Vom Metaverse der industriellen Instandhaltung
Die Kompressoren des Schweizer Unternehmens Burckhardt Compression werden in der Energie- und Chemieindustrie eingesetzt, wo eine extrem hohe Verfügbarkeit gefordert wird. Der Kompressorenhersteller arbeitet gemeinsam mit PTC daran, die Softwarelösungen für Remote Service, IoT und Augmented Reality in der Praxis effizient und gewinnbringend einzusetzen. Die Zukunft der Instandhaltung sehen die Partner im industriellen Metaverse.
Die Kompressoren des Schweizer Maschinenbauers haben eine Lebensdauer von 40 bis 60 Jahren. Das macht den Service zu entscheidenden Faktoren für den Unternehmenserfolg, weiß Helmut Draxler, Chief Digital and Information Officer (CDIO) bei Burckhardt Compression: „Dabei wandeln sich die Herausforderungen im Service: Erfahrene Mitarbeiter gehen in Rente, die Geräte werden immer komplexer. Kunden führen Wartungsarbeiten selbst durch oder beauftragen Drittfirmen. Und nicht zuletzt hat uns Corona die Nachteile eines Servicemodells gezeigt, das darauf basiert, dass einer unserer Techniker zum Kunden reist.“
Digitale Technologien bieten neue Möglichkeiten
Unter dem Namen UP! Solutions bietet Burckhardt Compression digitale Lösungen, mit denen sich die Kompressoren in Echtzeit überwachen und aus der Ferne in Zusammenarbeit mit dem Nutzer warten lassen. Die Anlagen werden mit Sensoren versehen, die ständig Daten wie Schwingungen oder Temperatur sammeln. Diese Daten werden dann ausgewertet und bspw. zur Erkennung von Anomalien oder zur Terminierung von Servicearbeiten ausgewertet.
„Der Kampf um Talente ist auch im Servicebereich Realität“, sagt Draxler. „Wir müssen die eigenen Leute ertüchtigen, damit sie effizienter arbeiten können und neue Mitarbeiter möglichst schnell an Bord holen können. Zudem müssen wir Möglichkeiten entwickeln, die Servicetechniker des Kunden so zu unterstützen, dass sie mit Hilfe unserer Leute Arbeiten durchführen können. Dafür haben wir ein Werkzeug gesucht und es war uns schnell klar, dass es dabei um ein AR-System gehen muss. Nur so ist gewährleistet, dass man an der richtigen Maschine die richtigen Dinge tut.“
Software für umfassenden Remote-Service
Das Unternehmen PTC bietet mit der Maschinenanbindungssoftware Kepware, der IIoT-Plattform ThingWorx und dem AR-System Vuforia die passenden Werkzeuge an, mit denen sich die gewünschte Lösung aufbauen lässt. Dabei arbeiten die Partner eng zusammen, um die PTC-Lösungen an die Anforderungen der Praxis anzupassen.
„Unser Ziel ist ein ‚Wingman‘-Konzept“, so Draxler weiter, „bei dem erfahrene Techniker den Kollegen vor Ort beiseitestehen, ihnen Best-Practices zeigen und sie beraten können. Das System muss alle Informationen kontextbezogen zur Verfügung stellen – heute hat niemand mehr Zeit, tausend Seiten dicke Ersatzteilkataloge oder Dokumentationen zu wälzen und herauszufinden, welche Seite denn nun gerade relevant ist. Mit Hilfe von QR-Codes, die man mit dem Tablet scannt, oder später einmal mit einfacher Bilderkennung erkennt das System, um welche Maschine es sich handelt und ob der Techniker überhaupt an der richtigen Maschine steht. Genauso erkennt das System, um welche Baugruppen es gerade geht und bietet die passen den Informationen an.“
AR-Lösung lernt dazu
Die Augmented-Reality-Lösung von PTC kann noch mehr, indem sie Abläufe „lernt“ und weitergeben kann. Dabei beobachtet das System einen Experten bei einem Ablauf, stellt Anweisungen für das Anlernen weniger erfahrenen Kollegen zusammen und überwacht die Lernphase. Das System erkennt etwaige Abweichungen vom Normprozess und gibt dem Techniker Hinweise dazu.
