Cloud-Dienste, Big Data und cyber-physikalische Systeme: Kompetenzen und Rechtssicherheit für die digitale Transformation
Wege zur Digitalisierung in der Lebensmittelindustrie waren Themen einer Forums-Veranstaltung, zu der 3M Ende Juni 2019 nach Neuss eingeladen hatte.
Neben dem großen Interesse am Thema Digitalisierung ist branchenweit noch sehr viel Unsicherheit zu spüren. Dabei wissen alle: Wir müssen uns dem Thema stellen und Entscheidungen treffen, idealerweise gestützt durch Erfahrungen und Sichtweisen anderer. Um diese kennen zu lernen, bot 3M am 25. Juni 2019 ein Forum: Rund 30 Teilnehmer aus der Lebensmittelindustrie, aus Labors, Hochschulen und Behörden trafen sich im Technologiezentrum des Unternehmens in Neuss zu einer Netzwerk-Veranstaltung mit dem Titel „Lebensmittel 4.0 – wohin geht die Reise?“.
Abwarten als größtes Risiko
Warum die Ressource Daten immer wichtiger wird und welche Dynamik die Entwicklung aufgenommen hat, stellte Norbert Reichl von der Food Processing Initiative dar. Die in Bielefeld angesiedelte Organisation vernetzt 120 Mitglieder aus Wirtschaft und Wissenschaft. Wie Daten genutzt werden, ist für den Referenten in erster Linie eine Frage der Einstellung. So gibt es Vorreiter – Akteure, die man früher nicht sah, und neue, datengestützte Geschäftsmodelle wie beim Transportdienstleister Uber, der selbst keinen Fuhrpark besitzt, und „Airbnb“, dem Vermittler von Ferienwohnungen ohne eigene Immobilie. Solche Konzepte verändern die Zugänge zum Markt und verkürzen die Wertschöpfungskette deutlich. Diesen Vorteil können sich auch kleinere Unternehmen zu Nutze machen. Etwa der Bioland-Erzeuger Gut Wilhelmsdorf, der seinen Hofladen durch einen Online-Shop mit Lieferservice ergänzt hat, technisch ohne allzu großen Aufwand.
Big Data in der Wissenschaft
Einblicke in Methoden, bei denen die Digitalisierung neue Wege in der Wissenschaft eröffnet, gab Prof. Martin Wiedman vom College of Agriculture and Life Sciences (CALS) der renommierten Cornell University in Ithaca/US-Bundesstaat New York. Dort wird Grundlagenforschung mit engen Kontakten zur Industrie verknüpft, insbesondere im Bereich Big Data. Der Referent thematisierte die datenbasierte Modellierung im Bereich Lebensmittelsicherheit und -qualität und stellte mathematische und statistische Modelle vor, also vereinfachte Versionen von komplexeren Phänomenen. „Modelle sind immer falsch“, räumte Prof. Wiedman ein, doch sie seien hilfreich, wenn es darum geht, Abläufe weniger fehlerhaft zu machen. Sie ermöglichen die Erforschung von potenziellen Gefahren und möglichen Interventionen auch unter dem Aspekt der Kosten. Daher werden sie routinemäßig zur Risiko-Abschätzung eingesetzt.
Juristische Aspekte der Digitalisierung waren das Thema von Rechtsanwalt Dr. Boris Riemer aus der Sozietät Seitz & Riemer in Lörrach. Daten werden inzwischen in allen Sektoren erfasst, von der Landwirtschaft über die Industrie bis zu Dienstleistungen. Die Datenerfassung erfolgt etwa durch Sensoren oder Aufzeichnungen, wenn nicht bereits unmittelbar durch das Internet der Dinge. Massendatenverarbeitung (Big Data) ermöglicht deren Analyse und macht Daten zu handelbaren Gütern – über die Landesgrenzen hinaus, denn insbesondere Cloud-Dienste werden nicht am Ort des Datenanfalls oder der Datenanalyse betrieben. Doch „immer hinkt die rechtliche Seite dem technischen Fortschritt hinterher“, so Dr. Riemer. Denn das Recht hat für diese technischen Möglichkeiten noch keine Rechtsinstitute etabliert. Urheberrecht, Sachen- und Eigentumsrecht und Recht des geistigen Eigentums erfassen die Fragestellungen allenfalls teilweise und zudem in den einzelnen Ländern unterschiedlich. Auch sei bei persönlichen Daten der Datenschutz zu beachten.
Externe Unterstützung nutzen
Einen Überblick über den aktuellen Status der Digitalisierung gab Justin Stefan vom Lebensmittelinstitut KIN, dem Kompetenzzentrum für Digitalisierung in Neumünster. Auch er ging auf Hilfs- und Fördermöglichkeiten ein, etwa durch die Initiative „Mittelstand-Digital“ und durch Plattformen wie „Industrie 4.0“ und „STEPS“. Stefan stellte u. a. „smarte“ Produkte und cyber-physikalische Systeme (CPS) als Teil einer „Smart Factory“ vor: „intelligente“ Maschinen, Lagersysteme und Betriebsmittel, die selbstständig Informationen austauschen, Aktionen auslösen und einander steuern.
Mut zur Veränderung
Die zahlreichen und lebhaften Diskussionsbeiträge aus dem Kreis der Teilnehmer zeigten das starke Interesse am Erfahrungsaustausch untereinander und die Bereitschaft, andere am eigenen Know-how partizipieren zu lassen. Deutlich wurden auch die vielfältigen Herausforderungen, z. B. die Schwierigkeit der Definition, welche Daten überhaupt gebraucht werden, die Einbeziehung analoger Auswertungen und fehlende Korrelations-Analysen. Einigkeit bestand indes über die wesentlichen Punkte: Man braucht eine Strategie. Man braucht ein Bewusstsein für die Datenqualität. Man braucht starke Netzwerke. Und nicht zuletzt: Man braucht den Mut zur Veränderung.