Wasserstoff macht die Energiewende möglich
Große Hoffnungen für mehr Klimaschutz mit dem Green Deal liegen auf Wasserstoff als wichtigem Baustein der Energiewende. Wie kann die Wasserstoffwirtschaft der Zukunft aussehen? Welche Mengen sind erforderlich und welche Infrastrukturen werden benötigt? Wie können in Zukunft nachhaltige Grundstoffe erzeugt werden? Antworten darauf gibt dieser Trendbericht.
Europa hat sich mit dem Green Deal das Ziel gesetzt, dass die EU bis 2050 so viele Treibhausgase vermeidet, wie sie emittiert, also treibhausgasneutral wird. Mit der Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes 2021 durch das Europäische Parlament und den Rat wurden die Klimaziele erstmals gesetzlich verankert. Auch das EU-Zwischenziel für die Emissionsminderung bis 2030 wurde von 40 % auf mindestens 55 % angehoben. Das unter dem Namen „Fit for 55“ bekannte Gesetzespaket umfasst Regelungen zum Emissionshandel, zu nationalen Emissionsreduktionszielen, zur Abscheidung von Kohlenstoff aus der Landnutzung und zu verkehrsbedingten Emissionen. Entsprechend dieser politischen Entscheidungen sind in den letzten zwei bis drei Jahren sowohl europa- als auch weltweit Wasserstoffprojekte mit mittleren bis großen Zielkapazitäten entstanden.
Das politische Ziel ist gesetzt, über den Weg dorthin besteht in einigen Bereichen bereits Konsens, in anderen wird noch kontrovers darüber diskutiert. Grüner Strom wird in diesem System sicher eine Schlüsselfunktion einnehmen, und seine direkte Nutzung ist unbestritten eine besonders effiziente Lösung. Wind und Sonne sind jedoch volatile Energiequellen und stehen somit nicht immer zur Verfügung. Hinzu kommt, dass die Speicherung von Strom sehr aufwändig ist. Die großen Energiemengen und die stabile Grundlast, die eine moderne Industriegesellschaft benötigt, fordern weitere, vor allem steuerbare Energiequellen. Hierkommt der Wasserstoff ins Spiel.
Neu ist Wasserstoff als energiereicher Grundstoff nicht. Er wird bereits heute in großen Mengen in Raffinerien, in der chemischen und petrochemischen Industrie und teilweise auch in der Stahlindustrie eingesetzt. Hergestellt wird dieser Wassersoff aus Erdgas (Methan) in einer Dampfreformierung, bei der der im Methan enthaltene Kohlenstoff zu klimaschädlichem CO2 oxidiert und in die Atmosphäre emittiert wird. Das soll sich in Zukunft ändern.
Low-Carbon Wasserstoff: grün und blau schließen sich nicht aus
Als ‚Low-Carbon‘ bezeichnen wir Wasserstoff, dessen CO2-Fußabdruck (carbon footprint) gegenüber dem aus fossilen Energieträgern hergestelltem Wasserstoff erheblich vermindert ist. Dazu gehören der ‚grüne‘ und der ‚blaue‘ Wasserstoff.
Grüner Wasserstoff kann durch die Zerlegung von Wasser mit erneuerbarem Strom erzeugt werden, wobei die elektrische Energie in chemische Energie umgewandelt wird. Die energetische Effizienz dieser Umwandlung liegt im Bereich von 60 bis 70 %. Dies bedeutet einen gewissen Verlust an Primärenergie, aber dafür ist der Wasserstoff speicherbar und jederzeit verfügbar. Die Kapazitäten zur Herstellung von grünem Wasserstoff sind heute nicht annähernd ausreichend, um den aktuellen und in Zukunft noch wachsenden Bedarf an Wasserstoff zu decken. Vorteil des grünen Wasserstoffs ist, dass seine Herstellung nachhaltig und fossilfrei ist. Ein wichtiger Kostenfaktor des grünen Wasserstoffs ist der erneuerbare Strom für die Elektrolyse.
Blauer Wasserstoff wird durch die beschriebene Erdgasreformierung hergestellt, nur mit dem Unterschied, dass das dabei anfallende CO2 nicht in die Atmosphäre entlassen, sondern abgetrennt und dauerhaft gespeichert wird. Vorteil dieses Verfahrens ist der geringere Energieaufwand, da das Methan bereits einen hohen Energiegehalt mitbringt. Zudem können bestehende Verfahren genutzt werden, sofern diese um die CO2-Abtrennung ergänzt werden. Insgesamt ist für blauen Wasserstoff eine weit schnellere Umsetzung als bei grünem Wasserstoff zu erwarten, so dass sich zeitnah Treibhausgasemissionen einsparen lassen. Demgegenüber besteht der Nachteil, dass das Verfahren eine fossile Ressource nutzt und das abgetrennte CO2 dauerhaft und sicher verschlossen gelagert werden muss.
