29.10.2020 • Praxisberichtea-onAnalyseAntriebe

Forschungsbrauerei der TUM stellt auf Siemens-Prozessleitsystem Braumat um

Intuitive Bedienung, höhere Flexibilität: In der Forschungsbrauerei der TU München fließt das Bier mit neuer Siemens-Software nun ganz automatisch. Die Forschungsbrauerei ist Teil der Technischen Universität München (TUM), bei der die Studenten im Rahmen ihres Studiums selbst Hand anlegen und ihr eigenes Bier brauen. Über den Lehrbetrieb hinaus, dient sie außerdem der Forschung an der Universität, sowie anderen Brauereien. Diese können dort die Herstellung neuer Biersorten in Kleinstgrößen testen, bevor sie damit in die große Produktion starten.

Zusammen mit den Auftragsbieren der anderen Brauereien werden rund 120.000 l im Jahr in der Forschungsbrauerei produziert. Für die Forschungsbrauerei ist es essenziell, dass der Brauprozess gesamtheitlich kontrolliert und automatisch ablaufen kann, um später die Ergebnisse reproduzieren zu können. Seit kurzem wurde daher auf die aktuelle Version des Siemens-Prozessleitsystems Braumat umgestellt.

Mit der Softwareumstellung erfolgte in kürzester Zeit außerdem die Modernisierung wesentlicher Komponenten, insbesondere auch der vorhandenen Sicherheitstechnik. Diese wurde nun direkt in das neue Leitsystem, das nur noch aus einem einzigen Schaltschrank besteht, integriert. Für den Technischen Leiter der Forschungsbrauerei, Christoph Neugrodda, war die neue Sudhaussteuerung ein besonderes Highlight: „In der Karriere eines Braumeisters kommt es nicht oft vor, dass man die Neustrukturierung des gesamten Leitsystems einer Brauerei hautnah miterleben darf“, so Neugrodda.

Des Weiteren können sich nun sowohl er als auch die Braumeister der Forschungsbrauerei die Anlagendaten direkt auf dem Monitor in der Leitwarte oder in ihren Büros anzeigen lassen, was zu einer erheblichen Arbeitserleichterung führt. Im Rahmen der Modernisierung, wurden die im Rahmen der Forschung nachträglich eingebauten Messgeräte und Kabel neu im Schaltschrank eingebunden und überflüssige Einbauten bereinigt. Der gesamte elektrische Umbau der Anlage wurde von der Firma a-on AG, einem Siemens-Partner, durchgeführt. Die a-on AG hat ihren Sitz in Oberding bei Freising und zeichnet sich durch langjährige Erfahrung in Elektrifizierung und Automatisierung von Anlagen der Nahrungs- und Genussmittelindustrie aus.
Unter Verwendung von fehlersicheren ­Siemens-Steuerungen Simatic S7-1516F und deren zugehörigen Anschaltmodulen Simatic ET200SP konnte die vorhandene Relaissteuerung ersetzt werden. Erforderliche zukünftige Anpassungen in der Sicherheitstechnik können nun wesentlich einfacher und flexibler durch die Anpassung des Safety-Softwareprogramms erfolgen. Zudem spart diese Lösung viel Platz an Verkabelung und Hardwarekomponenten im Schaltschrank.

Die Kommunikation und Vernetzung der einzelnen Komponenten wurden modernisiert. Mit der Umstellung auf Kommunikationsstandard Profinet, der auf Ethernet basiert, kann neben der Datenübertragung auch die Übermittlung der Diagnosedaten der einzelnen Komponenten erfolgen. Damit kann im Fehlerfall die Ursache einfacher ermittelt und dem Bediener zur Anzeige gebracht werden. Die Netzwerkswitche wurden auf Scalance von Siemens umgestellt, um alle Netzwerkkomponenten in die Lage zu versetzen, diese Informationen weiterzuleiten und darüber hinaus die neuesten industriellen Sicherheitsmechanismen zu berücksichtigen.
Ein weiteres Handlungsfeld war die vorhandene Antriebstechnik. Hier wurden zentrale Steuerungen im Schaltschrank eingesetzt, was für Platz und erhöhten Schutz im Nassbereich führt. Die verwendeten Siemens-Antriebe Sinamics G120 sind nun sicherheitstechnisch über das Kommunikationsprotokoll Profisafe eingebunden, was im Bedarfsfall zu einer extrem schnellen Abschaltung führt. Daneben wurden Siemens-Motorstarter Sirius für einfache Motoren und Pumpen verbaut.

