Hochdichte Räume sorgen im Labor Spiez für Sicherheit
Die Schutzanzüge werden über einen blauen Schlauch konstant mit Luft versorgt und so in einen leichten Überdruck versetzt, der verhindern soll, dass Luftpartikel durch kleinste Risse ins Anzugsinnere eindringen können.
Es ist ein ganz normaler Donnerstagvormittag im Berner Oberland, als sich zwei Virologen des Labor Spiez vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz in der Schweiz für einen Routineeintritt ins biologische Sicherheitslabor vorbereiten. Im Anzugsraum überprüfen die beiden ganz genau ihre Schutzanzüge, bevor sie damit das Labor betreten. In ihren mit Atemluft aufgeblasenen Anzügen erinnern die beiden Forscher ein wenig an (Helm)Taucher, die sich auf dem Meeresgrund bewegen. Die Schutzanzüge werden über einen blauen Schlauch konstant mit Luft versorgt und so in einen leichten Überdruck versetzt, der verhindern soll, dass Luftpartikel durch kleinste Risse ins Anzugsinnere eindringen können.
Die Forscher betrachten eine Zellkulturflasche unter dem Mikroskop: Es sind einzelne Flecken im konfluenten Zellrasen erkennbar. Diese Löcher, oder Plaques, entstehen durch den cytopathischen Effekt, der von replizierenden Viruspartikeln verursacht wird. Ein einfaches Lichtmikroskop genügt, um zu überprüfen, ob eine Virusanzucht erfolgreich war.
Handelt es sich um Risikogruppe 4 Viren, also um Hochkonsequenz-Pathogene ohne verfügbare Therapiemöglichkeiten, so muss diese Arbeit zwingend in einem biologischen Sicherheitslabor der höchsten Stufe 4 erfolgen. Man spricht dann von einem biosafety level (BSL)-4 Labor, wie jenes in Spiez, das einzige BSL-4 Labor der Schweiz. Ein Beispiel für ein Risikogruppe 4 Virus ist das Ebolavirus, der wohl bekannteste Erreger von hämorrhagischem Fieber.
Containment Strategie
Bau und Betrieb einer BSL-4 Infrastruktur sind sehr aufwändig. Die höchste Sicherheitsstufe stellt höchste Ansprüche an die Konstruktion und an die technischen Systeme. So bedarf es neben operationellen Massnahmen auch einer ausgeklügelten technischen Strategie, um selbst bei aussergewöhnlichen Betriebssituationen den Austritt von Organismen aus dem Laborbereich zu jeder Zeit verhindern zu können. Eine derartige Situation kann etwa nach dem Verschütten von biologisch aktivem Material ausserhalb einer Sicherheitswerkbank entstehen. Ein möglicher Austritt von Pathogenen kann in Form von Aerosolen über die Lüftung oder durch Öffnungen in der Raumhülle erfolgen. Derartige Laborzwischenfälle geschehen häufig unter beachtlicher Aerosolbildung. Deshalb befinden sich die Labore gegenüber den Nachbarräumen in einem Unterdruck und die Laborluft strömt durch zwei H14-Schwebstofffilter bevor sie das Gebäude verlässt. Dieses Sicherheitskonzept wird als dynamisches „Containment“ bezeichnet (Englisch für „Einkapselung“), welches grundsätzlich genau umgekehrt wie ein Reinraum funktioniert, indem an undichten Stellen in der Raumhülle eine gerichtete Luftströmung in die kontaminierte Zone generiert wird. Sämtliche Schnittstellen zur Außenwelt, wie die Personenschleuse, die Durchreiche für Festabfälle, sowie das Laborabwasser, verfügen über chemische oder thermische Dekontaminationssysteme in Form von Chemieduschen, Autoklaven und Abwassersterilisationsanlagen.
