08.12.2025 • Praxisberichte

Mehr als nur ein Reinraum

Ein Ingenieurbau für das Satelliten-Start-up Reflex Aerospace bietet überraschende Mehrwerte

Autor: Jakob Bader, Dipl.-Ing. univ. Architekt, Jakob Bader Architektur JBA

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© Vincent Rieger

Haben in der Frühzeit der Moderne noch Architekten ikonische Industrie- und Ingenieurbauten geplant, so ist der Industriebau heute eher eine Domäne der Bauingenieure geworden. Es war aber der Architekt Walter Gropius, ein Wegbereiter der Moderne in Deutschland, der das heutige Unesco-Weltkulturerbe Fagus-Werke und für AEG die berühmte Turbinenhalle entwarf. In London war es der Architekt Giles Gilbert Scott, der die legendäre Battersea-Power-Station verantwortet, mit vier statt drei Kaminen! Und in Essen entwickelten Architekten die Gebäude der Zeche Zollverein, die heute ebenfalls zum Unesco-Weltkulturerbe gehören.

Im Münchner Süden siedeln sich in den letzten Jahren mehr und mehr Unternehmen und Startups der Luft- und Raumfahrt-Szene an, rund um den „Defence and Space“-Standort von Airbus. Auch eine aufstrebende Satellitenmanufaktur aus Berlin, die Firma Reflex Aerospace, entschied sich 2023, ihre Produktion nach Bayern zu verlagern und machte sich auf die Suche nach einem geeigneten Experten vor Ort, der ihren neuen Standort aufbaut.

Satellitenmanufaktur zieht nach München

Das ambitionierte Satelliten-Start-up entschied sich dafür, nicht einen Bauingenieur, sondern ein klassisches Architekturbüro mit langjähriger Expertise im gehobenen Wohnungsbau und Bauen im Bestand mit der Aufgabe zu betrauen. Die Aufgabe für unser in München-Maxvorstadt beheimatetes Büro, Jakob Bader Architektur, bestand darin, eine alte leerstehende Industriehalle auf dem Gelände der Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft (IABG) in Ottobrunn zu entrümpeln, einen Reinraum maßgeschneidert zu entwerfen und diesen in der hergerichteten Halle zu errichten.

Reinraumspezialist vom Bodensee

Als Hersteller des Reinraums selbst fiel die Wahl auf ein darauf spezialisiertes Unternehmen aus Radolfzell am Bodensee: Petek Reinraumtechnik. Die Firma Petek baut seit Jahrzehnten alle möglichen Reinräume in ganz Deutschland und hat auch ein besonderes Reinraumkonzept entwickelt: Zuerst wird ein tragender Stahlbau aufgestellt, unter den die Lüftungs- und Elektroleitungen in einer durchgängigen Installationsebene gehängt werden. Anschließend wird, vom Stahlbau konstruktiv unabhängig, der Reinraum als Leichtbau- und Paneelkonstruktion unter den Stahlbau gestellt bzw. seine Decke abgehängt.

Die Stahlkonstruktion bildet auf dem „Dach“ des Reinraums eine zweite Ebene aus, die vollständig begehbar ist: Hier ist die gesamte Lüftungs- und Klimatechnik angeordnet, außerdem alle Schaltschränke, die Verteiler, und was sonst noch nötig ist, um den Reinraumbetrieb zu ermöglichen. Von dieser oberen Ebene aus kann man zudem bequem alle Wartungsarbeiten am Reinraum durchführen, ohne den laufenden Betrieb zu unterbrechen. Der für die Satellitenmanufaktur errichtete Reinraum von Petek hat in Operation die Reinraumklasse 8 gemäß ISO 14644. Die Lüftungs- und Klimatechnik gewährleistet einen 20-fachen Luftwechsel mit der Druckkaskade in den Schleusen von 12 Pa Überdruck gegen die Halle bzw. 24 Pa Überdruck im Reinraum selbst.

Der Architekt ordnet die Aufgabe

Der Bauort, eine rund 460 m² große Industriehalle mit Kranbahn, Deckenheizungen und Langfeldleuchten an der Decke, wurde Anfang der 1980er-Jahre als „Bauteil C“ an eine viel größere Halle angebaut. Wie eine Kathedrale wird der über 6 m hohe Raum von einer Seite durch lange Milchglasfenster natürlich belichtet. Die Fenster und Türen sind feuerrot, komplementär dazu sind die Stahlbauteile schilfgrün, die übrigen Oberflächen der Halle sind roher Beton – ein schöner, warmer Grauton.

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© Vincent Rieger

Der Architekt plante den Reinraum als freistehenden Solitär. Er verfügt also über ein autarkes Tragsystem, auch wenn sich massive Wände zur Lastabtragung angeboten haben. So konnten sämtliche Anpassarbeiten vor Ort vermieden werden, auch übertragen sich keine Schwingungen zwischen Halle und Reinraum. Das Tragewerk ist ganz ruhig, stringent und regelmäßig geplant, was die Montagezeit verkürzte und Fehler vermeiden konnte. Der Reinraum selbst ist gleißend hell gehalten, weiß oder hellgrau. Er wirkt vielleicht wie ein Raumschiff, das in einem Hangar gelandet ist. Farblich abgegrenzt, wurde der Reinraum jedoch hins. seiner Maße unter maximaler Ausnutzung des zur Verfügung stehenden Platzes exakt in die Halle integriert: Keine Fläche wurde verschenkt, kein Quadratmeter ist ohne Nutzen.

