Zukunftstechnologien in Safety, Security und Energy Transition

Die Verschmelzung von Safety und Security ist ein entscheidender Schritt, um Mensch und Umwelt vor den zunehmenden Bedrohungen durch Cyberangriffe und Sabotage zu schützen. Die Energiewende und der Klimawandel stellen weitere Herausforderungen dar, die innovative Konzepte und Technologien erfordern. Erfahren Sie mehr über die neuesten Entwicklungen und wie sie zur Sicherung unserer Zukunft beitragen.

Autor: Prof. Dr.-Ing. Jürgen Schmidt, CSE-Engineering Center of Safety Excellence

Große Themen dieser Zeit sind Sicherheit und Klimawandel. Wie lassen sich heutige Risiken von technischen Anlagen managen? Die klassische Sicherheitsanalyse (HAZOP Study) mit ihren 5-jährigen Audits ist lückenhaft, wenn die rasanten Änderungen im Bereich cyberphysischer Angriffe nicht berücksichtigt werden – in der Störfallverordnung heißt dies lapidar „Eingriffe Unbefugter“. Solche Eingriffe werden immer mehr zum Kernthema, denn die weltweiten Spannungen sind dramatisch gestiegen. Safety und Security müssen verschmelzen.

Disziplinübergreifend arbeiten

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Mit neuen Technologien aus den Bereichen Digitalisierung, Automatisierung und künstlicher Intelligenz lassen sich diese Disziplinen zusammenführen. So werden derzeit Techniken entwickelt, um die IT-Sicherheitsanalysen mit HAZOPs zu verschmelzen und zu automatisieren. Dies ist ein schwieriger Prozess, denn die Experten in den Bereichen Safety und Security sprechen „nicht die gleiche Sprache“. 

Ausbildungsbedingt sind die Denkmuster unterschiedlich. In der Sicherheitstechnik dominiert die systematische Analyse mit dem Fokus auf sicherheitsrelevante Einrichtungen zum Schutz von Mensch und Umwelt. Der zufällige Ausfall von Komponenten soll durch Prüfung und Diagnose weitgehend ausgeschlossen werden. Systematische Fehler sind von Experten durch Erfahrungswissen zu vermeiden. Das funktioniert jedoch nicht, wenn Störungen bewusst durchgeführt werden. Cyberangriffe und Sabotage sind neue Herausforderungen und werden in einer neuen Dimension geführt. Hier versagen die alten Analysetechniken. Die Eintrittswahrscheinlichkeit von solchen Ereignissen lässt sich nicht aus historischen Daten ableiten.

Technische Innovationen oder politische Ziele können kurzfristig neue Angriffe fördern, die nicht in Risikobetrachtungen abgedeckt sind. Bedrohungen müssen permanent überwacht werden und nicht über Zyklen von 5-jährigen Auditierungen. Andererseits muss auch ein Umdenken im Bereich der Security stattfinden. Es geht nicht nur darum, Informationen zu schützen und die Verfügbarkeit von Geräten aufrecht zu erhalten. Es geht um mehr. Die Security muss auf den Schutz von sicherheitsrelevanten Komponenten konzen­triert werden. Denn damit werden technische Anlagen vor großen Auswirkungen geschützt. Dies muss das vordingliche Ziel sein. Es geht um Menschen und Umwelt, die es zu schützen gilt. Es wird Zeit, dass Safety und Security stärker verschmelzen. Dies ist einer der Schwerpunkte auf der CSE-Konferenz in Baden-Baden. Dort werden Technologien diskutiert, mit denen aus einer bestehenden HAZOP automatisiert die IT-Sicherheitsanalyse generiert werden kann und wie Angriffe aus Sabotage und Terror zu bewerten bzw. ggf. abzuwehren sind. Dies ist bei KRITIS Betrieben oft noch schwieriger als bei umzäunten Anlagen z.B. der Chemie oder Petrochemie.

