Ein Anaerobreaktor erzeugt Biogas aus Molkereiabwässern

Energie gewinnen statt verbrauchen: Eine gemeinsame Behandlung von flüssigen Abfällen und Abwasser, bei der Biogas entsteht, ist für Molkereien eine interessante Alternative zur herkömmlichen Abwasserbehandlung und Entsorgung. Angesichts weltweit steigender Herausforderungen durch Abwasser-Regularien oder CO2-Richtlinien wird sie zu einem echten Zukunftsthema für Milchproduzenten.

Immer mehr Molkereien stehen vor einem Problem: Wohin mit ihren Flüssigabfällen? Klärschlamm in der Landwirtschaft auszubringen ist angesichts der Überdüngungs-Problematik oder der Hygiene kaum noch eine Option. Die Herausforderung der Molkereien: Ihre Abwässer haben meistens eine sehr hohe organische Fracht. Abwasser fällt z. B. bei Reinigungs- und Spülvorgängen in der Produktion an. Gerade im ländlichen Raum, wo sich Molkereien häufig befinden, sind die örtlichen Kläranlagen aber nicht auf solch hohe Lasten organischer Fracht ausgelegt. In zahlreichen Ländern weltweit sind milchverarbeitende Betriebe gar nicht an öffentliche Kläranlagen angeschlossen.

Weltweit müssen Molkereien ihre Abwässer also selbst entsorgen, oder, bevor sie sie in die öffentliche Kanalisation einleiten dürfen, zunächst einmal selbst vorreinigen. „Meistens geschieht das über aerobe biologische Anlagen, was die Zuführung von Sauerstoff notwendig macht“, sagt Dennis Wiedenhaus, Projektleiter bei Envirochemie: „Das ist teuer und kostet viel Energie.“

Anaerobe Alternative – spart Strom

Einen anderen Weg geht Envirochemie deswegen im Auftrag einer großen Molkerei in Marokko, die zu einem international operierenden Lebensmittelkonzern gehört: Anstatt die Flüssigkeitsabfälle komplett zu entsorgen setzt, man hier auf eine Aufbereitung zu Biogas. Dazu installierte Envirochemie einen großen Anaerob-Bioreaktor arbeitet: Unter Ausschluss von Sauerstoff werden die Flüssigabfälle verstoffwechselt, es entstehen Methan (CH4), also Biogas, und Kohlenstoffdioxid (CO2).

Das ist doppelt von Vorteil: Zum einen ist die anaerobe Verfahrensweise energiesparender als das aerobe Vorgehen. Der hochbelastete Abwasserteilstrom aus der Produktion wird separat im Anaerobreaktor vorbehandelt. Damit wird die aerobe Abwasserbehandlung mit Fracht entlastet, das spart Energie für die Belüftung der aeroben Biologie. „Allgemein lässt sich auf diese Weise bis zu 30 % des Stromverbrauchs reduzieren“, sagt Wiedenhaus.

Der andere Vorteil besteht darin, dass das Biogas als Energie genutzt werden kann. In der Molkerei in Marokko wird damit Dampf erzeugt, um die Milch zu erhitzen und zu pasteurisieren. Der Kunde von Envirochemie spart dadurch zusätzlich auch rund 30 % Öl. „Wir ziehen den Energiewert aus dem Abfall“, beschreibt es Wiedenhaus. Zwar bleibt auch hier am Ende ein gewisser Rest an Feststoffen und Flüssigabfällen zurück, aber insgesamt deutlich weniger. Die Molkerei entlastet also nicht nur ihre Abwasseranlage, sondern spart auch erheblich an Entsorgungskosten. Ausgelegt ist der Bioreaktor auf eine CSB-Fracht von bis zu 13  pro Tag. Mehr als 95 % der CSB-Fracht werden dabei in Biogas verwandelt.

