Die Grenzen des Möglichen neu definieren

Durch eine schnelle und kostengünstige Verfahrensentwicklung können mehr Verfahren bei gleichbleibenden Kosten zur Marktreife entwickelt werden. Wie das geht, zeigt Lonza.
Der Freiheitsgrad in Projekten ist zu Beginn typischerweise groß, der Einfluss von Entscheidungen auf die Spätkosten ebenfalls. Grundlegende Erkenntnisse für die Verfahrensauswahl und die Verfahrensentwicklung möglichst früh zu erlangen hat deshalb den großen Vorteil, dass Kosten in einer späteren Projektphase deutlich reduziert werden können. Hohe Entwicklungskosten resultieren insbesondere dann, wenn in einem bereits weitgehend entwickelten Verfahren ein Schlüsselelement grundlegend umgestaltet werden muss.
Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn es nicht möglich ist, das Rohmaterial aus der Reaktion mit den verfügbaren Aufarbeitungstechnologien auf die geforderten Spezifikationen aufzureinigen. Das Risiko eines grundlegenden Konzeptwechsels in der späten Projektphase kann reduziert werden, indem z. B. nicht zuerst die chemische Reaktion festgelegt und optimiert und erst anschließend die Aufarbeitung untersucht wird, sondern alle Aspekte gleichzeitig betrachtet werden.
Bereits bei der Routenauswahl lässt sich in vereinfachter Weise abschätzen, wie sich die chemische Route auf die Aufarbeitung und auf die Anlagenwahl auswirkt. Vereinfachte Kostenberechnungsmethoden (z. B. auf Basis der Zahl der Einheitsoperationen und der Rohmaterialkosten) schaffen die Basis für eine zeitige und trotzdem ausreichend genaue Entscheidungsgrundlage bei der Routenwahl.

Experimente effizienter gestalten
Die großen Fortschritte in der Automatisierungstechnik und der Online-Analytik in den letzten Jahren erlauben mittlerweile das Betreiben von Forschungslabors im 24/7-Betrieb. Ohne zusätzlichen Personalaufwand kann so der Durchsatz an Experimenten um bis zu 300 % erhöht werden. Gleichzeitig steigt die Informationsdichte durch lückenlose Datenerfassung um Größenordnungen. Neben der Herausforderung, die generierten Daten zeitnah und effizient in Wissen zu verwandeln, erhöht die Möglichkeit eines höheren Durchsatzes im Labor auch die Anforderungen an die Versuchsplanung. Ein Labor, in dem alle Versuche im 24/7-Betrieb durchgeführt werden, erreicht die maximale Effizienz nur dann, wenn die einzelnen Versuche faktisch zum Verständnis des Prozesses beitragen.
Unabhängig vom Automatisierungsgrad werden Versuche zur Beantwortung wichtiger Fragen zu Beginn eines Projektes durchgeführt - auch dann, wenn in vielen Details noch Anpassungen zu erwarten sind. Dadurch wird das Risiko einschneidender Konzeptanpassungen in einer späten Phase der Verfahrensentwicklung minimiert. Exemplarisch können durch den Einsatz von Korrosionssonden (z. B. basierend auf Elektrochemischer Impedanz-Spektroskopie) Informationen zum Korrosionsverhalten in Reaktionsgemischen bereits in wenigen Stunden mit ca. 50 ml Ausgangsmaterial erhalten werden - inklusive Zeitauflösung. Im Vergleich dazu dauern die herkömmlichen Tests ca. 20 Tage und benötigen mehr als das 20fache an Rohmaterial. Sie sind daher oft erst in einer relativ späten Projektphase möglich.

Paralleles Erfassen von Daten
Erfahrungsgemäß lässt sich die Informationsdichte von Laborexperimenten oft deutlich verbessern, indem mehrere Parameter parallel gemessen werden und/oder durch online-Erfassung die Zeitauflösung verfeinert wird. So kann die gleichzeitige Verwendung von verschiedenen Online-Sonden (z. B. Raman, UV, IR) eine rasche Prüfung der Machbarkeit für PAT-Techniken erlauben, oder sicherheitstechnische und kinetische Daten können bereits in einer frühen Phase mit wenig Material in miniaturisierten Geräten kombiniert erfasst werden (z. B. DSC, micro-RC, combined RC).

