Mehrweg auch für Wärme
Um Abwärme richtig zu nutzen, hilft ein gesamtenergetisches Objektgutachten. Dieses verbindet alle Optionen so, dass alle Schnittstellen optimal bedient werden.
Vielen Lebensmittelunternehmen ist es in den letzten zwei Jahrzehnten erfolgreich gelungen, Produktionsprozesse bei Lebensmitteln so weit zu optimieren, dass Fehlproduktionen und damit verbundene Defizite auf ein Minimum reduziert werden konnten. Dies ist vor allem durch die Umsetzung von ISO-Standards wie der ISO 9001 (Qualitätsmanagement) gelungen. Bei den energierelevanten Themen ist dies vor allem bei der Vermeidung von Abwärme aus Prozesswärme jedoch oft nicht in aller Konsequenz umgesetzt worden – bedingt durch in der Vergangenheit deutlich niedrigere Energiepreise.
Weitere Gründe sind vielfältig, erfahrungsgemäß spielen oft Unsicherheiten bezüglich der Produktqualität oder ein kurzfristiges spontanes Wachstum der Produktionskapazitäten eine entscheidende Rolle.
Um Abwärme möglichst wirtschaftlich einsetzen zu können, ist ein gesamtenergetisches Objektgutachten erforderlich. Dieses verbindet Chancen und Möglichkeiten so, dass alle Schnittstellen optimal bedient werden und die bestmögliche Win-win-Situation geschaffen wird. In der Vergangenheit wurden Produktionsprozesse und die zugehörigen Energieträger oft getrennt betrachtet – daraus entstanden Insellösungen, die sehr oft bei der Kälte- und Dampferzeugung sowie Wärmebereitstellung vorzufinden waren.
Durch das zielgerichtete Betrachten aller einzelnen Prozessen, den zugehörigen Energieträgern und Effizienzpotenzialen ist es heute möglich, nach der ersten Gesamtbilanzierung der Prozesse alle Daten gesammelt aufzubereiten. Durch die ganzheitliche Betrachtung und Messung von Prozessen ist es jetzt möglich, Synergien so zu schaffen, dass die höchstmögliche Energieeffizienz zwischen Prozessen wie Kälte-, Druckluft-, Klimatechnik-, Abwärme- und anderen Technologien geschaffen wird.
Dieses Zusammenspiel in der ganzheitlichen energetischen Betrachtung gibt den Unternehmen Investitionssicherheit im Bereich der Umrüstung zur Abwärmevermeidung, aber auch bei der Integration von regenerativen Anlagen wie Photovoltaik- oder Solarthermieanlagen. Das Kompetenzzentrum Abwärme unterstützt Unternehmen in Baden-Württemberg auf diesem Weg durch einen kostenfreien Abwärme-Check. Ziel des Abwärme-Checks ist es, das jeweilige Unternehmen bei der groben Ermittlung seines internen Abwärmepotenzials zu unterstützen und zu diesem Bedarf z. B. passende Fachingenieurbüros zu empfehlen, mit denen dann unter Nutzung des hierfür vorgesehenen Landesförderprogramms zielgerichtet weitergearbeitet werden kann.
Dadurch eröffnet sich Unternehmen die Chance, in einer zweistufigen Konzeption, gefördert mit 75 % durch das Landesförderprogramm „Erstberatung und Projektanbahnung Abwärmenutzung“, Potenziale mit Fachleuten in die Praxis umzusetzen. Durch die Unterstützung wird es Unternehmen ermöglicht, zügig Energieeffizienzpotenziale praktisch zu nutzen.
In jeder Branche gibt es, abseits der für Abwärme relevanten Querschnittstechnologien Heizung, Klimatisierung und Druckluft, charakteristische Prozesse, aus deren Einsatz in vielen Fällen auf Abwärmepotenziale geschlossen werden kann. In der Lebensmittelbranche sind dies z. B. Koch-, Back- bzw. Brüden- und Trocknungsprozesse, wobei das Abwärmepotenzial stets aus der Kopplung eines Abwärmeangebots mit einer Wärmenachfrage bestehen kann. Dies müssen nicht zwingend verschiedene Prozessschritte sein, oft ist die Nutzung von Abwärme innerhalb eines Prozesses (sogenannte Vorwärmung, Economizer o. Ä.) möglich. Ein zeitlicher Versatz von Angebot und Nachfrage kann oftmals mittels eines Pufferspeichers überbrückt werden.
Eine Besonderheit in der Lebensmittelbranche ist die fast zwangsläufige Gleichzeitigkeit von Wärme- und Kälteprozessen zur Verarbeitung von Lebensmitteln sowie deren Kühlung im und nach dem Prozess. Die Integration der jeweils für diese Zwecke unabhängig voneinander betriebenen Anlagen bietet oftmals großes Einsparpotenzial.
