60. Tutzing-Symposion: Circular Economy - Schritte in die Zukunft
Safttüten, Wärmedämm-Verbundsysteme, Batteriezellen gehören zu den zahllosen Produkten, die aus wertvollen Rohstoffen hergestellt werden und für die heute nur begrenzte oder gar keine stofflichen Recycling-Verfahren existieren. Und sie zeigen exemplarisch die Vielfalt an Fragestellungen zur Umsetzung einer Circular Economy – einer echten Kreislaufwirtschaft.
Seit Langem beschäftigen sich die Dechema und ProcessNet mit der Circular Economy. Dabei wurde schnell klar, wie umfangreich und breit gestreut die Fragestellungen sind, die zu berücksichtigen sind. Sie reichen vom Design der Produkte, der Materialauswahl und Fügetechniken über die Produktnutzung bis zu Konzepten für Sammelsysteme, das Auseinanderbauen und die Stofftrennung und -rückgewinnung. Das alles nicht etwa nur für einen Stoff oder wenigstens eine Stoffklasse, sondern für Kunststoffe, Metalle, Elektrolyte und natürlich für Verbundwerkstoffe, die in vielen modernen Produkten von der Getränkepackung bis zum Windrad zum Einsatz kommen.
Beim Tutzing-Symposium im Mai 2022 versuchten etwa 50 Expertinnen und Experten, Ordnung in diese überwältigende Vielfalt zu bringen. An drei Tagen ging es in verschiedenen Sessions um spezifische Produkte wie Batterien, um Stoffklassen wie Kunststoffe und um die Rahmenbedingungen z.B. für den gesellschaftlichen Dialog, aber auch die juristische und politische Regelsetzung.
Für einige Stoffklassen und Produkte stehen heute bereits technologische Lösungen zur Verfügung; an anderen wird intensiv geforscht, oder die zu bearbeitenden Fragestellungen sind zumindest definiert und sollen in der nahen Zukunft angegangen werden. Doch die größte Herausforderung, das wurde in Tutzing deutlich, liegt in den vielfältigen und komplexen Wechselbeziehungen. Das lässt sich an wenigen Beispielen zeigen.
Kohlenstoff: Weg von fossilen Quellen
Kunststoffe, Farben und Lacke, pharmazeutische Wirkstoffe oder Nahrungsmittel – all diese Produkte sind letztlich Teil des Kohlenstoffkreislaufs. Zu dessen Schließung gibt es unterschiedliche Wege, angefangen vom Polymerrecycling über das Zerlegen in Monomere, das chemische Recycling bspw. durch Pyrolyse über Synthesegas oder die Fixierung von CO2 aus Abgasen oder aus der Luft. Wird das CO2 durch Pflanzen oder Algen aufgenommen, sprechen wir von Biomassenutzung. Die chemisch-katalytische CO2-Nutzung fällt in den weiten Bereich der Power-to-X-Technologien.
Hinter jedem der skizzierten Wege stecken unterschiedliche Technologien und Syntheserouten. Keine davon wird „die“ Lösung sein. Die Nutzung von Biomasse lässt sich angesichts begrenzter Flächen nicht beliebig steigern. Der Aufbau komplexer chemischer Moleküle, wie sie in Arzneimitteln oder auch Farbstoffen gebraucht werden, aus CO2 oder Synthesegas, ist allerdings häufig schwer bis gar nicht möglich. Insofern gibt es kein „Entweder-Oder“, sondern innerhalb des Kohlenstoffkreislaufs unterschiedliche Pfade, die parallel erschlossen, miteinander kombiniert und so genau „kartiert“ werden müssen, dass eine sinnvolle Zuordnung von Rohstoff, Syntheseweg und Produkt möglich wird.
Wohin mit dem Wasserstoff?
