Wasserstoff aus industriellem Abwasser

Bis 2050 könnten rund 40 Prozent der Weltbevölkerung von Wasserknappheit betroffen sein. Der steigende Wasserbedarf durch Klimawandel und Bevölkerungswachstum erfordert innovative Wasseraufbereitungstechnologien. Abwasser aus kommunalen und industriellen Kläranlagen bieten alternative Wasserquellen, um Verteilungskonflikte zu vermeiden und die Trinkwasserqualität zu sichern. Besonders die Wasserstoffproduktion benötigt große Mengen Wasser, was die Situation zusätzlich verschärft. Durch die Nutzung industriellen Abwassers können lokale Quellen effizient genutzt werden, um den Wasserbedarf auch für die Wasserstoffproduktion zu decken und das Trinkwassernetz zu entlasten.

Autor: Dr.-Ing. Robert Lutze, Dr.-Ing. Tobias Blach, Alexander Ghazinuri, EnviroChemie

Neue Technologien zur Wasseraufbereitung sichern die Trinkwasserqualität und unterstützen die Wasserstoffproduktion.

Bis 2050 werden voraussichtlich rund 40 % der Weltbevölkerung in Regionen leben, die von Wasserknappheit betroffen sind. Gleichzeitig steigt der Wasserbedarf aufgrund von Klimawandel und Bevölkerungswachstum um bis zu 3 %. Eine ausreichende und sichere Wasserversorgung ist eng mit der Nahrungsmittel- und Energieversorgung verknüpft. Unterschiedliche Nutzungsinteressen können zu Verteilungskonflikten führen. Die Umstellung der Energie- und Chemieindustrie auf grünen Wasserstoff verschärft die Situation zusätzlich, da für die Herstellung viel Wasser benötigt wird.

Für den Elektrolyseprozess werden etwa 10 l Wasser pro kg Wasserstoff als Ausgangsstoff und insgesamt 30 bis 70 l/kg H2 für Ausgangsstoff und Kühlung benötigt, abhängig von der verwendeten Elektrolyseurtechnologie und den lokalen klimatischen Bedingungen[1]. Bis 2050 könnte der Bedarf an sauberem Wasserstoff auf 585 Mio. t pro Jahr[2] steigen, was einem jährlichen Wasserbedarf von 5.850 Mio. m³ entspricht – der Trinkwasserverbrauch von etwa 134 Mio. Menschen. Bezieht man den Wasserverbrauch für die Kühlung mit ein, verzehnfacht sich dieser Wert und entspricht dem Wasserverbrauch von einer Milliarde Menschen.

Wasseraufbereitung als alternative Wasserquelle

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Integration von industriellem Abwasser und anderen Wasserquellen in einen ganzheitlichen Ansatz für die H2-Produktion
© EnviroChemie

Um Verteilungskonflikte und Wasserknappheit zu verhindern, können innovative Wasseraufbereitungstechnologien für das Trinkwassernetz gefunden werden: Meerwasser, Oberflächenwasser (aus Seen oder Flüssen), Wiederverwendung von Abwasser aus kommunalen Kläranlagen und Wiederverwendung von Abwasser aus industriellen Kläranlagen.

Bei der Auswahl geeigneter Verfahren liegt der Fokus darauf, Kosten, Arbeitsaufwände, Energieverbrauch und Umweltbelastungen gering zu halten. Die Aufbereitung von Meer- und Oberflächenwasser entspricht zwar dem neuesten Stand der Technik, reicht aber als alleinige Lösung nicht aus. Die Meerwasseraufbereitung ist mit einem hohen Energieverbrauch (2,6 – 8,5 kWh/m³)[3] sowie mit Umweltbelastungen verbunden, da Salzlake zurück ins Meer geleitet werden muss. Bei der Aufbereitung von Oberflächenwasser fällt der Energieverbrauch zwar geringer aus, doch es steht nicht ganzjährig in ausreichender Menge zur Verfügung. Bei der Verwendung von Abwasser aus kommunalen Kläranlagen liegt der Energieverbrauch je nach der eingesetzten Prozesstechnologie zwischen 1,2 und 1,96 kWh/m³[4]. Doch die zentrale Organisation kann es schwierig machen, große Wassermengen an entlegene Orte zu verteilen.

