CO2-neutrale, wirtschaftliche Dampferzeugung
Die Leitung für das Projekt liegt bei MVV Enamic und umfasst Planung, Umsetzung und Finanzierung der Prozessdampfanlage als auch für die Betriebsführung über 16 Jahre.
Olam Food Ingredients (ofi) ist der führende Kakaobohnenlieferant weltweit und verarbeitet Kakaobohnen zu Kakaopulver, -butter und mehr. Am Standort Mannheim wird aus den Kakaobohnen bald sogar Dampf gewonnen. 90% ihres benötigten Prozessdampfs gewinnt ofi im kommenden Jahr aus den Schalen des pflanzlichen Rohstoffs.
Vor rund vier Jahren begannen bei ofi in Mannheim die Überlegungen, bei der Erzeugung des für die Produktion benötigten Prozessdampfs von der Erdgasverbrennung auf die Verbrennung von Kakaoschalen umzustellen – ein Novum zu der Zeit. Dahinter stand der ausdrückliche Wunsch, den CO2-Fußabdruck des Standortes in Mannheim zu verkleinern. Eine weitere Anforderung war die Wirtschaftlichkeit. In Zeiten von günstigem Gas war das mit alternativen Energieträgern nur schwer zu realisieren, zumal die Investitionen für eine Biomasse-Kesselanlage deutlich über denen für eine gasbefeuerte Anlage liegen.
Um dennoch die Möglichkeiten auszuloten, nahm ofi Gespräche mit MVV Energie auf. „MVV ist seit vielen Jahren unser Energiepartner und wir haben nur gute Erfahrungen gemacht. Damit lag es für uns nahe, auch darüber mit MVV zu sprechen“, erläutert Andreas Rudolph, Werksleiter ofi Mannheim. Das Projekt war eine Paradeaufgabe für MVV Enamic, die B2B-Lösungseinheit der MVV. Sie konzentriert sich auf individuelle Energielösungen für Geschäftskunden, um sie dabei zu unterstützen, ihre Energieeffizienz zu steigern, ihre Energiekosten langfristig zu senken und die Dekarbonisierung, also den Ausstieg aus fossilen Energieträgern, umzusetzen.
Fördermittel
Im Laufe der ersten Gespräche und Vor-Recherchen änderte sich die Weichenstellung: Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) legte ein neues Förderprogramm auf: die Bundesförderung für Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft (EEW) mit inzwischen fünf Modulen. Im Rahmen des Moduls zwei werden Solarkollektoranlagen, Wärmepumpen oder Biomasse-Anlagen gefördert, wenn die damit erzeugte Wärme zu mindestens 50% für betriebliche Prozesse genutzt wird. Damit erfüllte ofi die Kriterien, außerdem zeigten die Evaluationen von MVV Enamic, dass das Unternehmen mit dem EEW das Maximum an möglichen Fördermitteln nutzen konnte. Dadurch wurde die klimafreundliche Biomasse-Kesselanlage in der Vollkostenrechnung nahezu kostenneutral verglichen mit der klassischen Anlage, die mit fossilem Gas betrieben wird.
Deutschlandweit einzigartige Dampfanlage
Nachdem der Fördermittelantrag genehmigt war, nahm das Projekt Fahrt auf. Doch bevor es realisiert werden konnte, war die entscheidende Frage zu beantworten: Können die Kakaoschalen tatsächlich zur Dampferzeugung genutzt werden? In Deutschland gab es zu diesem Zeitpunkt keine derartige Anlage, auch heute werden in Kleinanlagen üblicherweise Pellets verbrannt. Sie sind normiert, sodass Aspekte wie ihre Zusammensetzung, ihr Heizwert oder Wassergehalt gleichbleibend und bekannt sind. Auch zu Hackschnitzeln und Waldrestholz, die in größeren Anlagen genutzt werden, liegen reichlich Erfahrungswerte vor, auf die sich Anlagenhersteller stützen können. „Für Kakaoschalen mussten wir quasi Pionierarbeit leisten und grundlegende Faktoren klären, etwa ob die Schalen schwer genug sind, sodass sie auf dem Feuerrost liegen bleiben, oder wo ihr Ascheschmelzpunkt liegt“, erläutert Markus Eisenhauer, Planungsingenieur bei MVV Enamic und Leiter des Projektes. „Zudem mussten wir einen Hersteller finden, der eine solche Kesselanlage planen und realisieren kann.“
Gemeinsam mit ofi stieß MVV Enamic schließlich auf den Verbrennungsspezialisten Vyncke. Er hat bereits derartige Anlagen zur Verbrennung von Kakaoschalen in Südostasien und an der Elfenbeinküste umgesetzt. „Nach einigen Gesprächen und technischen Konzepten hat uns Vyncke überzeugt und wir sind ins Engineering gegangen“, so Markus Eisenhauer.