„Schon in der ersten Phase sehen wir Effizienzgewinne“, berichtet Draxler, „da sich der Techniker gut auf die bevorstehenden Reparaturen oder Wartungsarbeiten vorbereiten und nötige Ersatzteile beschaffen kann. Um noch bessere Ergebnisse zu bekommen, arbeiten wir daran, Vuforia Instruct mit einer Wissensdatenbank zu verbinden. Diese Datenbank kann schon bisher von den Servicetechnikern mit Informationen und Notizen gefüllt werden, aber das war relativ komplex. In Zukunft kann er direkt mit dem Tablet Fotos machen, Schlagworte dazu wählen und die Informationen dann hochladen. So wird die Datenbank schneller gefüllt und die Datenqualität ist besser.“
„Das ist ein gutes Beispiel für den einfachen Informationszugang, den die PTC-Lösung bietet“, ergänzt Draxler. „Ein Techniker dokumentiert ein Schadensbilds, eine Reparatur oder eine andere interessante Information und die Kollegen haben sofort Zugriff darauf. Heute haben wir viele dieser Informationen, aber sie sind schlecht zu finden, unstrukturiert und über mehrere Systeme verteilt. Ein möglichst einfach zu bedienendes Frontend-Tool ist die einzige Chance, diese Daten besser und umfassender zu erhalten.“
Die Zukunft liegt im industriellen Metaverse
Dieses entwickeln PTC und Burckhardt gemeinsam weiter, dabei liefert der Kompressorenhersteller wertvollen Input aus der Praxis, um die Benutzerfreundlichkeit der Lösung immer weiter zu optimieren – doch die Ambitionen der beiden Partner reichen noch weiter. Denn die Zukunft sieht Draxler im industriellen Metaverse, in dem sich Realität und virtuelle Daten vermischen und von realen und als Avatar anwesenden Personen genutzt werden. „Wir können dabei zwei Techniker, in ein gemeinsames Metaverse versetzen und so den Faktor ‚Distanz‘ nahezu komplett eliminieren“, beschreibt Draxler, „auch wenn einer der beiden hier in Winterthur sitzt und der andere vor Ort beim Kunden. Die Augmented Reality-Technologie ermöglicht es dabei, dass beide in derselben Umgebung sind – der eine real, der andere virtuell. So vermischen sich Realität und digitale Daten in einem virtuellen Zusammenarbeitsraum.“
Den Digitalen Zwilling aktuell halten
Eine der großen Herausforderungen dabei ist, dass die realen Maschinen meist sehr schnell vom As-built-Status abweichen – mit der Zeit weicht der digitale Zwilling immer stärker vom Original ab. Eine der Ideen, die von den Partnern verfolgt wird, ist eine Bilderkennung, die Veränderungen an der Maschine erkennt und markiert. Das erleichtert die Bestandsaufnahme vor dem Service und bringt den digitalen Zwilling schnell auf den neuesten Stand. „Das Metaverse ist sozusagen das MS Teams für industrielle Anwendungen“, erläutert Draxler. „Zudem wird Burckhardt die ersten Kompressoren mit der PTC IIoT Plattform ThingWorx in diesem Jahr integrieren.“
„Bei Burckhardt verfügen wir nicht nur über ausgezeichnetes Kompressoren Know-how, sondern haben auch modernste digitale Lösungen entwickelt, um unsere Kunden noch besser zu unterstützen. Dieses Wissen bringen wir in die Zusammenarbeit mit PTC ein. Dies ist ein großer Schritt nach vorn und wir sind sehr dran interessiert, mit der Vuforia AR-Lösung gemeinsam mit PTC Mehrwerte bei unseren Kunden zu generieren“, so Fabrice Billard, CEO bei Burckhardt Compression.
Autor: Ralf Steck, Fachjournalist für Burkhardt Compression