Humane Oligosaccharide als Nahrungsergänzungsmittel für Erwachsene

Humane Oligosaccharide (HMO) werden seit längerem als Nahrungsergänzungsmittel eingesetzt. Aufgrund von gesundheitlichen Vorteilen wie z. B. einem präbiotischen Effekt und der Förderung der Entwicklung eines gesunden Darmmikro­bioms finden sie vor allem in der Babynahrung Verwendung. Weniger bekannt sind nachgewiesene positive gesundheitliche Effekte beim Einsatz in der Ernährung von Erwachsenen. Dazu gehören neben dem gesünderen Darmmikrobiom und anti-infektiösen Wirkungen auch positive Effekte bei Erkrankungen wie einem Reizdarm.

Humane Oligosaccharide (HMO) sind funktionelle Zucker, die nachgewiesen bei Babys und Kleinkindern gesundheitliche Effekte wie die Entwicklung eines gesünderen Darmmikrobioms fördern. Zudem schützen sie das Neugeborene vor viralen und bakteriellen Infektionen, senken das Risiko von Allergien und unterstützen die neuronale Entwicklung und Funktion. Es handelt sich um dekonjugierte, komplexe Glykane, die aus verschiedenen Monosacchariduntereinheiten, spezifisch Glucose, Galactose, L-Fucose, N-Acetylneuraminsäure und N-Acetylglucosamin, zusammengesetzt sind. Die fünf am häufigsten vorkommenden HMOs sind 2‘-Fucosyllactose (2`-FL), 3-Fucosyllactose (3-FL), Lacto-N-tetraose (LNT), 3`Sialyllactose (3`-SL) so-wie 6`-Sialyllactose (6`-SL).

Alle kommen in natürlicher Form in der Mutter­milch vor, aber können seit mehreren Jahren von Unternehmen wie der Jennewein Biotechnologie GmbH in Rheinbreitbach auch industriell hergestellt werden. Für die Produktion wird bei Jennewein ein selbstentwickelter Prozess verwendet, der auf bakterieller Fermentation basiert und unter FSSC 22000 und ISO 9001 abläuft. Bei 2`-FL, dem am meisten in der Mutter­milch vorkommenden HMO, können so mehr als zehn Tonnen pro Jahr gewonnen werden. Das Produkt wird als sprühgetrocknetes Pulver angeboten, das zum größten Teil in Babynahrung Verwendung findet.

Auch Erwachsene profitieren von HMOs
Die beschriebenen positiven gesundheitlichen Effekte bei Babys und Kleinkindern sind seit langem bekannt. Bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts ist bekannt, dass humanspezifische komplexe Oligosaccharid-Strukturen für die Säuglingsgesundheit von zentraler Bedeutung sind. Damals wurde festgestellt, dass gestillte Säuglinge eine bis zu sieben Mal geringere Kindersterblichkeit aufwiesen als nichtgestillte Säuglinge. Der deutsch-österreichische Kinderarzt, Bakteriologe und Professor Theodor Escherich (1857–1911) sowie der deutsche Kinderarzt Ernst Moro (1874–1951) konnten bereits Anfang des 20. Jahrhunderts zeigen, dass humane Milch-Oligosaccharide u. a. aufgrund ihrer präbiotischen Wirkung die Entwicklung der Darmflora und somit die Gesundheit des Säuglings positiv beeinflussen.

Seit längerem gibt es allerdings nun auch klare Hinweise, dass diese Effekte auch bei Erwachsenen vorhanden sind. So haben Kelly M. Craft und Steven D. Townsend 2017 in einer Studie [1] positive Effekte bei der Nutzung von HMOs als antibakterielle Schutzgerüste gegen Infektionen nachgewiesen. Dabei gibt es zwei Schutzmechanismen. Zum einen fördern HMOs das Wachstum und damit die Dominanz symbiotischer Bakterien wie Bifidobakterien, da diese die HMOs verstoffwechseln können. Durch die vermehrte Metabolisierung der Zucker setzen die HMO-Konsumenten organische Säuren frei, wodurch das Wachstum pathogener Mikroorganismen eingeschränkt wird.

