Der Halbleitermarkt 2020
Der Markt für Halbleiter wächst trotz Krise weiter. Woran das liegt und welche Branchenentwicklungen es im Detail zu beobachten gibt, beschreibt Philipp Schlüter, Partner bei dem Finanzberatungsunternehmen Cowen.
Die Coronakrise, die zu Beginn des Jahres 2020 über die Welt hereinbrach, hat die globale Wirtschaft vor enorme Herausforderungen gestellt und gleichzeitig die Digitalisierung von Prozessen stark beschleunigt. Trotz der wirtschaftlichen Entwicklung gehört der Halbleitermarkt zu den Branchen, die gestärkt hervorgehen. Denn: Die so beliebten Chips werden weltweit in verschiedensten Branchen immer mehr nachgefragt. Damit steigt auch das Produktionsvolumen. Eine Abflachung ist nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil – Tendenz weiterhin steigend. Welche Faktoren führen zu dieser Nachfrage? Und welche Zukunftsprognosen lässt das zu?
Die Treiber und Trends im Halbleitermarkt
Es gibt einige Haupttreiber, die dieser Entwicklung in die Karten spielen. Zu diesen zählt neben der Elektrifizierung von Fahrzeugen auch die Entwicklung hin zu autonomen Autos. Während diese in der 5G-Welt noch teilautonom fahren, werden sie in der 6G-Zukunft hingegen bereits vollautonom unterwegs sein. Interessant dabei: Bis zu 5.000 Chips werden mittlerweile in Premium-Fahrzeugen mit all ihren Sensoren und Steuerungselementen verbaut.
Auch das industrielle B2B-Internet der Dinge ist ein wichtiger Treiber in der Halbleiterindustrie. Die Welt in Industrie und Fabrik wird immer vernetzter und Prozesse laufen automatisiert ab. Für Roboter und Co-boter sind Chips ein essentieller Baustein und die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit steigen stetig. Und das nicht zuletzt aufgrund der künstlichen Intelligenz- und Machine-Learning-Applikationen, die für eine funktionierende Mensch-Maschinen-Kollaboration notwendig sind.
Letztlich werden auch für uns Endverbraucher die Produkte immer Chip-lastiger. Nach Smartphones unterstützen Saugroboter, autonome Rasenmäher, vernetzte Kühlschränke, Sportgeräte und Drohnen unsere private Welt. Für die volle Vernetzung und das B2C-Internet der Dinge reicht 5G allerdings nicht mehr aus. Es werden 6G-Netze und noch leistungsfähigere Chips auf Basis von 5-nm oder 3-nm Nodes benötigt.
Durch die aktuellen Produktionsstopps in der europäischen Automobilindustrie – bedingt durch Lieferschwierigkeiten bei den Chip-Herstellern – schrecken Industrie und Öffentlichkeit zusehends auf und diskutieren, ob auch hier in Europa verstärkt in FABs investiert werden muss. Denn: Die ganz großen FABs sind bislang nur in Asien und den USA beheimatet.
Neben den Treibern sind auch einige aufstrebende Industrietrends zu verzeichnen, die den Halbleitermarkt ganz maßgeblich beeinflussen. Zu diesen zählt die zunehmende Konsolidierung unter den Chip-Herstellern und -Entwicklern. Diese findet vor allem in Anwendungen statt, für die Chips in sehr hoher Stückzahl benötigt werden. Diese Chips dürfen nicht teuer sein, da die Produkte, in die sie verbaut werden, für ein breites Publikum bestimmt sind. Gute Beispiele dafür sind die Chips in Smartphones, Rechenzentren und Kommunikationsinfrastruktur. Auch hier kommen die sogenannten FABs ins Spiel: Nur die Riesen-Hersteller aus den USA und Asien sind in der Lage, die benötigte günstige Massenware herzustellen. Auf der anderen Seite stehen die Hersteller für Chips in Spezialanwendungen wie Industrie, Sicherheit, Automobil und Luftfahrt. Durch den Erfolg ihrer Produkte und die Ausweitung der Anwendungen sehen sie sich immer häufiger in die Massenproduktion gedrängt. Denn auch die Abnehmer benötigen größere Stückzahlen, um die Sensorik entsprechend auszustatten – und das möglichst günstig. Spezialprodukte werden zu Massenprodukten und so spielt die Finanzierung von Wachstum und Konsolidierung eine immer größere Rolle. Der Markt hat also einerseits mittelständische Spezialanbieter und auf der anderen Seite Konzerne, die die Endpreise aufgrund von Skaleneffekten gering halten können. Die Folge? Firmen mit Zugang zu Kapital wachsen und konsolidieren kleine Firmen in diesem Bereich.
Und auch ein weiterer Faktor darf aus europäischer Sicht nicht abgetan werden: Der U.S.-chinesische Handelskrieg. Dieser führt dazu, dass ganze Lieferketten komplett überdacht werden. Denn nur so lässt sich für die heimischen Firmen ein Wettbewerbsvorteil auch zukünftig sicherstellen. Ein Ende des Konflikts ist vorerst nicht in Sicht, denn auch die Regierung von U.S.-Präsident Joe Biden fährt den Anti-China-Kurs weiter. Die Freude europäischer Chip-Hersteller und Anlagenbauer für die Chip-Industrie nach einer gesteigerten Nachfrage aus China könnte deshalb von kurzer Dauer sein. So ist es denkbar, dass sich europäische Hersteller künftig gezwungen sehen, sich entweder auf die USA oder auf China auszurichten.
Es gibt Stimmen in Europa, die immer lauter fordern, dass die Chip-Industrie hierzulande gestärkt werden muss, um unabhängiger zu werden. Eine 3-nm-FAB in Europa aufzubauen, wäre zumindest eine sehr strategische Entscheidung. Wir sollten das Potenzial nutzen!
Das Wachstumspotential: Die Branchen im Blick
Chips gewinnen für jegliche Branchen an Relevanz. Besonders in der Automobilindustrie, dem Bereich der Datenkommunikation und -verarbeitung und der Consumer Electronics ist ein ganz unterschiedlicher Wachstumsgrad zu beobachten. Das mit Abstand stärkste Wachstum verzeichnet ganz klar die Automobilbranche, dicht gefolgt von den Industrials.
Resümee und Ausblick
Die Corona-Pandemie führte nicht nur zur größten globalen Krise seit Jahrzehnten, sondern auch zu einem klaren Paradigmenwechsel für Wirtschaft und Industrie: Die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen ist dringlicher denn je. Damit einher geht nicht zuletzt auch die steigende Nachfrage und Produktion der Halbleiter. Bei all den verschiedenen Treibern, Trends und Unsicherheiten steht fest: Die Branche wächst, und das enorm.
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