Grüner und blauer Wasserstoff stehen jedoch nicht im Widerspruch zueinander. Vielmehr lassen sie sich komplementär nutzen: Die schnellere Lösung bietet Versorgungssicherheit und zeitnahe Emissionseinsparungen, die ideale, fossilfreie Lösung ebnet den Weg in eine nachhaltige Zukunft.
Allrounder Wasserstoff
In einem erneuerbaren Energiesystem können mit Wasserstoff-Kraftwerken (Gasturbinen) und ggf. auch Brennstoffzellen Dunkelflauten überbrückt und Schwankungen ausgeglichen werden. Wasserstoff kann auch als Reduktionsmittel in der Stahlherstellung, als Ausgangsstoff für Chemikalien oder zur Bereitstellung von Wärme bzw. Prozesswärme dienen. In der Mobilität besteht die Tendenz, dass die bevorzugten Energieträger in der Umwandlungskette von Strom über Wasserstoff zu E-Fuels mit zunehmender Entfernung und steigender Masse in Richtung E-Fuel gehen: Die hohe volumetrische Energiedichte von E-Fuels überwiegt die Nachteile der Umwandlungsverluste bzw. ist für bestimmte Anwendungen alternativlos. Das trifft vor allem für die Seeschifffahrt und den Luftverkehr zu. Der Einsatz von Wasserstoff im straßengebundenen Verkehr wird jedoch noch kontrovers diskutiert, zumeist mit Fokus auf die energetische Effizienz im Vergleich zu batterieelektrischen Antrieben.
Ein wichtiger und häufig bei diesen Kontroversen wenig bedachter Aspekt ist die Tatsache, dass Wasserstoff die Möglichkeit zum Energieimport bietet. Im Gegensatz zu Strom kann er bzw. seine energiereichen Folgeprodukte gespeichert und mit Schiffen transportiert werden. Damit bietet Wasserstoff die Möglichkeit, auch an Orten, an denen die Ertragseffizienz eines Windparks oder Solarparks über das Jahr gemittelt um ein Vielfaches höher als in Deutschland oder Mitteleuropa ist, Wind und Sonne als Energiequelle zu nutzen. Als größte Industrienation Europas ist Deutschland ein Energieimportland und wird es auch bleiben. Deutsche Unternehmen spielen eine führende Rolle bei der Entwicklung von Technologien für die Herstellung und Infrastruktur von Wasserstoff. Internationale Kooperationen, wie sie heute von deutschen Stakeholdern mit Partnern in Ländern mit günstigen Potenzialen für erneuerbare Energien initiiert werden, sind ein wesentlicher Baustein für unser Energiesystem der Zukunft. Anstelle von fossilem Öl und Gas können erneuerbare Energieträger, die auf grünem Wasserstoff basieren, importiert werden. Wasserstoff kann – und wird – in Zukunft entlang der gesamten Wertschöpfungskette eingesetzt werden. Anstelle der alten Strukturen der fossilen Energiewirtschaft wird eine Wasserstoffwirtschaft entstehen.
Hyperscaling: grüne Wasserstofftechnologien industrialisieren
Um die Energiewende Europas größter Volkswirtschaft zu beschleunigen, gilt es, eine Wasserstoffwirtschaft im industriellen Maßstab aufzubauen. Deutschland hat sich daher zunächst das Ziel gesetzt, für den Heimatmarkt bis zum Jahr 2030 eine Elektrolysekapazität von 10 GW zur Erzeugung von grünem Wasserstoff zu erreichen. Diese Zahl korrigierte der Nationale Wasserstoffrat bereits im Jahr 2021 mit der überarbeiteten Nationalen Wasserstoffstrategie nach oben und prognostizierte einen Bedarf von etwa 18 GW Elektrolysekapazität im Jahr 2030, der wiederum im Februar 2023 auf der Grundlage aktueller Daten auf 22 bis 37 GW Elektrolysekapazität erhöht wurde. Für die Prognose des Wasserstoffbedarfs wurden insbesondere die chemische Industrie, die Stahlproduktion, die Mobilität, die Stromerzeugung und die Sekundärwärme im Gebäudeheizungsbereich betrachtet.