Dynamisches und statisches Containment
Das dynamische Containment bzw. die Unterdruckhaltung der Laborräume ist abhängig von einer funktionierenden Lüftungsanlage. Doch wie kann bei einem Ausfall der Lüftung das Containment-Prinzip aufrechterhalten bleiben? Für dieses Notfallszenario sind viele BSL-4 Labore zusätzlich mit gasdichten Klappen in den Lüftungskanälen ausgerüstet, welche beim Verlust des dynamischen Containments unverzüglich angesteuert werden und so den Raum verschliessen. Hier spricht man von einem statischen Containment. Der Raum wird damit isoliert und durch die Raumhülle gegen aussen dicht abgeschlossen. Das statische Containment bildet also die wichtige Redundanz der Einkapselung potentiell kontaminierter Luft bei einem Ausfall der Lüftungsanlagen und dem Verlust des dynamischen Containments.
Eine ähnliche Situation tritt ebenfalls bei Raumbegasungen auf, welche regelmässig zu Dekontaminationszwecken durchgeführt werden müssen. Allerdings werden hier die Lüftungsanlagen bewusst ausgeschaltet, damit die Gaskonzentration im Raum kontrolliert werden kann.
Hochdichte Räume und ihre Überprüfung
Damit das statische Containment effizient einsetzen kann, müssen die Laborräume nach außen so dicht wie möglich abschließen. Sämtliche der zahlreichen Penetrationen in der Raumhülle – z. B. Kabel- und Mediendurchdringungen, Fenster und Türen – müssen folglich abgedichtet sein. Dies vor allem, weil in einem isolierten Laborraum weiterhin Wärmequellen aktiv sind, die aufgrund der Luftexpansion einen Druckanstieg verursachen. Die dichte Raumhülle verhindert demzufolge den Austritt von Luft in die Umgebung. Aus diesem Grund ist es zwingend, dass die Integrität der gesamten Hüllfläche des Containments periodisch überprüft wird. Normalerweise geschieht dies während der jährlichen Instandhaltungsperioden mittels standardisierten Verfahren zur Bestimmung der Raumdichtheit. Die Räume befinden sich zu diesem Zeitpunkt in einem dekontaminierten Zustand.
Der Begriff „Raumdichtheit“ ist allerdings etwas irreführend, denn es gibt keine absolut luftdichten Laborräume. Die Raumdichtheit bestimmt man mittels Messung eines Leckluftvolumenstromes bei einem gewissen Differenzdruck – man bestimmt also vielmehr die „Undichtheit“ des Raumes. Da das statische Containment einer Fläche im Sinne einer Grenze, einer sogenannten „Dichtheitsebene“, entspricht, misst man genauer das Luftvolumen, welches über den gesamten Flächeninhalt des Containments über eine gewisse Zeit entweicht und leitet daraus eine Raumdichtheitsklasse ab. In Spiez dient der VDI-Standard zur Dichtheit von Containments [1] als Grundlage für die Raumdichtheitsmessungen und liefert Resultate in Einheiten der Luftdurchlässigkeit [l/(m2∙s)] bei einem bestimmten Prüfdruck.
Luftkanäle außerhalb des Containments werden seit längerem nach den Normen für Kanaldichtheit geprüft. Der hier erwähnte VDI 2083 baut grundsätzlich darauf auf und integriert die Luftkanaldichtheitsklassen A bis D (nach DIN EN 15727 [2]) in die Raumdichtheitsklassen 1 – 4. Zusätzlich in der Richtlinie beschrieben sind die weiteren Raumdichtheitsklassen 5 – 7. Um das Containment in Spiez zu klassieren, wurden weitere drei Klassen (8, 9, 10) hinzugefügt, was allerdings nicht mehr der offiziellen Richtlinie entspricht. Als Orientierung für ein BSL-4 Labor schlägt VDI 2083 die Luftdichtheitsklasse 5 vor.
