Building Information Modeling in der Prozessindustrie

Building Information Modeling (BIM) in der Prozessindustrie war das zentrale Thema des VDI-GVC Regionalgruppentreffens Rhein-Main-Neckar am 5. März 2023. Antworten auf die Frage „BIM in der Prozessindustrie – Quo vadis?“ gaben die Referenten von Merck, BASF und Evonik mit Vorträgen über BIM-Anwendungen in der Praxis der Chemieindustrie – vom Bau neuer Anlagen bis zur Erstellung des digitalen Zwilling von Bestandsanlagen, wobei die große Vorteile von BIM im Betrieb und in der Instandhaltung liegen.

© Natalja - stock.adobe.com
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Building Information Modeling (BIM) kommt aus dem Hochbau und findet immer mehr Anwender in der Prozessindustrie. Die Methode bietet große Chancen, die Herausforderungen der Digitalisierung von verfahrenstechnischen Anlagen zu bewältigen. Einen Einblick in die BIM-Arbeitsmethoden bei Merck gaben Thanassis Perperidis, Digital Data Manager, Helge Werthmann, Lead Project Manager, James Bourke, Senior Project Manager, Site Management, Merck. In den letzten Jahren ist die Komplexität der Anlagen und Bauwerke deutlich gestiegen und damit auch die Datenmengen. Zudem erleben die Ingenieure einen zunehmenden Ich-Fokus der Projektbeteiligten und Dienstleister. Das BIM-basierte Entwerfen, Planen, Bauen und Betreiben der Gebäude sowie gebäudetechnischer Anlagen und in Zukunft der verfahrenstechnischen Anlagen ermöglicht nach ihrer Einschätzung eine reibungslosere Zusammenarbeit und einen langfristigen Nutzen der digitalen Informationen.

BIM wird zentrale Informationsdrehscheibe

Durch eine Informationszentrale werden alle Partner stets auf den neuesten Stand gehalten. Während in dem traditionellen Arbeitsablauf Informationsverluste zwischen den einzelnen Phasen auftreten können, erlaubt die BIM-Methode einen kontinuierlichen Fortschritt im Aufbau des Projektes. Aus ihrer Erfahrung berichten die Merck-Experten, dass die Kosten beim Einsatz von BIM am Anfang bei der Datenerfassung für das Projekt deutlich höher sind, während in der traditionellen Vorgehensweise der größte Kostenanteil in der Planungsphase anfällt. Der Mehrwert von BIM ist eine Frage des Blickwinkels, so die Projektleiter. „Mit Bezug auf das zeitliche Verhältnis von Projekt- und Betriebsphase generiert sich der maßgebliche Mehrwert in der Betriebsphase“, erklärte Perperidis. „In der Projektphase steht das 3D-Koordinationsmodell zur Kollaboration im Fokus. In der Betriebsphase stehen hingegen alphanumerische Informationen im Vordergrund und somit Data Lakes.“

Derzeit sammeln die Experten Erfahrung in ausgewählten BIM-Anwendungsfällen in Neubauprojekten. Es geht zunächst um die Aufstellung eigener Modellierungsrichtlinien und Unternehmensstandards, um die Entwicklung von Musterdokumenten, wie BAP und AIA, sowie standardisierte BIM-Anwendungsfälle. Es müssen Mindestinformationsanforderungen an die Attributierung von wartungsrelevanten Objekten im Bereich BAU und TGA festgelegt werden. Für die Anlagendokumentation benötigt jedes Objekt eine eineindeutige Zuordnung, eine „unique“ Bauteil-ID im Anlageninformationssystem. Für die Zukunft bleibt zu klären, welche Daten zu pflegen sind, wo die Daten gepflegt werden, wer die Daten pflegt und ob die Datenpflege leistbar bzw. finanziell möglich ist?

Instandhaltungsgerechte Planung mit BIM

Helge Wertmann stellte den BIM-Anwendungsfall einer instandhaltungsgrechten Planung für das neue Technology Center U50 von Merck vor.  Das Gebäude auf einer Grundfläche von 4.000 m² wird aus insgesamt vier Ebenen für Mitarbeiter, Labor, Produktion im Bereich Pharma gebaut sein. In der Planung lassen sich bereits virtuell Kollisionsprüfungen durchführen und beispielsweise geplante Laufwege für alle Projektpartner deutlich sichtbar machen. Auch die Integration der Außenanlagen in das Modell ist möglich. Aus dem Modell kann dann per Virtuell Reality eine Optimierung der Anlagenbedienung abgeleitet werden. Die gewonnenen Erkenntnisse fasste Werthmann so zusammen:

  • Sowohl Objekte als auch Rohrleitungen müssen vom Basic zur Qualität Ausführungsplanung gebracht werden.
  • Die HOAI bildet dies nicht ab.
  • Eine Kollisionsfreiheit reicht nicht aus. Trassen müssen gewerkeübergreifend koordiniert werden.
  • Herstellerneutrale Planungen und Ausschreibungen setzen der automatischen Einbindung von Objektbasierenden Daten Grenzen.
  • LOD Sprünge können zu Datenverlust führen.
  • Abstimmung, welche Daten in der Betriebs­phase benötigt werden, Klärung der Schnittstellen ist notwendig.

Nachfolgend stellte die Merck-Fachleute das digitale Mängelmanagement mit der BIM-Software Dalux vor, das komfortable über ein Ticketing-System funktioniert. Für den laufenden Betrieb wird es jedoch mit Blick auf 95 % Bestandgebäude und 5% Neubauten eine große Herausforderung sein, die notwendigen Daten zu selektieren, zu beschaffen und in das BIM-System einzupflegen.

 

Treffen der VDI-GVC-Regionalgruppe Rhein-Main-Neckar bei Merck in Darmstadt im...
Treffen der VDI-GVC-Regionalgruppe Rhein-Main-Neckar bei Merck in Darmstadt im März 2023. © VDI-GVC

Cross Discipline 3D Modelling

Im zweiten Vortrag stellte Bernhard Matthies, verantwortlich für die Digitalisierung Large Capital Projects bei der BASF, BIM für verfahrenstechnische Anlagen vor. Derzeit liegen Anlagen in aller Regel als Rohrleitungsmodell vor und jede Fachdisziplin im Anlagenbau verfügt über eigene Daten. Dabei ist die Datentiefe sehr unterschiedlich und die Gewerke pflegen ihre eignen Pläne, so dass für ein gesamtes Rohrleitungsmodell eine Nachmodelllierung in mehreren Iterationsschleifen notwendig ist. Die BASF verfolgt den Ansatz einer Open BIM-Methode, mit der ein offener Austausch von Fachmodellen, unabhängig von der Softwarelösung möglich ist. Unter dem Titel x3DM – Cross Discipline 3D Modelling werden etablierten Softwarelösungen zur Rohrleitungsplanung, zur Stahlplanung und sonstigen Gewerken weiter genutzt, wobei mit einem Kollaborationswerkzeug, die Teil-Fachmodelle integriert werden. Für die weitere Entwicklung ist es wichtig, Schnittstellen zu den Fachmodellen zu definieren, die Anforderungen an die 3D-Modelle zu beschreiben und ein kollaboratives Issuemanagement zu etablieren. Für das kontinuierliche Arbeiten an den Projekten muss der Planer die unterschiedlichen Zustände festhalten und kommunizieren. Das umfangreiche Changemanagement ist eine größere Herausforderung. Auch Matthies sieht einen großen Nutzen von BIM vor allem im Betrieb und in der Instandhaltung.

Bestenfalls kann der Worker mit dem Tablet auf die Baustelle gehen und nicht nur die Daten aus BIM ziehen, sondern auch Daten aus dem Feld direkt in BIM einpflegen.

