die Resilienz von Produktionsunternehmen
Überträgt man die Aufgaben aus dem Resilienzmodell auf Produktionsunternehmen, lässt sich feststellen, dass viele Elemente der Smart Maintenance einen Beitrag zu mehr Resilienz leisten können:
- Prevent/Prepare: Implementierung von Systematiken zur Zustandserfassung und Zustandsvorhersage (Condition Monitoring und Predictive Maintenance), um zukünftige Situationen vorherzusagen; Erstellen von Digitalen Zwillingen für Produktionsanlagen;
- Protect: intelligente Wartungspläne, d.h. vorbeugende Maßnahmen, ein dynamisches Ersatzteilmanagement sowie ein kontinuierliches Training von Rüst- und Anlaufvorgängen;
- Respond: flexible Produktions- und Instandhaltungsplanung in Abhängigkeit der verfügbaren Ressourcen; Ausweichen auf alternative Anlagen und Produkte bei Schäden und Stillständen;
- Recover: nach Schadensereignissen Wiederherstellen eines verbesserten Ausgangszustands, z.B. zum Vermeiden vergleichbarer Ereignisse oder Erhöhung der Ausbringungsmenge.
Krisenmanagement im Katastrophenfall
Wie aus verschiedenen Quellen zu entnehmen ist, sind in jeder Phase der Hochwasserkatastrophe Probleme aufgetreten. Die Grafik zeigt entlang der verschiedenen Phasen Verfahren und Informationsquellen, die tatsächlich in das Krisenmanagement eingegangen sind oder hätten eingehen können. Beispielhaft sind hier zu nennen:
Vorhersagen über die voraussichtlichen Niederschlagsmengen und deren Auswirkungen wurden unterschiedlich interpretiert und zum Teil nicht schnell genug weitergeleitet.
- Katastrophenpläne lagen für den Fall nicht vor bzw. waren nicht für alle Einsatzkräfte verfügbar. Vorliegende Informationen wurden nicht in Kontext mit anderen relevanten Informationen gestellt.
- Zum Teil unklare Priorisierung von Maßnahmen, u. a. waren Zustände von Objekten nicht ausreichend bekannt.
- Einsatzkräfte und freiwillige Helfer hatten selten eine zentrale Anlaufstelle, notwendige Ressourcen waren nicht immer ausreichend vorhanden.
Für den Wiederaufbau sollte die Widerstandsfähigkeit gegenüber zukünftig möglicherweise noch gravierenderen Ereignissen (Grad der Resilienz) mitberücksichtigt werden.
Die Prinzipien der Smart Maintenance sollten als Vorbereitung auf ungeplante Ereignisse adaptiert werden, um sehr mehr Resilienz und generelle Verbesserung entlang der Zeitachse zu erzielen.
Wie kann das Krisenmanagement von der Instandhaltung profitieren?
Die Smart Maintenance greift auf ein umfangreiches Repertoire an Daten und Informationen zurück, die den aktuellen und zukünftigen Zustand von Anlagen prognostizieren können. Die Digitalisierung aller relevanten Informationen ist dabei eine zwingende Voraussetzung, die digitale Abbildung aller relevanten Objekte in so genannte digitale Zwillinge eine weitere. Für den Zugriff auf diese Objekte wird eine digitale Plattform benötigt, die dann die dritte wichtige Voraussetzung darstellt. Plattformen dieser Art gibt es bereits im Anlagenmanagement von produzierenden Unternehmen, zur Vermeidung und zum Management in Krisensituationen allerdings noch nicht. Solche Plattformen sollten auf Basis einer detaillierten Anforderungsanalyse geschaffen werden, denn sie liefern die Basis für die Erhöhung der Resilienz in Krisenfällen.
Im Katastrophenmanagement gilt es aber nicht nur, interne Faktoren wie Einsatzkräfte, Rettungsfahrzeuge oder Zustandsberichte zu integrieren, sondern auch externe Faktoren, z. B. globale Veränderungen, miteinzubeziehen. Es wäre bspw. denkbar, Regenmengen, Fließgeschwindigkeiten von Flüssen mithilfe von dynamischen Schwellen- und Grenzwerten einfließen zu lassen, um daraus eine Risikobewertung abzuleiten. Bei Erreichen von kritischen Faktoren könnten mithilfe einer Lagebild-Plattform automatisch vorbeugende Maßnahmen eingeleitet werden, um schwerwiegende Folgen zu vermeiden. Eine zunehmend wachsende Datenmenge bildet die Basis für eine kontinuierliche Verbesserung von Prognosen und Handlungsempfehlungen, auch mit Unterstützung von Künstlicher Intelligenz.
Was ist erforderlich?
Aus der Adaption der Methoden der Smart Maintenance ergeben sich mehrere Handlungsempfehlungen zur Steigerung der Resilienz und Vermeidung bzw. Verringerung der Auswirkungen im Krisenfall. Es müssen kritische Infrastrukturen identifiziert werden, die im besonderen Fokus der Resilienzbetrachtung liegen, z. B. Krankenhäuser oder Kraftwerke. Weiterhin müssen die Elemente und Faktoren ermittelt werden, die für die Resilienz relevant sind, bspw. Einsatzkräfte, Einrichtungen des Hochwasserschutzes, Vorräte und Medikamente. Ebenso müssen alle Informationen zusammengeführt werden, die einen externen Einfluss auf die Resilienz haben, also z. B. Pegelstände, Wetterveränderungen – aber auch wirtschaftliche und politische Faktoren. Alle Informationen sollten, als Digitale Zwillinge oder als relevante Einflussfaktoren, auf einer Plattform zusammengeführt werden. Nur so kann es gelingen, Krisen zu vermeiden oder die Auswirkungen auf ein erträgliches Maß zu reduzieren.
Literatur
1 Henke, M; Heller, T.; Stich, V.: Smart Maintenance - Der Weg vom Status quo zur Zielvision, Utzverlag GmbH. ISBN: 978-3-8316-4726-2
2 Klostermeier, R., Haag, S., Benlian, A. 2020.
„Geschäftsmodelle digitaler Zwillinge“, Springer Vieweg, S. 3-5
3 (in Anlehnung an: Gabler Wirtschaftslexikon, Springer)
4 Resiliente Wertschöpfung in der produzierenden Industrie – innovativ, erfolgreich, krisenfest, Whitepaper, 2021, Fraunhofer Gesellschaft
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