Mit unbegrenzten Mengen an Energie bzw. an grünem Wasserstoff lässt sich nahezu jede chemische Umsetzung erzielen. Doch davon sind wir weit entfernt: Derzeit und auch in Zukunft wird Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen ein knappes Gut sein, das viele gerne hätten. Dabei konkurrieren die chemischen Verfahren nicht nur untereinander, sondern auch mit anderen Branchen wie der Stahlindustrie, die ihren CO2-Fußabdruck reduzieren müssen, um das durch das Klimaschutzgesetz vorgegebene Ziel der Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen. Bis entsprechende Kapazitäten vorhanden sind, wird noch viel Zeit vergehen.
Wie soll grüner Wasserstoff in der Zwischenzeit verteilt werden? Wer priorisiert, welche Branche zuerst und in welchem Umfang Zugriff erhält? Diese Fragen wird die Industrie alleine nicht beantworten können. Doch haben Zeitplan und Verteilung einen entscheidenden Einfluss darauf, mit wie viel Tempo die Transformation einzelner Branchen angegangen werden kann – und damit auch, wo sich Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen besonders lohnen.
Schillernde Persönlichkeit: Wasser
Wer grünen Wasserstoff herstellen will, braucht neben Energie auch Wasser. Doch dort, wo bspw. Solarenergie in großen Mengen zur Verfügung steht, gibt es oft nicht genug Wasser. Auch der Anbau von Biomasse und viele Trennverfahren benötigen große Mengen Wasser. Hydrolyse-Methoden, die beim chemischen Recycling eingesetzt werden, resultieren teilweise in hohen Salz- und organischen Frachten und stellen damit neue Anforderungen an die Wasseraufbereitung. Wer also über die Schließung von Stoffkreisläufen nachdenkt, darf den Wasserkreislauf nicht außen vor lassen. In Konzepte für eine weltweite Wasserstoffwirtschaft ist bei Standortfragen unbedingt die Verfügbarkeit von Wasser einzubeziehen. Offshore-Konzepte können dabei auch für landbasierte Anlagen wertvolle Erkenntnisse liefern, um Konkurrenzen um Trinkwasser zu vermeiden.
Von der Lieferkette zum globalen Kreislauf
Ob bei der Aufbereitung von Katalysatoren, beim Batterierecycling oder spätestens bei der treibhausgasneutralen Produktion – eine Kreislaufwirtschaft darf nicht an Ländergrenzen enden. Aus globalen Lieferketten müssen globale Kreisläufe werden. Das bedeutet aber auch, dass Nachhaltigkeits- und Technologiestandards weltweit entwickelt und eingesetzt werden müssen. Zusätzlich wird die Transformation der Industrie zu einer Neuordnung von Wertschöpfungsketten führen: Die Produktion chemischer Grundstoffe mit Wasserstoff ist in Deutschland möglicherweise weniger sinnvoll als an südlichen sonnenreichen oder nördlichen windreichen Standorten.
Was bedeutet das für industrielle Strukturen und für die Verteilung von Wohlstand im globalen Kontext? Das sind Fragen, die angesichts der anstehenden Transformation unbedingt zu berücksichtigen sind.
Die technischen Hürden zum Schließen von Kreisläufen sind groß, aber sie sind vielfach bereits angegangen und durch gemeinsame interdisziplinäre Forschungs- und Entwicklungsarbeit lösbar. Weit größer sind die gesellschaftlichen Herausforderungen und die anstehenden Verhandlungs- und Verteilungsprozesse. Auch sie müssen dringend angegangen werden, wenn diese Operation „am offenen Herzen“ im laufenden industriellen Betrieb gelingen soll. Wir brauchen dafür den größeren Kontext aller möglichen Disziplinen, wir brauchen Politik, Kommunikation und Gesellschaft. In diesem großen Rahmen können Dechema und ProcessNet ihren konkreten Beitrag leisten, indem wir Technologieoptionen entwickeln, vorstellen und diskutieren. Die Arbeit hat gerade erst begonnen.
Die Autorin: