Lebenszyklusanalyse: Ein Schlüsselwerkzeug auf dem Weg zu Carbon Capture and Utilization
Angesichts globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel und der Notwendigkeit, die Kohlenstoffintensität zu verringern, hat sich die Fokussierung auf den gesamten Lebenszyklus der Produkte als unverzichtbar erwiesen. Die Lebenszyklusanalyse (LCA) ist dabei zugleich ein Instrument zur Bewertung und eine grundlegende Voraussetzung für alle Überlegungen im Bereich Carbon Capture and Utilization (CCU). Kohlendioxid als Rohstoff weiterzuverwenden, heißt, den CO2-Fußabdruck zu optimieren und einen nachhaltigen Wandel voranzutreiben.
Die Chemiebranche, oft als die Mutter aller Industrien bezeichnet, steht im Zentrum dieser Transformation. Gesellschaft und die Politik fordern immer lauter nach Transparenz und Nachhaltigkeit entlang der gesamten Lieferkette. Dabei geht es nicht nur um die Reduzierung der direkten Emissionen, sondern um eine ganzheitliche Betrachtung der Umweltauswirkungen – von der Gewinnung der Rohstoffe bis zum Ende des Produktlebenszyklus. Die LCA ermöglicht es, diese komplexen Interaktionen zu quantifizieren und zu verstehen, mit welchen Maßnahmen Unternehmen ihren ökologischen Fußabdruck gezielt reduzieren können. Diese umfassende Perspektive ist entscheidend, um die wahren Umweltauswirkungen zu erfassen und bspw. mit CCU-Ansätzen effektive Strategien für eine grünere Chemieindustrie zu entwickeln.
Systematische Analyse des gesamten Produktionssystems
Der LCA (Life Cycle Assessment) ist eine umfassende Ökobilanz, die Umweltbelastungen durch Produkte, Prozesse oder Dienstleistungen entlang ihres Lebenszyklus systematisch bewertet – von der Produktion bis zur Entsorgung. Dabei werden nicht nur direkte Emissionen und Ressourcenverbräuche in der Produktions- oder Nutzungsphase erfasst, sondern auch jene, die in den vorgelagerten und nachgelagerten Prozessen, wie der Beschaffung von Rohstoffen, entstehen. Als ein standardisiertes Verfahren (DIN EN ISO 14040/44) dient die Ökobilanz vielen Zwecken: von der Produktentwicklung über die strategische Planung bis hin zum Marketing.
Der CO2-Fußabdruck spielt im Rahmen der LCA eine zentrale Rolle, da er einen spezifischen Aspekt der Umweltauswirkungen eines Produkts, Prozesses oder einer Leistung beleuchtet: die Gesamtmenge an Treibhausgasen – vorrangig Kohlendioxid. So entsteht ein umfassender Überblick über den Beitrag einer bestimmten Aktivität zum globalen Klimawandel.
Quantifizierung von Treibhausgasemissionen im Rahmen von LCAs
CO2-Fußabdrücke im Kontext von Lebenszyklusanalysen zu bewerten, wird immer wichtiger. Im Vordergrund stehen hier insbesondere die verschiedenen Kategorien von Treibhausgasemissionen, von Scope 1 bis Scope 3. Diese Kategorisierungen, die durch das „Greenhouse Gas (GHG) Protocol“ definiert sind, ermöglichen es Unternehmen und Organisationen, ihre Emissionen systematisch zu erfassen und zu steuern.
- Scope 1 fokussiert direkte Emissionen, die aus unternehmenseigenen Quellen stammen, bspw. aus Verbrennungsprozessen.
- Scope 2 umfasst Emissionen, die sich aus dem Verbrauch von extern bezogener Elektrizität, Dampf, Wärme und Kühlung ergeben. Obwohl diese Emissionen außerhalb des Unternehmens entstehen, sind sie doch dem industriellen Betrieb des Unternehmens zuzuschreiben.