Zum anderen wirken sie als anti-adhäsive Antimikrobiotika, in dem sie lösliche Köderrezeptoren für Pathogene darstellen. Glycanstrukturen, die denen der HMOs ähneln und an den Oberflächen von humanen Epithelzellen expremiert werden. Sie dienen für eine Mehrzahl von viralen und bakteriellen Pathogenen als Rezeptoren, an die sie binden und damit eine Infektion einleiten. HMOs, die nicht von Menschen verstoffwechselt werden können, werden vornehmlich von den Pathogenen erkannt, so dass eine Bindung an die humanen Zellen und damit das Risiko einer Infektion reduziert wird.

Verbesserungen bei Reizdarmerkrankung
Das Reizdarmsyndrom ist eine häufig vorkommende Erkrankung, die durch abdominalen Schmerz, vermehrte gastrointestinale Bewegung und viszerale Hypersensitivität gekennzeichnet ist und häufig mit einem Ungleichgewicht des Darmmikrobioms einhergeht.
Palsson et al. haben in einer Studie[2] nachgewiesen, dass HMOs beim Reizdarmsyndrom deutlich helfen können. Sie fördern u. a. das Wachstum von Bifidobakterien, was zu einer verbesserten Balance des Darmmikrobioms führt und somit indirekt die Symptome der Erkrankung lindert. Zudem vermuten die Forscher auch einen positiven Einfluss auf die Darm­motilität sowie auf Eingeweideschmerzen. Im Rahmen der Studie nahmen die Probanden täglich 5 g 2’FL und Lacto-N-neotetraose (LNnT) im Verhältnis 4:1 zu sich. Die Resultate der Studie deuten an, dass die orale Zugabe der beiden HMOs als Nahrungsergänzung signifikant eine abnormale Stuhlkonsistenz, abdominale Schmerzen und Blähungen reduzieren kann und den allgemeinen Gesundheitszustand von an Reizdarm erkrankten Patienten deutlich steigert.

In einer ähnlichen Studie[3] kommen auch Elison et al. ebenfalls zu dem Schluss, dass 2’FL und Lacto-N-neotetraose (LNnT) einen positiven Einfluss auf das Darmmikrobiom bei Erwachsenen haben können. Bei einer anderen Studie [4] wiesen wiederum Kelly M. Craft und Steven D. Townsend nach, dass HMOs das Wachstum und die Biofilmbildung von pathogenen Bakterien inhibieren können. Das ist besonders bei der Gruppe der Streptokokken der Fall. Dort können sie eine effektive Ergänzung bei der Verwendung von intrazellulär ausgerichteten Antibiotika sein, weil sie die Durchlässigkeit der Membrane für solche Antibiotika bei pathogenen Bakterienzellen erhöhen können. Nicht zuletzt konnte in einer kürzlichen Studie [5] zudem auch ein positiver Effekt von HMOs auf das Erinnerungsvermögen von Nagern nachgewiesen werden. Die Einnahme von HMOs durch Erwachsene könnte einen ähnlichen Effekt haben, jedoch gibt es hierzu bislang keine Studien.

HMO-Produkte für Erwachsene
Für die Verwendung von HMOs als Nahrungsergänzungsmittel kommt positiv hinzu, dass bislang noch keinerlei negative Nebenwirkungen aufgetreten sind. Dementsprechend interessant ist der Markt für Erwachsenennahrung für die Hersteller. „Erwachsenennahrung ist ein großes Thema für uns, da es sich um einen sehr großen Markt handelt. Wir haben in einem ersten Schritt Sachets mit HMOs für Endverbraucher entwickelt. Das wird in Zukunft weiter vertieft werden“, erläutert Dr. Katja Parschat, Deputy Head of Research and Development der Jennewein Biotechnologie GmbH. Vorteilhaft ist dabei die Tatsache, dass es bei der Produktion von HMOs für Erwachsenennahrung keinerlei Unterschiede zu der für Babynahrung gibt, da beide den gleichen Regularien unterliegen. Vorhandene Prozesse können also benutzt werden. Lediglich die Darreichungsformen und die Konzentrationen unterscheiden sich. Sie richten sich dabei nach den jeweiligen Zulassungen in den verschiedenen Regionen der Erde. Zulassungen für 2‘-FL z. B. sind u. a. für die USA, Europa, Israel, Kanada und Hong Kong vorhanden.

