Herausforderungen der Qualitätssicherung aus globalen Warenströmen bis hin zum Lebensmittelbetrug (Food Fraud)

„Was tun, wenn die Task Force zur Betriebskontrolle vor der Tür steht? Ruhe bewahren und gut kommunizieren“.

„Was tun, wenn die Task Force zur Betriebskontrolle vor der Tür steht? Ruhe bewahren und gut kommunizieren“. Diese Aussagen hörten die etwa 100 Teilnehmer der QS-Leitertagung der Akademie Fresenius am 26. und 27. Juni 2018 in Köln. Vorträge und Diskussionen des 10. Fresenius-Praktikertreffens setzten den Alltag der Qualitätssicherung (QS) in Beziehung zu ihren aktuellen Herausforderungen durch globale Lieferketten, kriminelle Machenschaften des Lebensmittelbetrugs (Food Fraud) und durch Regularien aus Lebensmittelrecht und Kontrolle. Praktiker aus den Unternehmen gaben Einblicke in ihre Lösungen zur QS.

Das 10. Fresenius-Praktikertreffen gliederte sich in die Themenblöcke: 
  • Risiko und Kontrolle, 
  • Food Fraud, 
  • Sicherheit in der Lieferkette und 
  • Risikominimierung und Rechts­sicherheit.
 
Ilka Müller begrüßte die Teilnehmer im Namen der Akademie Fresenius und gab nach ersten Hinweisen zum Tagungsablauf das Wort an den Moderator der Veranstaltung, RA Dr. Markus Grube, Partner von KWG Rechtsanwälte. 
Dr. Grube informierte das Plenum, dass Prof. Dr. Franz Ulberth seinen Vortrag „Täuschungsschutz bei Lebensmitteln aus Sicht der europäischen Kommission“ wegen einer Verhinderung nicht halten könne. Der Moderator kündigte stattdessen einen eigenen Vortrag zum Thema „Update Food Fraud – rechtlicher Überblick“ an.

Risiko und Kontrolle
Dr. Boris Riemer, Seitz & Riemer Rechtsanwälte, gab eine Präsentation zur „EU-Kontrollverordnung: Auswirkungen, Rechte und Pflichten der Unternehmen“. Darin stellte er u. a. die für Lebensmittelhersteller brisante Frage in den Raum: „Müssen wir die Behörde dahin führen, wo wir ein Problem haben?“. Der Referent verneinte dies mit dem Hinweis auf den „nemo tenetur es ipsum accusare“–Grundsatz in der Rechtsprechung. Hiernach dürfen Beschuldigte nicht dazu verpflichtet oder gedrängt werden, sich selbst zu belasten.
Die „EU-Kontrollverordnung: Auswirkungen auf die Überwachung und die Analytik“, war das Thema des Vortrags von Stephan Walch, Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Karlsruhe. Der Referent beschrieb u. a. das Aufgabenportfolio der EU-Referenzzentren für Echtheit und Integrität der Lebensmittelkette: 
  • Bereitstelllung von Fachwissen für Fragen zur Echtheit und Integrität der Lebensmittelkette,
  • Bereitstelllung von analytischen Methoden zum Nachweis von Lebensmittelbetrug, 
  • Verbreitung von Forschungsergebnissen und technischen Innovationen, 
  • Aufbau und Pflege von Datenbanken/Referenzmaterialien. 
 
Für ein Schmunzeln im Auditorium sorgte Stephan Walchs spöttische Frage: „Haben Sie schon Bitcoins für die Kontrollen im Darknet?“
Dr. Claudia Thielen, Leiterin der Bayerischen Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (KBLV) präsentierte die am 1. August 2017 gegründete Kontrollbehörde. 92 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Stand Mai 2018) waren am Hauptsitz Kulmbach und in der Dienststelle in Ober-Erding beschäftigt. Im 1. Quartal 2018 hat die Behörde in mehr als 220 Betrieben über 300 Kontrollen durchgeführt, über 400 amtliche Proben gezogen und mehr als 4.000 amtliche Bescheinigungen ausgestellt. 
Die spannende Frage „Wenn Task Force & Co. vor der Tür stehen – was nun?!“, stellte der Vortrag von Michael Lendle, geschäftsführender Gesellschafter von AFC Risk & Crisis Consult. Michael Lendle brach eine Lanze für eine konsequente Beziehungspflege zu den Kontrollbehörden mit den Worten: „Laden Sie die Behörde ein, legen Sie Einzelmaßnahmen offen, nehmen Sie Empfehlungen für Ihren Maßnahmenplan ernst und bauen Sie diese ein“. 
Ein „Update zu Food Fraud – rechtlicher Überblick“ gab Moderator RA Dr. Markus Grube, KWG Rechtsanwälte. Der Referent verwies auf die rechtliche Definition des Betrugsbegriffs gemäß §263 StGB als „Absicht der rechtswidrigen Verschaffung eines Vermögensvorteils durch Schädigung des Vermögens eines anderen durch Irrtumserweckung/-erhaltung.“ Hiervon sei der Begriff Irreführung nach Artikel 7 LMIV/§ 11 LFGB sauber zu trennen. Abschließend präsentierte Markus Grube die Europol-Ermittlungen im Rahmen von Opson VII um künstlich gerötetes Thunfischfleisch.