Um eine ausreichende Wasserversorgung für die Wasserstoffproduktion bereitzustellen, verlagert sich der Schwerpunkt deshalb auf lokale Quellen und insbesondere auf indus­trielles Abwasser. Im Folgenden werden einige alternative Lösungen zur Wasserversorgung auf Basis von industriellem Abwasser vorgestellt. Dabei handelt es sich sowohl um Lösungen für leicht als auch für stark verschmutzte Abwässer, die als Wasserquelle für einen Elektrolyseur oder zur Entlastung des Trinkwassernetzes genutzt werden könnten.

Aufbereitung von Abwässern mit geringer anorganischer Belastung

Zur Aufbereitung anorganisch und organisch gering belasteter Minenabwässer wird eine Prozesskette aus Vorfiltration, Ozondosierung, keramischer Ultrafiltration, Aktivkohlefiltern und Umkehrosmose vorgeschlagen. Im Zentrum dieses Prozessablaufs steht die keramische Membranfiltration mit vorgeschalteter Ozonbehandlung. Das Ozon zerstört organische Abwasserinhalte und verringert das Verschmutzungspotenzial der Membran erheblich. So minimiert die CembrOzone-Lösung die Membranverschmutzung und maximiert gleichzeitig die Leistung und Lebensdauer der Membran. Ein Aktivkohlefilter zur Entfernung von Restozon und eine anschließende Umkehrosmose sorgen für die erforderliche Wasserqualität.

Bei einer Mine in Schweden wird das anorganisch und organisch gering belastete Grubenabwasser (TOC < 5 mg/l und 16 NTU) in Technikmodulen aufbereitet, was eine modulare Bauweise der Anlage ermöglicht. Der Nettodurchfluss der Anlage beträgt 200 l/(m²h) und der Betriebsdruck ist aufgrund der speziellen Siliziumkarbid (SiC)-Membran mit -0,1 bis -0,25 bar sehr niedrig. Das System benötigt 3 – 5 g O3/m³, was einen Gesamtenergieverbrauch von 0,15 – 0,25 kWh/m³ inkl. Peripheriegeräte ergibt. Hinzu kommt der erforderliche Energieaufwand, um das Wasser auf die vom Elektrolyseur benötigte Qualität aufzubereiten.

Die Anlage ist auf einen Permeatvolumenstrom von 4.800 m³/d ausgelegt, was nach einer stark vereinfachten Methode auf 480 t H2/d umgerechnet werden kann. Diese Technologiekombination eignet sich auch zur energieeffizienten Aufbereitung von Oberflächenwasser

Flussdiagramm der CembrOzone-Lösung
Flussdiagramm der CembrOzone-Lösung
© EnviroChemie

Aufbereitung von Abwässern mit geringer organischer Belastung[5]

Am Produktionsstandort einer großen Molkerei in Deutschland werden verschiedene Milchprodukte hergestellt, darunter Magermilchkonzentrat, Kondensmilch und Milchpulver. Bei der Produktion fällt Brüdenkondensat an. Gemeinsam mit der Molkerei hat EnviroChemie ein Aufbereitungskonzept entwickelt, um dieses Brüdenkondensat im Produktionsbereich wiederzuverwenden.

Das Brüdenkondensat weist geringe organische (TOC < 50 mg/l) und anorganische Verunreinigungen auf (elektrische Leitfähigkeit < 15 µS/cm). Die Aufbereitung beginnt mit einem aeroben biologischen Prozess, bei dem gelöste organische Verbindungen durch Mikroorganismen, die in Biofilmverbindungen wachsen, biologisch abgebaut werden. Dem aeroben Bioreaktor ist als zweite Stufe ein Festbett­reaktor nachgeschaltet. Um Trinkwasserquali­tätsstandard zu erreichen, muss anschließend ein mehrstufiges Membranverfahren mit einer Heißwasserdesinfektion kombiniert werden. In der Molkerei werden mit dieser Lösung jährlich 188.000 m³ Prozesswasser bereitgestellt. Der zur Aufbereitung erforderliche Energieaufwand beträgt ca. 1,2 kWh/m³ Betriebswasser. So ließe sich ein Elektrolyseur installieren, der jährlich 20.000 t Wasserstoff produziert und dabei die Trinkwasserversorgung entlastet.

