Ein gängiger, aber oft nicht hinterfragter Mechanismus: Beim ersten Kennenlernen lassen Gemeinsamkeiten das Gegenüber direkt sympathischer erscheinen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die meisten Menschen Situationen, Mitmenschen oder Verhalten durch ihren persönlichen Filter betrachten. Dieser Filter ist geprägt durch Kultur, Sozialisation, Bildung und weitere wertebestimmende Erfahrungen eines jeden Einzelnen. Sachverhalte und Personen werden also stets unbewusst voreingenommen betrachtet.
„Dieses Phänomen der unbewussten Vorurteile wird als ‚Unconscious Bias‘ bezeichnet. In einem betrieblichen Kontext haben diese Wahrnehmungsmuster – teilweise geprägt von Genderstereotypen und Klischees – nach wie vor einen großen Einfluss auf die demografische Zusammensetzung eines Unternehmens“, erklärt Tanya Akin, Expertin für Diversity and Inclusion bei Flowedoo. Denn auch Führungskräfte, Mitarbeiter und
HR-Verantwortliche, die sich Vielfalt und Offenheit auf ihre Fahnen schreiben, fällen Entscheidungen oft auf Grundlage von unbewussten Vorurteilen. Dagegen hilft nur, eingefahrene Wahrnehmungen immer wieder bewusst zu hinterfragen und standardisierte Verfahren einzuführen.
Schritt in die richtige Richtung
Schon lange ist bekannt, dass divers zusammengestellte Teams einen Gewinn für Unternehmen darstellen: Je bunter, desto besser. So steigert Diversität am Arbeitsplatz zum einen die Produktivität und sorgt zum anderen für kreative Problemlösungsprozesse. Doch sie ist auch ein Statement nach außen, ein Zeichen dafür, dass ein Unternehmen jeden willkommen heißt, unabhängig von Hautfarbe, Alter, Religion oder Gender. „Ein diverses
Team aufzustellen, gestaltet sich jedoch nicht immer so einfach, wie es zuerst klingt. Als Grund hierfür gelten vor allem versteckte Vorurteile, die Einfluss auf Einstellungsentscheidungen nehmen“, so Akin.
Diese unterbewussten Voreingenommenheiten zu überwinden, erweist sich nicht immer als einfach und viele Unternehmen haben nach wie vor damit zu kämpfen. Um ein Diversity Management einzuführen, sollten Betriebe zuallererst Daten erheben und genau ergründen, wo Biases in ihren Prozessen Auswirkungen haben: im
Recruiting, bei der Performance-Beurteilung oder bei Beförderungen. Sie benötigen eine Strategie dafür, wie sie Prozesse und Systeme vorurteilsfreier gestalten können. Bias-Trainings gelten hier als hilfreicher Baustein. „Mitarbeiter lernen in diesen Trainings, dass der Nachteil nicht darin besteht, Vorurteile zu haben, sondern darin, sie nicht zu erkennen und unreflektiert Entscheidungen zu treffen. Wenn Mitarbeiter und Führungskräfte sich ihre Unconscious Biases bewusst machen, reduzieren sie gleichzeitig ihren Einfluss – nicht nur auf der persönlichen Ebene, sondern auch strukturell und systemisch in der gesamten Organisation“, erläutert Akin.
Untersuchung von Filtern
Gerade in der aktuellen Zeit erweist es sich als essenziell, versteckte Vorurteile via Selbstreflexion aufzudecken und zu versuchen, diese abzulegen. Das gilt nicht nur für Einstellungsprozesse, sondern für alle Abläufe in der gesamten Organisation. Im Übrigen sollte es bei der bunten Gestaltung von Teams auch nicht darum gehen, Diversität über Weiße, Männer oder Cis-Personen zu stellen, sondern Gleichberechtigung zu schaffen für jene, die eine ungleiche Behandlung erfahren und von struktureller Diskriminierung betroffen sind. „Professionelle Trainer arbeiten mit einem Bündel von Methoden, mit denen sie bspw. traditionelle Rollenbilder, die eigene Unternehmenskultur und auch ethnische Zuschreibungen beleuchten“, so die Expertin für Diversity.
Darüber hinaus untersuchen sie die relevanten Prozesse in den Unternehmen auf mögliche Filter hin, was in erster Linie HR-Bereiche betrifft. Korrigierende Maßnahmen reichen dabei von verpflichtenden Positionsbeschreibungen bis zu einer Anonymisierung von Bewerbungsunterlagen. Doch eine Versachlichung der Verfahren genügt nicht, da die Entscheidungen immer noch Menschen treffen, die sich oftmals von personellen Präferenzen, Wahrnehmungsverzerrungen und damit verbundenen Diskriminierungen beeinflussen lassen.
„Dennoch steht fest: Bleiben Organisationen auf der Stelle stehen, das heißt, sie blenden die diverse Gesellschaft aus, wird sich das früher oder später negativ auswirken. Sei es durch hohe Fluktuation der Mitarbeiter im Unternehmen oder auch dadurch, dass diese Organisationen mittel- oder langfristig keine Mitarbeiter finden – denn wer will schon in einem toxischen Umfeld arbeiten?“, schließt Akin.