Neue Technologien zur Automatisierung von HAZOPs

Aber die neuen Technologien gehen durchaus sehr viel weiter: HAZOPs werden automatisiert. Teams, die bisher Sicherheitsanalysen erstellt haben, fokussieren sich auf die selten und schwierigen Szenarien und übernehmen stärker prüfende Funktionen. Die entscheidende Frage ist dabei, wie das Expertenwissen digitalisiert, formalisiert und in Datenbanken repräsentiert werden kann. Frühere Expertensysteme sind gescheitert. Derzeit sind jedoch Wissensdatenbanken (Ontologien) aus dem Bereich der Logik im Vormarsch und konkurrieren mit den Natural Language Processing Systemen (NLP), um die besten Ergebnisse bei HAZOPs. Es wird daran gearbeitet, die in den Firmen vorhandenen HAZOPs zu formalisieren und das Wissen daraus in die Modelle der künstlichen Intelligenz aufzunehmen. Dies wäre ein Quantensprung in der HAZOP Analyse. Allerdings ist die Aufgabe sehr groß: das derzeitige Wissen ist i.d.R. dezentral und in sehr unterschiedlichen Formaten abgelegt. Vieles ist als implizites Wissen von Experten vorausgesetzt. Umgekehrt ist das Potenzial riesig. Es lassen sich nicht nur neue HAZOPs automatisch generieren, sondern auch vorhandene HAZOPs systematisch überprüfen. Demonstrationen von automatisierten HAZOPs auf der CSE-Konferenz in Baden-Baden zeigen das Potenzial, das in naher Zukunft gehoben wird. Kurz gefasst lassen sich die derzeitigen interdisziplinären Fachdiskussionen als Innovationswettlauf zwischen den Polen halluzinierender NLP-Modelle und gigantischen Logiknetzwerken beschreiben – die Erfahrung zeigt, dass die Beste Lösung vermutlich irgendwo in der Mitte liegen wird. Störfälle sollen mit solchen Techniken in der Zukunft weiter reduziert werden.

Herausforderungen der Energiewende

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Störfälle sind in der Vergangenheit oft bei Technologiewechseln passiert. Es fehlte das Wissen, um Anlagen ausreichend sicher zu betreiben. Ohne Erfahrungen ist dies auch schwierig zu bekommen. An diesem Scheidepunkt steht derzeit die Energiewende. Welches Verfahren ist das Beste? Setzen wir auf Wasserstoff, Ammoniak oder Methanol als Energy Carrier? Lassen sich die Transportleitungen weiterverwenden? Die Eigenschaften von Wasserstoff unterscheiden sich deutlich vom heutigen Erdgas – es zündet deutlich schneller, die Wärmestrahlung in die Umgebung ist eher geringer, aber die Druckwelle einer Explosion kann wesentlich größere Schäden anrichten. Es gibt eine Reihe neuester experimenteller Untersuchungen zu Detonationen von Wasserstoff und deren Vermeidung. Hier sollen Leckagen an Pipelines ebenso bewertet werden wie sich beschleunigende Deflagrationen in Rohrleitungen und Behältern. Auch die Modellierung von Wasserstoffexplosionen ist erheblich weitergekommen. Die Ergebnisse werden in Baden-Baden zu sehen sein.

Strategien zur CO2-Reduktion

Die Umstellung der Industrie auf neue Energieträger ist langfristig angelegt. Doch wie lassen sich kurzfristig die CO2-Emissionen vermindern? Strategien sind Carbon Capture Utilization und Carbon Capture Storage (CCU und CCS). Mit großen Forschungsprojekten wie Carbon2Chem will die deutsche Regierung neue Wege für die Industrie aufzeigen, um den CO2-Ausstoß signifikant zu mindern – ein wichtiges Thema auf der Konferenz. Das CO2 kommt dabei aus sehr verschiedenen Quellen, z.B. der Zement- oder Stahlindustrie, aber auch aus Thermischer Abfallbehandlung. Jeder CO2-Strom hat dabei unterschiedliche Verunreinigungen, die zu sehr schneller Korrosion beim Transport führen kann, insbesondere wenn zunächst das CO2 in Kavernen gespeichert werden soll. Rissausbreitungen bei Leckagen in Leitungen mit flüssigem CO2 über viele Kilometer Länge dürfen nicht eintreten. Dazu müssen die Spurenelemente im CO2 aus den Produktionsanlagen der verschiedenen Branchen unter die Grenzwerte verschoben werden. Mehrere Forschergruppen haben weltweit (u.a. in China, Norwegen und Deutschland) in den letzten Jahren an diesem Thema gearbeitet. Dies ist die Schnittstelle zwischen Energy Transition und Safety. Innovative Konzepte werden benötigt, um sowohl Risiken als auch Emissionen zu mindern.

Herausforderungen des Klimawandels

Sicherlich wird für die Energiewende eine geraume Zeit benötigt, um sie hinreichend umzusetzen. Währenddessen müssen Herausforderungen des Klimawandels angegangen werden – die NaTech-Ereignisse (natural hazard initiated incidents in technical plants) nehmen zu. Dazu zählen Überflutungen, Stark­regen, Stürme, Hagel, Feuer und andere natürliche Gefahren, die wahrscheinlich durch den Klimawandel zunehmen. 