„Trial and Error"
Viel Effizienz geht bei Prozessentwicklungen verloren, wenn Versuche dazu dienen, konzeptlos Antworten aus einem unbekannten System zu generieren. Die „Trial-and-Error"-Methode wird häufig bei der Auswahl von Lösungsmitteln oder Katalysatoren verwendet. Paralleles Arbeiten (z. B. mit Parallelreaktoren) kann die Kosten zwar auch in diesem Fall reduzieren, effizienter aber ist das Vermeiden der unnötigen Versuche. Modelle können hier Abhilfe schaffen. Auch wenn kaum Stoffdaten vorhanden sind, bringt z. B. die Verwendung quantenmechanischer Modellierungen (e. g. COSMO-RS) große Einsparungen.
Im konkreten Beispiel einer Cyclisierungsreaktion konnten wir die Reaktion innerhalb von 4 Stunden mit 40 verschiedenen Lösungsmitteln modellieren. Die Präselektion von wenigen potentiell geeigneten Lösungsmitteln erfolgte basierend auf der abgeschätzten Stabilisierung von Zwischenprodukt und Produkt. Dadurch wurden viele Versuche, die jeweils 24 h gedauert hätten, überflüssig. Aus dem verbleibenden Spektrum von Lösungsmitteln wurde das für den Gesamtprozess geeignetste ausgewählt und im Anschluss erfolgreich eingesetzt.
Modellierungen helfen uns auch, Destillationen auszulegen und ohne aufwändige Labor- oder Pilotstudien in die Produktion zu implementieren. Dabei lassen sich auch sehr komplexe Aufgaben bewältigen, so zum Beispiel die zeitnahe Auslegung von Verfahren in Trennwandkolonnen für den Mehrzweckbetrieb.
Streng genommen sind auch Pilotierungen „Trial-and-Error"-Versuche. Viele Fragestellungen für die Skalierung eines Laborverfahrens auf Produktionsmaßstab lassen sich nämlich mit theoretischen Ansätzen, Modellen und Laborexperimenten deutlich kosteneffizienter beantworten. Dafür sind aber ein tiefes Verständnis der Verfahren und eine breit abgestützte Fachkompetenz notwendig. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass Technologie-Transfers von Batch-Prozessen mit Pilotierung nicht reibungsloser abliefen als solche, die ganz ohne Pilotierung durchgeführt wurden. Jedoch waren Projekte mit Pilotierung durchschnittlich deutlich teurer und dauerten länger. Im Labor gezielt getätigter Zusatzaufwand zur Erreichung eines höheren Prozessverständnisses zahlt sich aus. Darüber hinaus erweist sich die Kenntnis der entscheidenden Parameter im Labor als äußerst nützlich bei der produktionsbegleitenden Optimierung oder für Untersuchungen für den Ausbau der Prozesse im Produktionsmaßstab.

Zusammenarbeit
Grundlage und wichtigstes Element in der chemischen Verfahrensentwicklung sind unsere Mitarbeiter. Fachliche Exzellenz, Lernbereitschaft und Engagement gepaart mit grossem Teamgeist sind wichtige Punkte bei der Selektion von Mitarbeitern. Fast alle oben genannten Methoden verlangen nach einer intensiven Zusammenarbeit sowohl zwischen den verschiedenen Hierarchiestufen als auch zwischen den Spezialisten verschiedener Fachrichtungen. Integrierte Projektteams mit einer Mischung aus Generalisten und Spezialisten bilden die Basis für die simultane Bearbeitung unterschiedlicher Einheitsoperationen und erhöhen die Kreativität. Ein in der Verfahrensentwicklung erfahrener Projektleiter koordiniert die Arbeit eines solchen Teams und sorgt dafür, dass das Team auch auf Veränderungen der Rahmenbedingungen rasch reagiert und auf ein klar definiertes Ziel hinarbeitet.Spezialisierte firmeninterne und externe Partner ermöglichen den Einbezug neuer Technologien und Arbeitsmethoden. Einen weiteren entscheidenden Einfluss auf die Effizienz von Verfahrensentwicklung (und wohl auch auf alle anderen Bereiche) hat die Firmenkultur. Die Offenheit, vorhandenes Wissen untereinander zu teilen, ermöglicht schnelles Lernen in der Organisation. Neugierde und eine konstruktive Fehlerkultur ermöglichen es, die Grenzen des Möglichen neu zu definieren.

Dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag der Autoren bei der ProcessNet-Jahrestagung 2014 in Aachen.

 

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