So wurden z. B. 2022 in der Bäckerei und Konditorei Treiber in Steinenbronn in Baden-Württemberg im Rahmen einer Abwärme-Erstberatung von den auf Bäckereiwesen und Lebensmittelerzeugung spezialisierten Energieeffizienz-Ingenieur:innen der Klima Kontor Planung und Beratung GmbH aus Hamburg zunächst die folgenden Abwärmerückgewinnungsmaßnahmen mit insgesamt signifikanten Effizienzpotenzialen ermittelt:
- Wärmerückgewinnung bei der Druckluft-Kompressor-Anlage,
- Umstellung der Beheizung der Gärvollautomaten und des Gärraumes von elektrischem Strom auf Abwärme über einen Glykol-Kreislauf,
- Optimierung der Backofennutzung und Leerlaufzeiten,
- Umstellung auf klimaneutrale Kälteerzeugung mittels CO2 und der daraus resultierenden Wärmerückgewinnung aus den Aggregaten zur Vorerwärmung des Warmwassers,
- Umverteilung und Neuverschaltung der bestehenden Abwärmenutzung, Erhöhung und Trennung der Temperaturniveaus und Erweiterung der Pufferleistung auf 9.000 l.
Infolge der Umsetzung dieser Maßnahmen wird das Unternehmen in Summe rund 350 MWh/a Energie bzw. 95 t CO2/a einsparen. Zusätzlich können durch vier weitere Energieeffizienzmaßnahmen wie Umstellung der Prozesse für das Filialbacken auf halbgebackene und vakuumkonditionierte Ware, Spitzenlastmanagement sowie Ultraschallvernebelung anstelle eines elektrischen Verdampfers zusätzlich rund 160 MWh/a und etwa 220 t CO2/a vermieden werden. Nachdem das Verhältnis von Kosten zu Aufwand dieser Maßnahmen unter Nutzung des Landesförderprogramms ermittelt wurde, sind aktuell diverse Einzelprojekte auf dem Weg zur Umsetzung. Diese werden aktuell durch das Landesförderprogramm Projektanbahnung Abwärmenutzung begleitet, mithilfe dessen die Klima Kontorist:innen die Umsetzung mit der Bäckerei und Konditorei Treiber auf den Weg bringen.
Bei der Bäckerei und Konditorei Treiber – analog zu Dutzenden anderen Unternehmen unterschiedlichster Branchen – hat sich die Durchgängigkeit des Unterstützungsangebots vom Erstkontakt zum Kompetenzzentrum Abwärme bis hin zur Projektierung der Abwärmevermeidung über die Website (www.abwaerme-bw.de) mittels Einsatz der Landesförderung BW bis hin zur Umsetzung konkreter Projekte bewährt. Zusätzlich zu produzierenden Unternehmen werden neuerdings Rechenzentren als Zielgruppe für das Unterstützungsangebot adressiert.
Ein weiteres beispielhaftes Projekt ist die Abwärmeauskopplung und -einspeisung aus der industriellen Kälteerzeugung und dem Abwasserstrom der Schwarzwaldmilch Freiburg im Rahmen des Projektes Wärmeverbund Freiburg-Süd der Badenovawärmeplus. Zur Anhebung der Niedertemperatur-Abwärme werden Wärmepumpen eingesetzt, so dass ein für das Wärmenetz nutzbares Temperaturniveau von 85 °C erreicht werden kann. Die hier erzeugte Wärme aus Abwärme steht ganzjährig zur Verfügung und wird daher als Grundlast für das Wärmenetz genutzt. Um die Schwankungen der Kälteerzeugung der Schwarzwaldmilch auszugleichen, werden ein Grundlastkälteerzeuger (Absorptionskälteanlage = AKM) sowie ein Eisspeicher verwendet. In Kombination mit weiteren Wärmepufferspeichern kann die Fahrweise ideal zwischen Kältelastprofil und Wärmenetzlastprofil optimiert werden. Die in der AKM zur Kälteerzeugung benötigte Antriebswärme wird über ein BHKW bereitgestellt.
Technische Daten der Wärmeerzeugung aus der Schwarzwaldmilch:
- Dampf-BHKW und Absorptionskälteanlage (AKM) zur Kälteerzeugung,
- 2 MW thermische Energie aus der Kälteerzeugung der Schwarzwaldmilch,
- 1,12 MW thermische Energie aus der Rückkühlwärme der AKM,
- 1,63 MW thermische Energie aus Abwärme des Abwassers und des BHKW.
So können über die rund 4,75 MW Niedertemperatur-Abwärmeauskopplung aus der Schwarzwaldmilch und den weiteren erneuerbaren Wärmeerzeugern, welche in die Netze einspeisen, rund 8.000 t/a gegenüber einer ausschließlichen Erdgasversorgung eingespart werden.
Um die Zahl der initialen Abwärme-Checks und das Wissen in den Betrieben rund um Abwärmenutzung weiter zu steigern, veranstaltet das Kompetenzzentrum Abwärme ab März 2023 die dreiteilige Online-Schulungsreihe „Abwärmenutzung“, welche von der Deutschen Energie-Agentur (Dena) als Fortbildung mit entsprechenden Unterrichtseinheiten anerkannt ist sowie die erste Fachtagung Abwärme Baden-Württemberg am 26. September 2023 im Haus der Wirtschaft in Stuttgart.
Die Bedingungen für erfolgreiche Abwärmeprojekte in der Lebensmittelindustrie sind aufgrund der Vielzahl von thermischen Prozessen in den allermeisten Betrieben sehr gut; für Unternehmen in Baden-Württemberg sind sie zumindest in der Startphase aufgrund der Angebote des Kompetenzzentrums Abwärme und der Förderlandschaft noch etwas besser.
Autoren: Dr.-Ing. Erik Heyden, Dipl.-Ing (FH) Martin Pfränger, Umwelttechnik BW