Das Siemens-Prozessleitsystem Braumat kontrolliert über zwei Steuerungen den gesamten Prozessbereich. Die Aufteilung erfolgt nach den technologischen Abläufen, das heißt eine Steuerung kontrolliert die Prozessabläufe im Sudhaus und die andere Steuerung die Gär- und Lagertanks im Keller. Aufgrund der Erfahrungen in Forschung und Technologie der letzten Jahre wurden die Steuerungen so ausgelegt, dass noch ausreichend Platz für mögliche Erweiterungen vorhanden sind.

„Reproduzierbarkeit ist unser Ziel”
Das vollautomatische Sudhaus wird komplett über Software gesteuert, nur die Zutaten müssen noch händisch hinzugegeben werden. Die einzelnen Bottiche sind visuell so dargestellt, wie sie nur wenige Meter weiter in der Halle stehen. Christoph Neugrodda und seinen acht Mitarbeitern gefällt vor allem die vereinfachte und praktikable Visualisierung des neuen Programms. Dadurch wird das Verständnis für den eigentlichen Brauvorgang geschärft und die Bedienbarkeit des Leitsystems auch für neue Bediener erleichtert. Zudem lässt sich der Brauvorgang im Nachhinein leichter nachvollziehen.
Im sog. Replay-Modus zeichnet das Leitsystem, ähnlich wie ein Videorekorder, alle Prozessparameter, Meldungen und Chargenabläufe auf, die sequenziell während des Brauens von dem System erfasst werden. Im Fehlerfall kann dann durch den Replay-Mode die Anlage die Zustände auf dem Bildschirm noch einmal darstellen und die Ursache schnell nachvollzogen und gefunden werden. Durch die Aufzeichnung geht kein Rezept mehr verloren und das Bier kann jederzeit wieder identisch nachgebraut werden. „Reproduzierbarkeit ist unser Ziel – und mit der neuen Steuerung deutlich einfacher als zuvor“, sagt Neugrodda.

Viel mehr als nur Bier brauen
Die neue Version von Braumat ist nicht nur intuitiver als zuvor, sie erhöht vor allem deutlich die Flexibilität bei den Rezepten. In der Forschungsbrauerei gibt es acht Hauptbiersorten, bei denen die sortenspezifischen Parameter individuell angepasst werden können. Damit ist die Forschungsbrauerei in der Lage, leichter alle bisher produzierten Biersorten wiederherstellen zu können. Eine Anpassung an neue Anforderungen ist leicht integrierbar, wie z. B. bei Craft-Brauereien die Anpassung der Hopfendosage an unterschiedliche Gefäße. Zukünftige Erweiterungen, wie z. B. ein Dekoktionskocher sind bereits berücksichtigt, so dass diese neuen Geräte in die bestehenden Rezepte eingebunden werden können.
Bei der Qualitätssicherung geht es allerdings nicht nur ums Brauen. Daher hat der Lehrstuhl für Brau- und Getränketechnologie auch eigene Labore und Sensorik-Räume, in denen regelmäßig Analysen und Verkostungen der Biere stattfinden.

In Weihenstephan setzt man bereits seit einiger Zeit auf das Siemens-Laborsystem „Opcenter Laboratory“. Mit der direkten Anbindung an Braumat erfolgt eine Integration aller beteiligten IT -Systeme mit dem Brausystem. Dank der Durchgängigkeit der Systeme wird somit neben dem Prozessablauf auch die Qualität eines Suds vom System überwacht. Im Laborsystem wird automatisch eine Probe der gebrauten Biersorte mit allen zugehörigen Grenzwerten und Tätigkeiten angelegt. Der Arbeitsablauf von der Probennahme, der Beprobung und der Analyse der Ergebnisse ist fest definiert und wird auch vom System überwacht. Mit der Überwachung der Analyse erhöht sich neben der reproduzierbaren Produktqualität in der Herstellung auch die Analysequalität. „Denn Forschungsbiere sind die bestanalysierten Biere der Welt“, sagt Neugrodda.

Fazit
Mit der Modernisierung bleibt die Forschungsbrauerei führend auf ihrem Gebiet. Es gibt jedoch schon konkrete Ideen für zukünftige Schritte in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl „Verpackungstechnik“. Gemeinsam soll der seit August 2019 freigegebene Weihenstephaner Standard „WS Brew“ implementiert werden. In dieser Standardisierungsdefinition sind die Datenpunkte und Key Performance Indikator (KPI) im Prozessbereich einer Brauerei definiert, wodurch das Reporting standardisiert werden kann.

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