Diese Ziele lassen sich nur erreichen, wenn Elektrolysetechnologien weiterentwickelt und eine stabile Wasserstoffinfrastruktur aufgebaut werden. Hier ist es besonders wichtig, den technologischen Vorsprung deutscher Unternehmen bei den verschiedenen Elektrolysetechnologien zu halten und auszubauen: Um mit dem Aufschwung Schritt halten zu können, müssen Technologien hochskaliert und industrialisiert werden.
Bereits heute sind Elektrolyseure mit hoher technologischer Reife und guter Effizienz verfügbar. Sie werden jedoch noch zu erheblichen Anteilen in Handarbeit hergestellt, was die Produktionskapazität begrenzt. Im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Leitprojekt H2Giga werden daher Technologien für die Serienfertigung von Elektrolyseuren entwickelt[Lit.1]. Wenn in Zukunft die weltweite Nachfrage nach Wasserstoff aller Voraussicht nach weiter steigen wird, sollen deutsche Unternehmen mit ihrem Know-how und ihren technologischen Alternativen gute Voraussetzungen haben, um zu gefragten Lösungsanbietern zu werden und eine entsprechende Wertschöpfung zu generieren.
Wasserstoff transportieren und speichern
Eine Wasserstoffwirtschaft kann nur dann entstehen, wenn gleichzeitig die entsprechende Infrastruktur aufgebaut wird. Mit diesem Thema beschäftigt sich das vom BMBF geförderte Wasserstoff-Leitprojekt TransHyDE[Lit.2]: In ihm werden verschiedene Technologien für die Transport- und Speicherinfrastruktur für grünen Wasserstoff entwickelt, evaluiert und demonstriert.
Wasserstoff ist ein energiereiches Molekül, zumindest hinsichtlich seiner gravimetrischen Energiedichte, die um Faktor 3 über der von Dieselkraftstoff liegt. Wasserstoff ist allerdings auch ein sehr leichtes Gas, sodass durch seine geringe Dichte auch eine geringe volumetrische Energiedichte gegeben ist. Dies ist eine der größten Herausforderungen für die erforderliche Infrastruktur: Üblicherweise wird gasförmiger Wasserstoff komprimiert, häufig auf bis zu 350 bar oder 700 bar, oder er wird verflüssigt. Beides erfordert Energie und aufwändige Tanks. Die volumetrische Energiedichte kann jedoch erhöht werden, indem Wasserstoff für den Transport chemisch an organische Trägermaterialien gebunden (LOHC: liquid organic hydrogen carriers) und im Anschluss wieder freigesetzt und zurückgewonnen wird. Damit ist ein druckloser Transport in Flüssigkeitstanks, wie sie schon heute für fossile Energieträger verwendet werden, möglich. Daneben lässt sich Wasserstoff besser transportierbar machen, indem er in seine Folgeprodukte umgewandelt wird, z.B. in Ammoniak (NH3). Nach dem Transport kann der Wassersoff durch Reformierung aus dem Ammoniak zurückgewonnen werden. Alternativ kann Ammoniak als essenzieller Grundstoff in der Düngemittelherstellung direkt genutzt werden.
Power-to-X und Kohlenstoff-Kreislauf
Der Begriff Power-to-X (kurz: PtX) steht für die Erzeugung von Stoffen mit erneuerbarer elektrischer Energie. An erster Stelle steht hier die Elektrolyse mit X = Wasserstoff, aber das ist nur der Startpunkt. Aus dem Wasserstoff als energiereiche Komponente können auch organische Moleküle hergestellt werden: Die bekanntesten Kandidaten sind Methanol (MeOH) und seine Folgeprodukte, Methanol-to-Gasoline, Methan (CH4) sowie flüssige Kohlenwasserstoffe durch Fischer-Tropsch-Synthese. Sie können in der Chemie- und Prozessindustrie als Plattformmoleküle verwendet oder als klimaneutrale Kraftstoffe eingesetzt werden, vor allem in Anwendungen, die nicht auf dem Weg der direkten Elektrifizierung dekarbonisierbar sind (z. B. Seeschifffahrt, Flugzeuge).
Um organische Grundstoffe via PtX, also mit grünem Wasserstoff, herzustellen, braucht es Kohlenstoff. Heute wird der Großteil des Kohlenstoffs durch fossile Grundstoffe bereitgestellt. Folglich müssen für die angestrebte Abkehr vom fossilen Feedstock andere Kohlenstoffquellen gefunden werden. Möglichkeiten dafür sind z.B. das mechanische oder chemische Recycling von Altstoffen, biogene Kohlenstoffquellen oder die Gewinnung von atmosphärischem CO2.