Herausforderungen
In hochdichten Räumen kann der Leckluftvolumenstrom derart gering ausfallen, dass dessen Bestimmung nur ungenau durchgeführt werden kann. In Spiez wird aus diesem Grund der Leckluftvolumenstrom nicht mittels Volumenstrommessung bei Druckhaltung (Konstantdruckmethode) direkt bestimmt, sondern indirekt über eine Druckabfallmessung (Druckänderungsmethode) mathematisch berechnet. Bei der Druckabfallmethode in Spiez wird der Raum auf 500 Pa Überdruck eingestellt und dann so lange gewartet, bis sich die Raumtemperatur über sämtliche Oberflächen ausgeglichen hat und stabil ist. Anschliessend wird während 20 min der Druckabfall gemessen. Die Überprüfung des Containments im Überdruck ist nicht nur deshalb sinnvoll, weil sich zum Zeitpunkt der Verifizierung die Räume im begasten (dekontaminierten) Zustand befinden, sondern auch weil der Überdruck gleichzeitig eine Notsituation simuliert, in welcher das statische Containment einsetzen muss. Eine weitere Herausforderung bei der Dichtheitsprüfung sind Temperaturschwankungen, die das Messresultat stark verfälschen können. Ein Temperaturanstieg im Raum von lediglich 0.1 °C resultiert bereits in einem Druckanstieg von 35 Pa. Aus diesem Grund sollte während der Messung die Temperaturänderung im Raum genau erfasst, und daraus ein thermischer Druckkorrekturwert errechnet werden. Entsprechend der Änderung der Raumtemperatur kompensiert dieser Wert alle thermischen Einflüsse auf die gemessenen Druckwerte. Änderungen des atmosphärischen Luftdrucks, schwankende Raumdrücke der Nachbarräume sowie generell zu gering gewählte Differenzmessdrücke führen ebenfalls zu Messungenauigkeiten.
Schlussfolgerungen
Im Gegensatz zu anderen häufig angewandten Regelwerken, die einen Schwellenwert für die Raumdichtheit definieren und einen Raum dann als „genügend“ oder „ungenügend“ einstufen, verleiht das Spektrum an Dichtheitsklassen im VDI Standard jedem geprüften Raum eine Art „Fingerabdruck“. Damit liefert die regelmässige Verifikation der Raumdichtheit wichtige, zusätzliche Informationen: verändert sich der Fingerabdruck eines Raumes von Jahr zu Jahr in Form einer Reduktion der Dichtheitsklasse, deutet dies auf ein neues Leck hin. So hat ein Experiment in Spiez gezeigt, dass ein BSL-4 Raum, der normalerweise die Dichtheitsklasse 9 aufweist (adaptiert aus dem VDI 2083), durch ein simuliertes Leck von 4 mm Durchmesser bei 500 Pa Prüfdruck nun eine um zwei Klassen reduzierte Dichtheitsklasse von 7 aufweist.
Die Mindestanforderung an die Raumdichtheit von BSL-4 Räumen ist je nach Tätigkeit und behördlicher Auflagen unterschiedlich. Die Festlegung einer Mindestdichtheitsklasse muss deshalb aufgrund einer Risikobetrachtung erfolgen und auf die Institution zugeschnitten sein. Das Labor Spiez kann mit dem VDI 2083 als Grundlage für ein adaptiertes Messverfahren sowie der erweiterten Klassifizierung für BSL-4 Räume jährliche Verifizierungen der Raumdichtheit durchführen und so neu auftretende Leckagen schnell identifizieren und beseitigen. Damit wird sichergestellt, dass das statische Containment während der Begasungen und als Redundanz in Notfallsituationen jederzeit funktionsfähig ist.
Literatur
[1] VDI 2083 Blatt 19:2018-08 Reinraumtechnik; Dichtheit von Containments; Klassifizierung, Planung und Prüfung (Cleanroom technology; Tightness of containments; Classification, planning, and testing). Berlin: Beuth Verlag
[2] DIN EN 15727:2010-10 Lüftung von Gebäuden; Luftleitungen und Luftleitungsbauteile, Klassifizierung entsprechend der Luftdichtheit und Prüfung; Deutsche Fassung EN 15727:2010 (Ventilation for buildings; Ducts and ductwork components, leakage classification and testing; German version EN 15727: 2010). Berlin: Beuth Verlag