Food Fraud
Dr. Christian Hummert, SGS Germany, sprach über „Food Fraud: Die große Herausforderung in der täglichen Praxis“. Christian Hummert konstatierte: „Es gibt kein echtes Sicherheitsproblem mehr bei Lebensmitteln.“ Tatsächlich habe der Lebensmittelbetrug den Sicherheitsaspekt als echtes Risiko längst abgelöst. Der Referent hat als Handelschemiker seit etwa 20 Jahren lediglich drei Mal echte Sicherheitsrisiken erlebt: darunter seien der Melaminskandal in Milchpulvern und die EHEC-Kontaminationen. 
„Wie schützen wir uns vor Verfälschungen – Umgang mit Food Fraud“ war das Thema von Rosi Eder-Wörthmann von der Unternehmensgruppe Theo Müller. Die vier Kriterien für Lebensmittelbetrug gemäß dem Food Fraud Network (FFN) der EU erlaubten es, Lebensmittelbetrug von Fällen der Lebensmittelsicherheit und/oder des Produktschutzes sauber abzutrennen. Die vier Kriterien lauten:
  • Verletzung der EU-Rechtssetzung,
  • Absicht,
  • wirtschaftlicher Gewinn und
  • Täuschung des Endverbrauchers.
Als Beispiele für Lebensmittelbetrug nannte die Referentin u. a. das Einfärben von Öl mit Chlorophyll, um es als Olivenöl zu verkaufen, die Streckung von Reis mit Kunststoffgranulaten oder die Vermischung von Haselnüssen mit Erdnüssen.

Sicherheit in der Lieferkette
Die „Rückverfolgbarkeit aus Sicht eines internationalen Handelkonzerns“ thematisierte Britta Gallus, Direktorin Programs & Risk Assessment, SCM bei der Metro AG. Unter der Vielzahl der Maßnahmen bei Metro beleuchtete die Referentin u. a. die App Metro Pro Trace. Sie wurde im Dezember 2013 im Pilotmaßstab bei den Fischprodukten der Metro eingeführt und im Mai 2014 auch auf Fleischprodukte ausgedehnt. ­Heute erfasse das System Pro ­Trace bei Metro rund 900 Fisch- und 2.000 Fleischprodukte. 
Bettina Gerulat vom Veterinär- und Einfuhramt Hamburg beschrieb unter dem Titel „Importkontrollen von Lebensmitteln in einer Hafengrenzkontrollstelle“ den Alltag der Grenzkontrollen im Hamburger Hafen. Neben der Gewährleistung sicherer Lebensmittel und sicherer Bedarfsgegenstände konzentrierten sich die Aufgaben in der Hafengrenzkontrollstelle auf die Tierseuchenabwehr, wie z. B. der Schutz vor Tollwut oder vor der Maul- und Klauenseuche. Im Brennpunkt der Kontrollen stehe aber auch die Zoonose-Abwehr, also die Abwehr der Infektionskrankheiten-Übertragungen von Tier zu Mensch oder von Mensch zu Tier. Als prominentes Beispiel für Zoonosen nannte die Referentin das Ebolavirus. 
Die „Qualitätssicherung entlang der Wertschöpfungskette bei McDonald’s“ behandelte Marco Tesche (McDonald’s Deutschland) in seiner Präsentation. Die QS entlang der Wertschöpfungskette bei McDonald’s laufe überwiegend softwaregestützt ab. Die Rückverfolgbarkeit von „Farm to Fork“ werde von einem Supplier Quality Management System und einem Distributor Quality Management System überwacht. McDonald’s Produkte werden überwiegend im Franchise-System in rund 36.000 Restaurants weltweit vertrieben, davon befinden sich rund 1.480 in Deutschland. Die Restaurants unterliegen externen Kontrollen, wie z. B. vier unangekündigten Laboruntersuchungen pro Jahr, die u. a. Proben aus Shakes, Trinkwasser und Salat untersuchen und nach einem Ampelsystem bewerten. Zusätzlich übernehmen akkreditierte Labore unangekündigte Food Safety Audits. Von Seiten der Behörden gäbe es darüber hinaus noch etwa 800 Besuche pro Jahr. 
Über „Sicherheit der Supply Chain – ein Praxisbericht – Rolle der QS“ sprach Dr. Norbert Kolb, Worlée Naturprodukte. Der Referent appellierte an das Selbstbewusstsein der QS-Verantwortlichen in den Unternehmen mit den Worten: „Wir sind nicht der Mülleimer im Unternehmen, wir müssen nicht alles machen. Es gibt auch einen Einkauf, es gibt auch einen Vertrieb.“ Auch sei die Aufgabe der QS nicht die eines Forensikers, sondern bei QS gehe es in erster Linie um die Prävention. Auf eigenen Reisen zu Lieferanten nach China hat der Referent sehr viele irreführende Showprogramme für Kunden erlebt. Teilweise wurden die gleichen Räumlichkeiten zur Vorstellung unterschiedlicher Lieferanten-Unternehmen genutzt. Ein preislich sehr günstiges Angebot von chinesischem Champignonpulver wirkte optisch ungewöhnlich weiß. Es enthielt einen Masseanteil von 60 % ­Cellulose.