- Scope 3 beinhaltet alle weiteren indirekten Emissionen, die entlang der gesamten Wertschöpfungskette anfallen, aber nicht in der Hand des Unternehmens liegen.
Durch eine integrierte Betrachtung dieser drei Scopes im Rahmen eines LCAs erhalten Unternehmen einen umfassenden Überblick über die gesamten Umweltauswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit.
Strategische CO2-Optimierung durch Scope-Unterscheidung
Die präzise Aufgliederung von Emissionen in die Scopes 1 bis 3 erlaubt es Unternehmen, klar zu erkennen, welche Geschäftsbereiche den stärksten Einfluss auf ihren CO2-Fußabdruck haben. Mit diesem Wissen identifizieren sie Optimierungsmöglichkeiten und können gezielte strategische Maßnahmen zur Emissionsminderung planen.
So können Chemieunternehmen durch die Analyse von Scope 1 und 2 bspw. ihre Abhängigkeit von externen Energiequellen ermitteln, besonders wenn diese Energie komplett zugekauft ist und Lieferanten entsprechende Daten bereitstellen.
Die Betrachtung von Scope 3 versetzt sie zudem in die Lage, den Ressourcenverbrauch für einzelne Produktionsprozesse detailliert zu bewerten. Dies umfasst nicht nur den Einsatz und den Transport von Rohstoffen, sondern auch den Verbrauch von Energie, Wasser und anderen Hilfsmitteln wie etwa den in der Produktion erforderlichen Stickstoff.
Zudem wird transparent, welche Menge und Art von Abfall entsteht, welche Entsorgungswege genutzt werden und welche Rolle die Abwasseraufbereitung spielt. Dabei ist besonders relevant, den Gehalt bestimmter Substanzen im abgegebenen Abwasser zu bestimmen und zu bewerten. Solch eine differenzierte Betrachtung der Scopes versetzt Unternehmen in die Lage, fundierte Entscheidungen zu treffen, die sowohl ökologisch als auch ökonomisch von Vorteil sind.
CO2-Fußabdrücke zu bewerten, ist der erste Schritt zu einer sinnvollen Weiternutzung im Kreislauf. So schafft ein LCA die Ausgangsbasis dafür, sich aktiv mit Carbon Capture zu beschäftigen und kontinuierlich nach weiteren Möglichkeiten zu suchen, wie sich CO2 in der Atmosphäre reduzieren lässt. Außerhalb Deutschlands ist das Vorgehen schon weiter verbreitet, abgeschiedenes CO2 aufzubereiten, zu komprimieren und zu einer Speicherstätte zu transportieren. Zukünftig wird es bedeutsam sein, weitergehende Carbon-Capture-Utilisation-Methoden zu entwickeln, die das Treibhausgas CO2 zu einem relevanten Rohstoff machen.
Der CCU-Ansatz: CO2 als Rohstoff weiterverwenden
Zwar sind Kohlendioxidemissionen schädlich, wenn sie in die Atmosphäre gelangen, aber Kohlenstoff selbst ist in der chemischen Industrie Rohstoff und Ausgangsbasis für zahlreiche Produkte. So gibt es etwa interessante Entwicklungen beim MTO-Prozess (Methanol to Olefins). Hier wird CO2 als Rohstoff für Methanol genutzt, um die Effizienz zu steigern und die CO2-Emissionen zu reduzieren. Aus Methanol lassen sich mit Hilfe von Katalysatoren Olefine wie Ethylen und Propylen produzieren. Diese Olefine sind wichtige Bausteine für die petrochemische Industrie und dienen zur Herstellung einer Vielzahl von Produkten, darunter Kunststoffe, Lösungsmittel und andere Chemikalien. Der MTO-Prozess umfasst typischerweise die Umwandlung von Methanol in Dimethylether (DME) als Zwischenprodukt, aus dem dann schließlich die Olefine entstehen. In diesem Verfahren wird CO2 chemisch umgewandelt und in den Produktionsprozess integriert, sodass sich die Gesamtbilanz der Treibhausgasemissionen verbessert. Ein weiteres Beispiel für eine CCU-Methode ist die Herstellung von synthetischem Kerosin aus CO2 und Wasserstoff. Da dieser Prozess äußerst energieaufwendig ist, lässt er sich allerdings nur mit grünem Strom sinnvoll umsetzen.