Recycling ist die dabei am wenigsten energieintensive Option, während die Rückgewinnung von CO2 aus der Atmosphäre die energieintensivste Kohlenstoffquelle darstellt. Biogener Kohlenstoff könnte theoretisch den größten Teil des Bedarfs decken, konkurriert aber mit der Nahrungsmittelproduktion um landwirtschaftliche Nutzflächen. Andererseits lassen sich bestimmte notwendige Industrieprozesse, wie die Zementherstellung oder die Müllverbrennung, nicht dekarbonisieren. Ihre CO2-Emissionen stammen aus den Rohstoffen und können nicht reduziert werden. Als pragmatische und sinnvolle Lösung bietet es sich an, dieses CO2 aus sogenannten must-run-Anlagen, das im Abgas in hoher Konzentration vorliegt und daher energie- und kosteneffizient abgetrennt werden kann, für PtX-Synthesen zu nutzen.
Die Transformation der Industrie hin zur Klimaneutralität wird aller Voraussicht nach mit hohen Kosten verbunden sein. Für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten sind daher die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen für Wasserstoff und PtX-Produkte besonders wichtig. Nicht zuletzt kommt es auch auf die öffentliche Akzeptanz an. Eine erfolgreiche Energiewende erfordert einen ganzheitlichen und integrierten Ansatz, der technologische, wirtschaftliche, soziale und ökologische Überlegungen miteinander verbindet.
Referenzen
Lit 1: www.wasserstoff-leitprojekte.de/leitprojekte/h2giga, abgerufen am 15.05.2023
Lit 2: www.wasserstoff-leitprojekte.de/leitprojekte/transhyde, abgerufen am 15.05.2023
Autor/in: Isabel Kundler, Senior Advisor Electrochemistry, Dechema
Dr. Florian Ausfelder, Fachbereichsleiter, Energie und Klima,Dechema
Nachgefragt
Interview mit Dr. Florian Ausfelder
CITplus: Die Wasserstoffwirtschaft bietet für den deutschen Anlagenbau große Chancen. Welche Märkte haben nach Ihrer Einschätzung das größte Potenzial und bietet die Situation nicht allerbeste Chancen für faire Handelsbeziehungen mit Schwellenländern?
Florian Ausfelder: Die Wasserstoffwirtschaft führt zu einem fundamentalen Umbau des Energiesystems und der Produktionsstruktur in den Prozessindustrien. Daraus ergeben sich große Chancen für den Maschinen- und Anlagenbau weltweit. Der deutsche Anlagenbau ist für die diese Herausforderung gut aufgestellt. Neben der Transformation von bestehenden Industrieanlagen in den Industrieländern werden neue Anlagen, insbesondere für die Herstellung von Wasserstoff und Derivaten, dort entstehen, wo die energetischen Voraussetzungen günstig sind, also vermehrt in Entwicklungs- und Schwellenländern. Europa und Deutschland befinden sich hierbei in einem Investitionswettbewerb mit anderen globalen Akteuren um die besten Standorte und müssen als Geschäftspartner überzeugen. Dies ist eine Chance, die Zusammenarbeit auf Basis von gegenseitigem Vertrauen zu entwickeln. Hierfür ist zentral, dass die Interessen aller Partner gleichberechtigt berücksichtigt werden. Jetzt ist der Moment, diese neuen Beziehungen zu knüpfen und die gemeinsamen Chancen zu nutzen.
CITplus: Um tatsächlich grünen Wasserstoff in bedarfsgerechten Mengen zu produzieren, sind große Mengen erneuerbarer Energie notwendig, die hierzulande fehlen. Welchen Beitrag zur Wasserstoffproduktion kann Europa hier überhaupt leisten und welche Hürden sind zu überwinden?
F. Ausfelder: Die Entwicklung der Wasserstoffproduktionstechnologie in Europa baut das Know-how auf. Europa wird auch in diesem Technologiefeld Technologieexporteur werden. Ein relevanter Beitrag der heimischen Produktion wird nur an bestimmten bevorzugten Standorten zu erwarten sein. Aber es geht um die Demonstration der Prozesskette, der Möglichkeit Produktionstechnologien für die Massenproduktion zu entwickeln und heimische Technologieanbieter zu entwickeln, die im globalen Wettbewerb erfolgreich agieren können.