Bereits seit längerem im Markt ist die Produktreihe Mum´s Sweet Secret von Jennewein. Sie umfasst u. a. HMO-Sticks zum Einrühren in die Nahrung. Die Variante 2‘-FL ist dabei das erste Produkt der Reihe, das speziell für Erwachsene und Kinder ab zwölf Jahren konzipiert ist. Es enthält ausschließlich das humane Milch-Oligo­saccharid 2‘-Fucosyllactose, welches in praktischen, vordosierten Sticks verpackt ist. 2‘-FL unterstützt das Wachstum gesundheitsfördernder Mikroorganismen. Mit der Einführung eines 5 HMO Mix, der dann die fünf am häufigsten vorkommenden HMOs 2‘-Fucosyllactose (2`-FL), 3-Fucosyllactose (3-FL), Lacto-N-tetraose (LNT), 3`Sialyllactose (3`-SL) sowie 6`-Sialyllactose (6`-SL) enthalten wird, wird in absehbarer Zeit die nächste Generation von HMO-Produkten hinzukommen.

Die HMOs von Jennewein sind daneben aber auch in weiteren Produkten anderer Anbieter verarbeitet. Ein Beispiel ist die Produktfamilie Ultra GI Replenish. Sie wird von dem US-Hersteller Metagenics angeboten. Es handelt sich um Medical Food, das Menschen mit Darmproblemen bei ihrer täglichen Ernährung unterstützen soll. Neben präbiotischen Isomalto-Oligo­sacchariden (IMO) ist auch 2‘-FL ein wesentlicher Bestandteil der Rezeptur. Ein anderes US-Produkt, das 2´-FL aus Rheinbreitbach enthält, ist GI Stability des Anbieters Standard Process. Auch dieses richtet sich auf die Linderung von Darmproblemen. Reine 2‘-Fucosyllactose (2‘-FL) in Kapselform, das von Jennewein produziert wurde, vertreibt dagegen das niederländische Unternehmen Ergomax.
Seit Ende September ist Jennewein ein Bestandteil der Chr. Hansen Holding A / S, einem führenden global aufgestellten Biowissenschaftsunternehmen, das natürliche Inhaltsstoffe für die Lebensmittel, Ernährungs-, Pharma-, und Agrarindustrie entwickelt, und alle Anteile an dem deutschen Unternehmen erworben hat.
 


Literatur:
[1] Craft, Kelly, et al: The Human Milk Glycome as a Defense Against Infectious Diseases: Rationale, Challenges, and Opportunities; In: ACS Infect Dis. 2018 February 09; 4(2): 77–83
[2] Palsson, Oladur, et al: Human Milk Oligosaccharides Improve All the Central Symptoms of Irritable Bowel Syndrome: A Multi-Center, Open Label Trial; In: The American Journal of GASTROENTEROLOGY, VOLUME 00 | SUPPLEMENT |2019, S. 466-468
[3] Elison, Emma, et al: Oral supplementation of healthy adults with 2‘-fucosyllactose and lacto-N-neotetraose is well tolerated and shifts the intestinal microbiota, In: British Journal of Nutrition (2016), 116, S. 1356–1368
[4] Craft, Kelly, et al: Mother Knows Best: Deciphering the Antibacterial Properties of Human Milk Oligosaccharides; In: American Chemical Society 2019, 52, S. 760−768
[5] Vazquez, Enrique, et al:: Dietary 2’-Fucosyllactose Enhances Operant Conditioning and Long-Term Potentiation via Gut-Brain Communication through the Vagus Nerve in Rodents, In: PLOS ONE | DOI:10.1371/journal.pone.0166070 November 16, 2016

Meist gelesen

Photo
13.11.2024 • PraxisberichteLebensmittel

KI als Gamechanger

Die Chance besteht, mit KI die Produktivität zu steigern, Lebensmittel nachhaltig und sicher zu liefern und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden zu verbessern.

Photo
11.09.2024 • PraxisberichtePharma

Spritzen mit RFID-Chip

Wie kann die Sicherheit von Arzneimitteln noch gesteigert werden? Tracing, tracking, and packaging in der biopharmazeutischen Produktion ist ein Lösungsweg. Mit Hilfe von RFID-Sendern wird die individuelle Nachverfolgbarkeit einer jeden Spritze während des gesamten Produktionsprozesses gewährleistet.