Erstellung des digitalen Zwillings einer Bestandsanlage

Über die Erstellung und die Vorteile eines statischen digitalen Zwillings für Bestandsanlagen referierte Norman Schroeter, Head of Data Management Operations, Evonik Operations. Weil die längste Zeitspanne innerhalb des Lebenszyklus die Phase Produktion, Wartung und Anlagenoptimierung ist, schaffe ein konsistenter digitaler Zwilling einen erheblichen Mehrwert, so Schroeter. Einen wesentlichen Erfolgsfaktor für Operations sieht er in der nahtlosen Integration von CAE (Computer Aided Engineerin), ERP und DMS (Document Management System) – basierend auf einer harmonisierten PBS (Plant Breakdown Structure). Dafür setzt Evonik sowohl eigene Software wie auch Aveva-Tools ein. Der Aufbau des digitalen Zwillings lohnt sich, denn über die transparente Datenkonsistenz lassen sich bspw. Doppel- oder Falschbestellungen von Ersatzteilen vermeiden, ein erfolgreiches Wissensmanagement für nachfolgende Mitarbeiter aufbauen, Informationen schneller beschaffen und Anlagenoptimierungen zügiger umsetzen. Hinzu kommen Vorteile bei der Einhaltung der Sicherheits- und Regulierungsanforderungen und mehr Sicherheit und Effektivität bei Wartungsarbeiten sowie ein effektives Risikomanagement.

Der Aufwand für die Digitalisierung von bestehenden Daten ist sehr unterschiedlich, je nach Format. Das können analoge Papierdokumente, digitale Dateien oder auch Lasescans sein, die in einem Dokumentenmanagementsystem zusammengefasst werden. Nach der Erfassung und Klassifizierung der Daten werden diese direkt in das Ziel-CAE-System konvertiert. Für die Etablierung und den Erfolg des neuen Systems im Betrieb ist Zeit, eine gute Kommunikation und Schulung der Mitarbeitenden wichtig, fasste Schroeter zusammen.

Autorin: Etwina Gandert, Chefredakteurin CITplus

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Was ist BIM?

Building Information Modeling (BIM) ist eine digitale Methode, um Bauprojekte effizient zu planen, zu entwerfen, zu bauen und zu betreiben. Ursprünglich wurde BIM in der Bauindustrie angewendet und hat inzwischen auch Anwendungen in der Prozessindustrie gefunden. BIM kann in der Chemie-, Pharma-, Energie-, Öl und Gas- sowie Wasser- und Abwasserwirtschaft zahlreiche Vorteile für alle Abschnitte eines Anlagenlebenszyklus bieten. Mit dem digitalen Modell können bestenfalls nicht nur die Prozessanlage, sondern die gesamten Bauten um die Prozessanlage herum digital abgebildet werden. Die Methode ermöglicht, aus der Analyse von Projektdaten fundierte Entscheidungen zu treffen und Risiken zu minimieren. Auf Basis des digitalen Zwillings kann das Projektteams, frühzeitig potenzielle Konstruktionsfehler oder Kollisionspunkte erkennen und beheben, was zu einer Reduzierung von Planungs- und Konstruktionsfehlern führt und die Projektausführung optimiert. Darüber hinaus lassen sich damit Informationen zu Materialien, Kosten, Zeitplanung und Betriebsführung integrieren und pflegen. Insbesondere bei größeren Neubauprojekten erleichtert die Plattform die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Fachdisziplinen, wie Ingenieuren, Architekten, Bauunternehmern, Anlagenbetreibern und anderen Projektbeteiligten. Ein weiterer Vorteil von BIM ist Möglichkeit, die Betriebs- und Wartungseffizienz von Anlagen zu verbessern. Durch die Integration von BIM-Modellen in die Betriebs- und Wartungsprozesse können Anlagenbetreiber leicht auf aktuelle Informationen zu Anlagenkomponenten, Wartungsplänen, Ersatzteilen und anderen relevanten Daten zugreifen. Eine bessere Planung von Wartungsarbeiten reduziert Ausfallzeiten und steigert die Anlagenleistung.

Doch im Vergleich zu Gebäuden sind Prozessanlagen oft komplexer und erfordern spezifisches Fachwissen, um die richtigen Informationen in die BIM-Modelle einzufügen. Die Vielzahl an spezialisierten Anlagenkomponenten und die strengen Vorschriften und Normen lassen die zu verarbeitenden Datenmenge enorm anwachsen, wenn das Projekt komplett als digitales Modell erfasst werden soll. Außerdem muss die Inter­operabilität von BIM-Software und -Datenformaten sichergestellt werden, damit die verschiedenen Projektbeteiligten reibungslos zusammenarbeiten können und der Informationsfluss im Projekt gewährleistet ist. In Zukunft wird die Kombination von BIM mit anderen Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI), Augmented Reality (AR) an Bedeutung gewinnen.

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