Wildfeuer können enorme Ausmaße annehmen, wie in Kanada oder Kalifornien zu sehen ist, Überflutungen wie im Ahrtal (Deutschland) zeigen Zerstörungen über Jahre hinweg. Technische Anlagen müssen geschützt werden. Dies gilt für Pipelines ebenso wie für Chemieanlagen. Der Schutz ist jedoch schwierig. Gewachsene Infrastrukturen und Werke mit Anlagen lassen sich nicht leicht an andere Orte verschieben. Wenn Flammen bei den Wildfeuern mehrere Hundert Meter Distanzen überwinden können, dann ist die Vermeidung von Brandlasten um die Werke herum keine echte Option. Es wird Zeit für neue Konzepte und die Auseinandersetzung mit den neuen Herausforderungen. Dafür werden auf der CSE-Konferenz für Zukunftstechnologien Anregungen gegeben.

Lehren aus vergangenen Ereignissen

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Auf den CSE ­Konferenzen treffen sich Experten und Expertinnen für ­Sicherheit und Security von Chemieanlagen.
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Anregungen und Lehren lassen sich immer aus den Ereignissen der Vergangenheit ziehen. Das Großereignis im Chempark Leverkusen 2021 wird auf der CSE-Konferenz für Zukunftstech nologien intensiv besprochen. In einem Lagertank hatte es einen Runaway gegeben, der in der Folge ein Desaster angerichtet hat. Reichen die Sicherheitskonzepte für Lagertanks nicht aus? Müssen Mischungen von Flüssigkeiten in solchen Tanks besser untersucht werden? Neben der chemischen Industrie sind auch die Ereignisse an Pipelines und Kabeln zunehmend in das öffentliche Interesse gerückt. Die Explosion der Nordstream-Pipelines ist sehr intensiv recherchiert und untersucht worden. Neueste Ergebnisse und Erkenntnisse werden zusammengefasst. Wie weit muss der Schutz solcher Anlagen gehen? Müssen Sabotage und gar Terror künftig bei Sicherheitsbetrachtungen berücksichtigt werden? Geht das überhaupt? Und welche Lehren lassen sich aus den zahlreichen Ereignissen bei Wasserstoffanwendungen ziehen? Es gibt umfangreiche Statistiken, die zusammengetragen und ausgewertet wurden.

Interdisziplinärer Austausch für Innovationen

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Zu den künftigen Technologien gehören jedoch auch die intensiven Verbesserungen an heutigen Standards im Bereich Risikomanagement, Human Error, Druckentlastung und PLT-Sicherheitseinrichtungen. Teil des Kongresses ist deshalb die Tagung der European DIERS User Group, ein Kreis von Fachexperten, der seit über 30 Jahren aktuelle Themen aus dem Bereich Prozess- und Anlagensicherheit diskutiert. Hersteller von Sicherheitseinrichtungen, Betreiber von Anlagen und Dienstleister stellen innovative Produkte begleitend zur Tagung aus.

Zukünftige Technologien werden die Türen für Innovationen und Wachstum in der Industrie öffnen. Dazu ist der interdisziplinäre Austausch notwendig. Es reicht nicht mehr aus, sich im eigenen Fachbereich einzurichten. Gerade der Wissenstransfer aus anderen Disziplinen und das Verschmelzen von Techniken wird zu Neuem führen. In Baden-Baden ist auf der CSE-Konferenz für Zukunftstechnologien eine einzigartige Plattform für diesen Austausch geboten – nicht nur international, sondern auch interdisziplinär. Und dies in einem fantastischen Ambiente. Das CSE Center of Safety Excellence möchte als Kompetenzzentrum für Prozess- und Anlagensicherheit banchenübergreifend diese Plattform bereitstellen und die Diskussion anregen.

Nachgefragt

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Prof. Dr.-Ing. Jürgen Schmidt

 Geschäftsführer des CSE Center of Safety Excellence, Pfinztal, und Professor am KIT, Karlsruhe, und der RPTU Kaiserslautern für den Bereich Prozess- und Anlagensicherheit.

„Expertinnen und Experten für OT-Security und Safety müssen sich für die jeweils anderen Bereiche interessieren.“

CITplus: Was verstehen Sie darunter, wenn Sie sagen „Safety und Security müssen verschmelzen“? Wie kann das in der Praxis umgesetzt werden und wie können die Experten eine gemeinsame Sprache finden? Wie können Unternehmen die Zusammenarbeit zwischen ihren Experten verbessern, um eine effektivere HAZOP-Analyse zu gewährleisten?

Prof. Dr.-Ing. Jürgen Schmidt: Lassen Sie uns dazu in die Störfallverordnung schauen: danach müssen Einwirkungen Dritter vermieden werden. Dritte sind auch Cyberhacker. Nur sind Hacker von den Sicherheits-Ingenieurinnen und -Ingenieuren in der Vergangenheit bei HAZOPs gar nicht berücksichtigt worden. Und die IT-Spezialisten kümmern sich eher um Informations- und Datenklau als um Gefahren für Mensch und Umwelt. Mit den neuesten Technologien lassen sich die IT-Risikoanalysen (Security) direkt aus einer HAZOP (Safety) ableiten. Das ist eine Zeitenwende! Nur müssen die Expertinnen und Experten sich für die jeweils anderen Bereiche interessieren. Sie müssen Gefahren, Bedrohungen und Schwachstellen auseinanderhalten können. Für die nächste Generation sollte dies selbstverständlich werden.

Welche Rolle spielen maschinelles ­Lernen und künstliche Intelligenz bei der Weiter­entwicklung der HAZOP-Analyse?
Wann rechnen Sie damit, dass KI in valide HAZOP-Analyse einfließen kann,  und was braucht es dazu? Besteht darin ein Risiko, dass Expertenwissen verloren geht?

J. Schmidt: Ein wirklich spannendes Thema. Noch vor 10 Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass KI überhaupt eine Rolle in der Sicherheitstechnik spielt. Am CSE Center of Safety Excellence haben wir uns in diesem Bereich spezialisiert. Die ersten einfachen HAZOPs lassen sich jetzt schon generieren. Und die Entwicklung ist unglaublich schnell. Wir werden noch in den kommenden fünf Jahren sehr gute Lösungen im Markt vorfinden. Expertenwissen wird sogar dazu gewonnen, denn die neuen Systeme vergessen nicht. Sie saugen gewaltige Informationsmengen auf und verarbeiten viel mehr als heutige Expertinnen und Experten. Sie werden jedoch für neue Technologien und für Spezialanwendungen weiter erforderlich sein.

Wie können HAZOP-Analysen dazu beitragen, die Resilienz von technischen Anlagen gegenüber Naturkatastrophen und klima­bedingten Ereignissen zu erhöhen?

J. Schmidt: NATECH wird ein bedeutendes Thema innerhalb der HAZOP sein. Bestehendes Wissen wird erweitert. Sollte es uns gelingen, das HAZOP Wissen nicht firmenintern zu horten, sondern in eine übergreifende Wissensdatenbank für alle zu stecken, dann lassen sich daraus viel weitergehenden Analysen als bisher ableiten. Wir extrapolieren derzeit jedoch immer Vergangenes. Ändert sich die Welt dramatisch, dann kann dies nicht aus solchen Analysen heraus berücksichtigt werden. Leider leben wir derzeit in einer disruptiven Welt.

Sie plädieren für einen interdisziplinäre Austausch. Wie kann dieser stärker gefördert werden und wie kann er schließlich Ergebnisse für die Praxis liefern?

J. Schmidt: Reden hilft! Dabei ist der erste Schritt sicherlich, Interesse an den anderen Disziplinen zu zeigen. Wir müssen die Young Professionals aus verschiedenen Disziplinen zusammen an Projekten arbeiten lassen – zum Beispiel Chemie, Verfahrenstechnik, Anlagentechnik, Mechatronik, IT. Das ist gerade am CSE so gestaltet und macht viel Spaß. Die Konferenz in Baden-Baden hat genau die gleiche Intention.

Auf der internationalen Konferenz in Baden-Baden wird es auch um Sicherheitsfragen hinsichtlich der Energiewende gehen. Wo sehen Sie die größten Sicherheitsrisiken und Herausforderungen, Sicherheit zu gewährleisten?

J. Schmidt: Wir müssen auf die „schwarzen Schwäne“ aufpassen. Das meint, die nicht direkt sichtbaren Risiken, insbesondere bei dem schnellen Ausbau im Bereich Wasserstoff, CCS bzw. CCU. Die Skalierung in große Dimensionen – siehe Elektrolyseure – oder die Nutzung von Anlagen mit neuen Medien sind besondere Herausforderungen für die Zukunft. Das wird ein großes Thema in Baden-Baden. Ich hoffe, wir sehen uns dort.

Das Interview führte Dr. Etwina Gandert, Chefredakteurin CITplus.

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