Risikominimierung und Rechtssicherheit
Bernd Kurzai, Justitiar bei Südzucker, sprach über „aktuelle Kennzeichnungsfragen“ und behandelte die Themen Portionspackungen, Herkunftsbezeichnung bei primären Zutaten und Neuerungen bei Gentechnik und VLOG (Verband Lebensmittel ohne Gentechnik e.V.) Zertifizierung. Ein ganz praktisches Beispiel kleiner Portionspackungen kenne jeder Hotelgast vom Frühstück: Kleine Packungen mit Honig oder Marmelade. Nach einer Entscheidung des bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Mai 2018 müsse nun ein Münchner Honighersteller das Herkunftsland des Produkts angeben. 
Prof. Dr. Martin Holle von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg referierte über das Thema „DGHM-Werte und Leitsätze des deutschen Lebensmittelbuchs – nur guter Rat oder Quasi-Gesetzgebung?“. Das komplexe Thema der „Probenahme“ behandelte der Vortrag von Jürgen Schlösser (Dr. August Oetker Nahrungsmittel). 
Einen Praxisbericht zum Thema „Allergenmanagement im Umfeld von Pulverproduktionen“ gab Hajo Rabe (Symrise). Der Betriebsleiter für Trocknung und Pulvermischungen nannte einige Kennzahlen für den Betrieb in Holzminden aus dem Jahr 2017: Aus 170.000 Komponenten entstanden 2.500 verschiedenen Fertigprodukte mit einer Gesamtmasse von 11.000 t. Der Referent gab einen Überblick zu pflanzlichen und tierischen Allergenen und stellte fest: Es sei bisher kaum zufriedenstellend gelungen, die allergieauslösende Aktivität verschiedener Allergene miteinander zu vergleichen. In den USA und Australien seien Methoden zur Allergenbewertung unter dem Begriff „Voluntary Incidental Trace Allergen Labelling“ (VITAL) entwickelt worden. Daraus leite sich das erweiterte EU-VITAL-Konzept ab. Es etabliere eine allgemein akzeptierte und standardisiere Vorgehensweise für Lebensmittelhersteller. 
Sieglinde Stähle vom BLL Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde behandelte das herausfordernde Thema „Mineralöleinträge in Lebensmittel: Quellen und Tools zur Vermeidung von Einträgen“. Dabei gab die Referentin einen Überblick zur Entwicklung der „BLL-Toolbox zur Vermeidung von Einträgen unerwünschter Mineralölkohlenwasserstoffe in Lebensmittel“. Interessenten finden weitergehende Informationen unter https://bit.ly/2MAa8zW.

Fazit
Interessenten an QS-Fragestellungen in der Produktion von Lebensmitteln und Getränken fanden ein gelungenes Forum zum gegenseitigen Austausch, für neue Ideen und zum sprichwörtlichen Blick über den Tellerrand. Das belegten die interessierten Fragen aus dem Auditorium deutlich. 
Gemeinsam mit dem Moderator Dr. Markus Grube hat das Team der Akademie Fresenius im Rahmen der QS-Leitertagung den „Werkzeugkasten“ der Verantwortlichen mit neuen Impulsen gefüllt. Dazu trugen auch die perfekte Organisation, das stringente Zeitmanagement des 10. Fresenius-Praktikertreffens und eine gelungene Abendveranstaltung mit einem Abstecher ins Schokoladenmuseum bei. Auf die QS-Leitertagung vom 26.–27. Juni 2019 im Leonardo Royal Hotel Köln darf man gespannt sein. 
 
 

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