Behandlung von Abwässern mit hoher organischer Belastung

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EnviroChemie-Modulanlage zur Behandlung von Minenabwasser
© EnviroChemie

Die bestehende Abwasserbehandlungsanlage eines Kartoffelverarbeitungsunternehmens in Deutschland, konnte durch Flotation, anaerobe Vergärung, Ultrafiltration und Umkehrosmose erweitert und modernisiert werden. Durch die Erweiterung der Anlage und Rückführung des Permeats aus der Umkehrosmose in die Produktion konnte der Wasserverbrauch um 30 – 40 % gesenkt werden. In der Aufbereitungsanlage werden 1.800 m³/d mit einem CSB von 4.170 mg/l, einem TOC von 1.540 mg/l und einem Chloridgehalt von 310 mg/l aufbereitet. Durch die Erweiterung der bestehenden Anlage (2015 bis 2017) konnte der spezifische Energieverbrauch auf ca. 35 % des Bezugswerts (2013, 2014) gesenkt werden. Dies wurde durch Energiegewinnung aus dem Methan erreicht, das bei der anaeroben Vergärung organischer Substanzen entsteht. Durch die Modernisierung der Anlage zur Wasserwiederverwendung im Jahr 2018 wurde der spezifische Energieverbrauch auf ca. 60 % des Bezugswerts (2013, 2014) gesteigert. In der anschließenden Optimierungsphase hat sich gezeigt, welches Potenzial betriebliche Verbesserungen zur Reduzierung des Energieverbrauchs haben und wie wichtig diese sind. Durch Optimierungen wie bspw. eine chemische Reinigung zur Verlängerung der Filterzyklen der Ultrafiltration konnte der spezifische Energieverbrauch im Vergleich zur Altanlage im Jahr 2013/2014 um 50 % auf 3,5 – 3,7 kWh/m³ gesenkt werden. Aufgrund der hohen Qualität eignet sich das gereinigte Abwasser gut als Grundlage für die Weiterverarbeitung zu Wasserstoff. Bei einer angenommenen Rückgewinnungsrate von 75 % in der Umkehrosmose könnten aus den 800 m³/d Wasser rund 80 t H2/d produziert werden.

Zusammenfassung

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3D-Modell der installierten Anlage, die jährlich 188.000 m³ Wasser in Trinkwasserqualität produziert und dabei Brüdenkondensat als Wasserquelle nutzt.
© EnviroChemie

Die vorgestellten Fallstudien zeigen, dass industrielles Abwasser eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung alternativer Wasserquellen für die Produktion von grünem Wasserstoff spielen kann. Besonders betont wird die Bedeutung eines ganzheitlichen, systemischen Ansatzes für die lokale und integrierte Wasserstoffproduktion. Darüber hinaus zeigen die Fallstudien, dass durch die geeignete Kombination und Optimierung verschiedener Technologien nicht nur ausreichend Wasser in der erforderlichen Qualität bereitgestellt werden kann, sondern auch energetisch vorteilhafte und somit wirtschaftliche Lösungen erzielt werden können.

Literatur
[1] Internationale Energieagentur (IEA), 2024. Global Hydrogen Review. www.iea.org.
[2] McKinsey & Company, 2024. https://www.mckinsey.com/industries/oil-and-gas/our-insights/global-­energy-perspective-2023-hydrogen-outlook.
[3] Nassrullah, H., Anis, S., Hashaikeh, R., Hilal, N., 2020. Energy for desalination: A state-of-the-art review.Centre for Water Advanced Technologies and Environmental Research (CWATER)
[4] Schaum, C., Lensch, D., Cornel, P., 2015. Water reuse and reclamation: a contribution to energy efficiency in the water cycle. Journal of Water Reuse and Desalination, 05.2, S. 83–94.
[5] Lutze, R., Weisser, T., Poertner, N., Kieferle, J.: ­Sustainable Processing: Water Reuse in Dairy Processing. In: McSweeney, P.L.H., McNamara, J.P. (Eds.), Encyclopedia of Dairy Sciences, Vol. 4. Elsevier, Academic Press (2022), S. 855–873.

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