Konzentration auf das Kerngeschäft trotz Großprojekt
Die Leitung für das Projekt liegt bei MVV Enamic, sie ist sowohl für die Planung, Umsetzung und Finanzierung der Prozessdampfanlage verantwortlich als auch für die Betriebsführung über 16 Jahre – inklusive Brennstoffmanagement, Genehmigungen, regelmäßige Prüfungen und Wartung. Unter ihrer Projektleitung übernahm Vyncke das Engineering der Anlage. Das zugehörige Gebäude plante die MVV Netze, ein Schwesterunternehmen der MVV Enamic. „So können wir uns ganz auf unser Kerngeschäft, die Kakaoproduktion, konzentrieren“, zeigt sich Werksleiter Andreas Rudolph von der Aufgabenteilung begeistert. „Das Großprojekt läuft parallel zum Geschäftsalltag und durch die kompetenten Ansprechpartner der MVV Enamic sind wir immer auf dem Laufenden. Das macht es für uns sehr komfortabel.“
Gleiches gilt im Prinzip für die technische Ebene. Hier gibt es lediglich zwei Übergabepunkte zwischen der Produktion von ofi und der Prozessdampfanlage: An dem einen liefert ofi die Kakaoschalen, an dem anderen liefert MVV Enamic den Dampf.
Nachdem die Kakaoschalen per Luftstrom aus dem Silo bei ofi in einen Vorlagebehälter eingeblasen wurden, werden sie mit Hilfe von Schnecken über einen Rost geführt und im wassergekühlten Feuerraum verbrannt. Dabei entsteht 800 °C heißes Rauchgas, das durch einen Wasserkessel geleitet wird, sodass der Dampf entsteht, der zu ofi geleitet wird. Das Rauchgas geht zur Abwärmenutzung durch einen Economizer, anschließend durch die Abgasaufbereitung und -reinigung.
Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit
Auf diese Weise gewinnt ofi rund 90% des für die Kakaoproduktion benötigten Prozessdampfes. Ein Gaskessel dient als Redundanzkessel, der die verbleibenden zehn Prozent liefert. Er überbrückt die Stillstandzeiten des Biomassekessels, die aufgrund von Revision, Reinigung oder Reparaturen entstehen, deckt Spitzenlasten ab und gewährleistet bei anderen Unwägbarkeiten die Versorgungssicherheit. Zudem reagiert der Biomassekessel etwas träger als ein Gaskessel. Falls dadurch einmal eine Versorgungslücke entsteht, kann diese ebenfalls mit dem Gaskessel gefüllt werden. ofi produziert 24/7 im Dreischichtbetrieb, damit läuft auch die Dampferzeugung rund um die Uhr. Für die Kakaoproduktion spielt es keine Rolle, auf welche Art der Prozessdampf erzeugt wird.
Trotz Lieferverzögerungen voll im Zeitplan
Inzwischen wurden der 25,5 t schwere und über 14 m hohe Biomassekessel und die anderen Anlagenteile angeliefert. „Die allgemeinen Schwierigkeiten in den Lieferketten haben auch wir zu spüren bekommen, manchmal kam es zu Lieferverzögerungen. Doch dank hervorragender Planung und Projektleitung sind wir trotzdem voll im Zeitplan und wir können die neue Dampfanlage Mitte 2023 wie geplant in Betrieb nehmen“, freut sich Werksleiter Andreas Rudolph.
Damit reduzieren sich die CO2-Emissionen von ofi um rund 8.000 t jedes Jahr. Zudem entfallen der Abtransport und die Entsorgung der Kakaoschalen. „Die Entscheidung für die Anlage war bereits richtig, als wir sie vor rund drei Jahren getroffen haben – durch die steigenden Energiepreise und den höheren Druck zur Abkehr von fossilen Energieträgern, insbesondere von Gas, ist sie das jetzt umso mehr. Wir sind froh, dass wir gemeinsam mit MVV Enamic diesen Weg eingeschlagen haben“, so das Resümee von Andreas Rudolph.
Bei MVV Enamic wird bereits die nächste Dampfanlage geplant, hier sollen Haferschalen verbrannt werden. „Mit unseren Erfahrungen aus dem Projekt bei ofi können wir sagen: Es lohnt sich, über die Erzeugung von Prozessdampf in Biomassekesseln nachzudenken, auch mit anderen Stoffen, die bei der Lebensmittelverarbeitung anfallen“, so Projektleiter Markus Eisenhauer.
Autorin: Christine Schulze, freie Redakteurin
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