CO2-Weiterverarbeitung benötigt gesetzlichen Rahmen
In der Regel liegt CO2 zunächst in gasförmigem Zustand vor. Um es für weitere Anwendungen nutzbar zu machen, muss es verflüssigt und transportiert werden – was keine immensen Energieaufwände braucht. Unternehmen, die ihr CO2 abgeben wollen, sollten dafür allerdings an eine Pipeline angeschlossen sein. Die Herausforderung: Um eine entsprechende CCU-Infrastruktur zu schaffen, fallen immense Investitionen an. Damit die Entwicklungen und Forschungen für verantwortungsvolle und nachhaltige Stoff- und Energiekreisläufe weiter voranschreiten können, brauchen Unternehmen die Sicherheit, was erlaubt ist und welche Vorteile die Weiterverwendung von CO2 für sie hat – im Sinne einer positiven Anrechnung auf ihre Gesamtbilanz. Was also erforderlich ist, damit eine geeignete Infrastruktur für die Weiterverwendung von CO2 entstehen kann, ist ein entsprechender gesetzlicher Rahmen. Derzeit existiert aber in Deutschland bspw. noch ein Verbot der CO2-Speicherung. Die „EU Industrial Carbon Management Strategy“, die die Europäische Kommission im Februar 2024 vorgestellt hat, will allerdings die Möglichkeiten der CO2-Abscheidung, -Speicherung und -Nutzung deutlich vorantreiben. Die Kommission plant, einen europäischen Binnenmarkt für industrielles Kohlenstoffmanagement zu schaffen.
Strategie zur Speicherung und Nutzung von CO2
Als integraler Bestandteil der EU-Klimaziele für 2040 legt die Strategie der Kommission den Fokus auf die Förderung von Technologien zur CO2-Abscheidung, Entnahme, Speicherung (CCS) und Nutzung (CCU). Sie setzt sich das ambitionierte Ziel, bis 2040 280 Mio. t und bis 2050 rund 450 Mio. t CO2 in Europa zu reduzieren. Trotz des Ausbaus erneuerbarer Energien und der Entwicklung von Wasserstofftechnologien wird anerkannt, dass einige industrielle Prozesse technisch bedingt nicht vollständig CO2-frei gestaltet werden können – weshalb CCS- und CCU-Technologien als essenziell dafür gelten, Klimaziele zu erreichen. Die Kommission sieht allerdings Herausforderungen im europäischen CO2-Markt, wie Unsicherheiten bezüglich der CO2-Preisentwicklung und einen noch lückenhaften rechtlichen Rahmen. Um diese Herausforderungen zu adressieren, plant sie, Regelungen für den CO2-Transport und die -Speicherung zu erarbeiten, die unter anderem die Marktstruktur und Investitionsanreize klären sollen. Dies soll den Grundstein für einen harmonisierten CO2-Markt in Europa legen – als sinnvolle Ergänzung zur bestehenden Klimapolitik der EU.
Das Potenzial von CCU in einer gemeinschaftlichen Vision
In der Vision einer nachhaltigeren Chemieindustrie nimmt Carbon Capture and Utilization eine zentrale Rolle ein. CCU-Technologien versprechen die Möglichkeit, CO2 nicht als bloßes Abfallproblem zu betrachten, sondern als wertvollen Rohstoff, der in technischen Kreisläufen wiederverwendet wird. Dieser Ansatz ist für die Schaffung geschlossener Kreisläufe fundamental und trägt maßgeblich zur Reduktion von Treibhausgasemissionen bei.
Autor:
Jörg Schappel, Director Safety, Health & Sustainability Kuraray Europe