Die Experten von Envirochemie hatten im Vorfeld eine ausführliche Reihe an Tests und Studien durchgeführt, um die beste Lösung für die marokkanische Molkerei zu entwickeln und die Systemgrenzen auszuloten. Danach schlugen sie u. a. vor, nicht nur die Molke aus der Hauptproduktion in den Bioraktor einzuspeisen, sondern auch andere Produkte mit zu verwerten – wie z. B. die Flotatschlämme und den Schlamm aus der bestehenden biologischen Behandlungsanlage. Zusätzlich zu den rund 80 m3 Molke kommen so etwa 160 m3 weitere Flüssigabfälle mit hohem Energiewert hinzu. Ebenfalls verwertet werden täglich bis zu 12 m3 Produktrückläufer sowie abgelaufene Milch.

Maßgeschneiderte Lösungen

„Expertise ist wichtig“, unterstreicht Wiedenhaus. Molkereien sind oft historisch gewachsen, haben ganz individuelle Arbeitsprozesse und eigene Kreisläufe: „Wer hier helfen will, muss immer in maßgeschneiderten Lösungen denken und eigene Berechnungen beisteuern können.“ Gerade im Fall der Biogas-Erzeugung geht es schließlich meist darum, bestehende Abwasseranlagen zu erweitern und so nachzurüsten, dass die neuen Methoden gut integriert werden. „Nachhaltigkeit wird für Molkereien immer wichtiger“, sagt Wiedenhaus.

Ein Trend, der sich eher noch verstärken wird: Weltweit werden auf nationaler oder internationaler Ebene strengere Abwasserregularien erlassen, hinzu kommen Regeln zur CO2-Bilanz, zum Wasserfußabdruck oder allgemeine Initiativen zu nachhaltigem Wirtschaften in der Industrie. Immer mehr Unternehmen verlangen in diesem Zusammenhang auch entsprechende Zertifizierungen von ihren Milchproduzenten. „Was diese Molkerei derzeit mit der von Envirochemie entwickelten anaeroben Technik macht, ist in der Art und Größenordnung etwas Besonderes, selbst für einen globalen Großkonzern – in ein paar Jahren aber werden das ganz viele machen“, sagt Wiedenhaus.

Strategischer Nachhaltigkeitseffekt

Der Bedarf an Milchprodukten wird weltweit weiter ansteigen – u. a. getrieben durch eine steigende Nachfrage in Asien. Aufgrund all dieser Umstände lohne sich auch die Investition in entsprechende Anlagen, ist Wiedenhaus überzeugt: „Zusätzlich zu den üblichen Amortisationszyklen von etwa drei Jahren kommt hier ja noch der strategische Nachhaltigkeitseffekt dazu.“

Envirochemie kann als Partner in solchen Projekten mit einem weiteren Vorteil punkten: Die Anlage wird in Deutschland gefertigt und in Form von kompletten Modulen geliefert. Das erleichtert in vielen Fällen die Herausforderung bei Baurechten oder Umweltvorschriften und verkürzt die Bauzeit vor Ort: „Wir haben sehr viel Erfahrung an ganz vielen Standorten weltweit“, sagt Wiedenhaus. „Auch mit den unterschiedlichen klimatischen und kulturellen Bedingungen kennen wir uns aus.“ Milchwirtschaft ist und bleibt auch in Zukunft ein globales Geschäft.

 


CO2-Bilanz verbessern mit der Behandlung von Flüssigabfall
Die Molkerei in Marokko verarbeitet folgende flüssigen Abfälle und Reststoffe mit der Anearob-Technik:

  • Etwa 160 m3/Tag Flotationsschlämme und Schlamm aus der biologischen Abwasserbehandlungsanlage,
  • 80 m3/Tag Molke,
  • 12 m3/Tag Produktrückläufer und abgelaufene Milch.

Nachhaltiges Anlagenkonzept

In dieser besonderen Anlagenlösung werden aus Schlämmen und Flüssigkeitsabfällen u. a. Biogas erzeugt und Ressourcen gespart:

  • 30 % Stromeinsparung: durch die Vorbehandlung des Produktionsabwassers mittels Anaerobtechnik wird die aeroben Abwasserbehandlung (Belüftung) entlastet
  • 30 % Öleinsparung durch erzeugtes Biogas, das zur Dampferzeugung genutzt wird.
  • Einsparung von Entsorgungskosten: flüssige Abfälle, Reststoffe und Schlämme werden biologisch aufbereitet statt sie zu entsorgen.

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