Mit Digitalisierung und Simulation zur Transformation der chemischen Industrie

Welchen Beitrag kann die Wissenschaft leisten, damit die Transformation der chemische gelingt? Antworten zeigte der zweitägige Workshop Mathematical Methods in Process Industry Anfang Oktober am Fraunhofer-Institut für Wirtschafts- und Technomathematik ITWM in Kaiserslautern auf. Im Diskurs der Experten zeigte sich, dass Digitalisierung und Simulation Teil der Lösung und nicht des Problems sind.

Teilnehmende des internationalen Workshops Mathematical Methods in Process...
Teilnehmende des internationalen Workshops Mathematical Methods in Process Industry. © Fraunhofer ITWM

Die chemische Industrie in Deutschland befindet sich im Umbruch: Hohe Energiepreise, eine schwächelnde Gesamtwirtschaft und ambitionierte Klimaziele führen zu tiefgreifenden Veränderungen in der Energieversorgung, der Prozessentwicklung und der Koordination von Produktions- und Lieferprozessen. Die Geschwindigkeit, mit der Antworten auf diese neuen Herausforderungen gefunden werden müssen, ist enorm – und viel zu groß, als dass traditionell empirische Vorgehensweisen hier verlässlich zum Ziel führen könnten. Die Digitalisierung von Prozessen ist daher im industriellen Fokus, um die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz, zur Verkürzung des Time-to-Market und zur Steigerung der Resilienz von Produktionsprozessen und Lieferketten frühzeitig zu evaluieren. Darüber hinaus kann die Virtualisierung von Prozessen Entscheidungen unterstützen, indem Optionen transparent und vergleichbar gemacht werden.

Praxisrelevante Innovation

Unter diesen Vorzeichen fand der internationale Workshop „Mathematical Methods in Process Engineering“ am Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern statt, organisiert durch das Leistungszentrum Simulation und softwarebasierte Innovation. In sechs Sessions berichtete jeweils ein renommierter akademischer Forscher von seinen Arbeiten, Vertreter und Vertreterinnen der Industrie stellten dem ihre Anforderungen und Fortschritte gegenüber und Mitarbeitende von Fraunhofer und RPTU Kaiserslautern illustrierten, wie Forschung in Form von praxisrelevanter Innovation den Weg in die Anwendung findet.

BASF plant CO2-Neutralität bis 2050

Den inhaltlichen Rahmen des Workshops setzte Alice Glättli, Senior Vice President bei der BASF in ihrer Keynote. Das Erreichen der ehrgeizigen Klimaziele der BASF – CO2-Neutralität bis 2050 – ist nur mit dem Einsatz von Modellierung, Simulation und Optimierung, sowohl daten- wie wissensbasiert als auch auf den unterschiedlichen Skalen – vom Molekül über Mischungseigenschaften bis hin zu Apparaten, Anlagen, Verbünden und globalen Lieferketten – möglich. Dies demonstrierte Glättli anhand repräsentativer Projekte wie der Methanpyrolyse oder der neuesten Wärmepumpentechnik der BASF in Ludwigshafen (Power-to-steam).

 

Alice Glättli, Senior Vice President, Central Research, BASF, hielt die...
Alice Glättli, Senior Vice President, Central Research, BASF, hielt die Keynote die Anwendung mathematischer Methoden der BASF auf dem Weg zu NetZeo 2050. © Fraunhofer ITWM

Erfolge dank Methoden des maschinellen Lernens

So zeigten die verschiedenen Beiträge, dass mit Methoden des maschinellen Lernens auch in der Anwendungsdomäne der chemischen Verfahrenstechnik, die traditionell eher mit wissensbasierten Modellen arbeitet, sichtbare und verwertbare Erfolge erzielt werden. Beispiele sind Graph Neural Networks zur Vorhersage von Stoffeigenschaften, die Molekül- und Stoffauswahl (Kai Sundmacher, MPI Magdeburg), Bayes-basierte ML-Methoden als Globalisierungsstrategie bei der modellbasierten Prozessoptimierung (Norbert Asprion, BASF), der Einsatz von Surrogaten bei der rigorosen mathematischen Optimierung (Larry Biegler, CMU), das Modellieren unbekannter Mischungen (Fabian Jirasek, RPTU Kaiserslautern-Landau) und die Integration von qualitativem Nutzerwissen, wie Monotonien, in ML-Verfahren (Jochen Schmid, Fraunhofer ITWM).

Relevante Querschnittsthemen

Der stark skalenübergreifende, interdisziplinäre Aspekt wurde ebenfalls in verschiedenen Beiträgen aufgegriffen. Angefangen beim virtuellen Design von Katalysatorformen (Arne Hoffmann, BASF) über die Formoptimierung von Reaktoren (Sebastian Blauth, Fraunhofer ITWM) und die Prozessintensivierung auf Basis von multiplen Trennwandkolonnen (Thomas Grützner, Universität Ulm), der Kombination von Membran- und Destillationstechnologie (Mirko Skiborowski, TUHH) und Ohmscher Reaktoren (Sebastian Osterroth, Fraunhofer ITWM) wurden auch Prozessketten (sowohl aus der Sicht von AirLiquide von Vanessa Gepert wie aus Bayer-Sicht von Thomas Runowski und aus Arxada-Per­spektive von Daniel Staak) bis hin zu digitalen Lieferketten (Ignacio Grossmann, CMU) inhaltlich intensiv diskutiert.

Die Entscheidungsunterstützung beim Design des Produktportfolios (Helene Krieg, Fraunhofer ITWM), der numerisch effiziente Umgang mit Modellunsicherheiten (Tobias Seidel, Fraunhofer ITWM) sowie die Frage des Managements von Veränderungen, die mit digitalen Technologien einhergehen, innerhalb von Unternehmen (Mattias Schmidt, P&G) bildeten Querschnittsthemen.

Neuauflage in zwei Jahren

Es war ermutigend zu sehen, wie alle Beteiligten weniger die Größe von Problemen als vielmehr die Möglichkeit von Lösungen diskutierten. Eine Neuauflage der Veranstaltung ist in zwei Jahren geplant.

Autor:

Michael Bortz   Michael Bortz, Abteilungsleiter Optimierung – Technische Prozesse und stellvertretender Bereichsleiter Optimierung, Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM

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Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM

Fraunhofer-Platz 1
67663 Kaiserslautern

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