Von Anfang an hatte der Architekt das enorme Potenzial des selbsttragenden, begehbaren Stahlbaus erkannt. Mit einem Fachanwalt für Arbeitsrecht lotete er im Vorfeld die Gesetzgebung aus, um auf dem Reinraum mehr als nur die Technik anzuordnen. Er entwickelte einen Grundriss mit zwei entgegengesetzt angeordneten Fluchttüren für den Reinraum und zudem zwei entgegengesetzten, bequemen Treppenläufen, um die obere Ebene als „Galerie“ oder „Empore“ rechtssicher und hochwertig bespielen zu können.

So ist neben dem eigentlichen Reinraum mit Personal- und Materialschleuse, mit außen einem Vorplatz zum Rangieren und innen einer großen Freifläche, auf der Satelliten während der Montage auf Rollwagen um zwei zentrale Stützen zirkulieren, oben auf dem Dach des Raumes ein Materiallager entstanden und – als absolutes Highlight – ein schicker und gemütlicher Aufenthaltsbereich mit Teeküche für die Mitarbeiter und Gäste des Unternehmens.

Kaffeetrinken auf der Dachterrasse

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Highlight – ein schicker und gemütlicher Aufenthaltsbereich mit Teeküche für die Mitarbeiter und Gäste des Unternehmens.
© Vincent Rieger

Da ein Aufenthaltsbereich mit Teeküche rechtlich kein ständiger Arbeitsplatz ist, muss er nicht die hohen Anforderungen der Arbeitsstättenrichtlinien an einen regulären Dauerarbeitsplatz erfüllen. Die Höhe auf der oberen Ebene konnte so zugunsten des Reinraums auf niedrige 2 m beschränkt werden – Helmpflicht besteht nicht. Und damit es nicht zu einem Schaden im Reinraum oder an einem Satelliten durch heruntertropfende Flüssigkeit kommen kann, liegt der Teeküchenbereich samt Sitzplätzen in einer großen gelben Wanne aus wasserdicht verschweißtem PU-Bodenbelag.

Mehr wert als gedacht

Der Mehrwert, der dem Satelliten-Startup durch die Beauftragung eines Architekten entstanden ist, ist nicht nur, dass alle Mitarbeiter sich während der Planungs- und Bauzeit weiter auf ihr Tagesgeschäft konzentrieren konnten, da sie einen geschäftsführenden Vertreter vor Ort hatten, der sich um alles kümmerte, damit das Bauwerk mangelfrei entsteht. Noch mehr Werte sind durch die Arbeits- und Denkweise des Architekten entstanden: Mehrwert ist die intensive Ausnutzung des zweigeschossigen Reinraum-Konzeptes. Mehrwert ist, dass die Buntheit und Ruppigkeit des Bestandes positiv gelesen wird im Kontrast zum klaren, weißen, modernen Reinraum, der wie ein „Haus im Haus“ in dieser Halle steht. Mehrwert ist, dass jeder Quadratmeter nicht nur funktional sinnvoll, sondern auch atmosphärisch angenehm ausgenutzt wird, dass jede Funktion in der richtigen Größe am richtigen Platz ist – und dass das Ganze am Ende auch noch schön anzusehen ist.

Auch Industriebauten sind Lebensorte

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© Vincent Rieger

Denn auch eine Industriehalle und ein Reinraum sind Lebensorte, Orte, an denen sich Menschen aufhalten, an denen sie sogar ihre meiste Wachzeit verbringen. Orte, die ihr Leben bestimmen und die sich auf ihre Stimmung und damit ihr Leistungsvermögen bzw. ihre Leistungsbereitschaft auswirken. Orte, mit denen man sich identifizieren können sollte, weil sie Charakter haben. Warum sollte man nur Wohnungen, Museen und Restaurants schön und stimmungsvoll gestalten? Ist es nicht notwendig, gerade auch Arbeitsplätze, Produktionsstätten, so zu gestalten, dass man produktiv ist, dass man dort gerne ist, weil der Ort gelungen ist, weil er schön ist, weil er inspiriert, weil er Kraft und Atmosphäre hat?

Die richtige Entscheidung

Das Satelliten-Startup Reflex Aerospace hat die richtige Entscheidung getroffen. Eine Entscheidung für Bayern und für eine Industrieanlage, die nicht nur gut funktioniert, sondern die darüber hinaus den Stil und den hohen Qualitätsanspruch des Unternehmens verdeutlicht. Die Berliner Satelliten-Manufaktur präsentiert sich in Ottobrunn bei München als junges verantwortungsvolles Unternehmen, das seine Aufgaben, seine Kunden und seine Mitarbeiter ernst nimmt.

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Autor: Jakob Bader

Jakob Bader, Jakob Bader Architektur JBA, geboren in Heidelberg, Studium in München und Delft, seit 2002 freier und selbständiger Architekt, mit Projekten von der Innenarchitektur bis zum Städtebau.

| Copyright Image: Daniel Ingold, München

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