Mitarbeiter mit Sozialkompetenz und Unternehmergeist sind ideale Anteilseigner einer transparenten Unternehmenskultur

Als im Frühjahr 1998 der geschäftsführender Hauptaktionär der IE Group vor das Management trat und mitteilte, dass er nochmals eine neue Herausforderung brauche, die Firma verkaufen möchte und nach Kanada auswandern werde, war keinem der dort Anwesenden klar, dass das die Geburtsstunde des bis heute so erfolgreichen IE-Beteiligungsmodells war.

Als im Frühjahr 1998 der geschäftsführender Hauptaktionär der IE Group vor das Management trat und mitteilte, dass er nochmals eine neue Herausforderung brauche, die Firma verkaufen möchte und nach Kanada auswandern werde, war keinem der dort Anwesenden klar, dass das die Geburtsstunde des bis heute so erfolgreichen IE-Beteiligungsmodells war. Die IE Group hatte damals mehrere kleine GmbHs (in Deutschland) und AGs (in der Schweiz), an denen der Hauptaktionär jeweils zwischen 51 % und 85 % der Anteile besaß. Der Rest lag in der Hand der Geschäftsführer und weniger Leistungsträger.

Die Geschäftsidee war in allen Einzelfirmen identisch: Spezialisierung auf eine bestimmte Branche und ganzheitliche Planung von Industriebauten durch Bauplaner (Architekten) und Betriebsplaner (branchenspezifische Ingenieure). Insgesamt gab es 42 Mitarbeitende in fünf Einzelfirmen an vier Standorten. Neben dem allgemeinen Industriebau, was damals schon als Spezialisierung galt, gab es lediglich die Druckbranche und in den Anfängen die IE Food und IE Plast. Untereinander kannte man sich nur oberflächlich. Der Hauptaktionär verfolgte die Strategie „teile und herrsche“.
So war es nicht verwunderlich, das erst einmal eine „Schockstarre“ eintrat und niemand so recht wusste, wie man jetzt mit einer solchen Situation umgehen sollte. Nach einiger Zeit jedoch kristallisierte sich eine kleine Gruppe von IE Mitarbeitenden heraus, die eine Vision entwickelte: Schaffen wir ein Unternehmen, an dem jeder IE-Mitarbeitende am Erfolg der Unternehmensgruppe teilhaben kann!
So entstand ein Findungsprozess, der jedem alles abverlangte. Man kannte sich ja untereinander kaum, geschweige denn hatte man Vertrauen in die Fähigkeiten des jeweils anderen. Aber eines war bei allen vorhanden: Der Wille, die Zukunft zu gestalten und die Überzeugung, als Gemeinschaft mehr erreichen zu können, als jeweils jeder einzelne für sich. Wochenendworkshops wurden veranstaltet, an denen man sich kennenlernen konnte, es wurden unterschiedliche Konzepte entwickelt, vorgestellt, diskutiert und wieder verworfen, Businesspläne erstellt, um Verantwortlichkeiten gerungen und so rückte man langsam aber sicher immer mehr zusammen.

Gründervereinbarung aus dem Jahr 1998
Nach wenigen aber intensiven Wochen entstand eine Gründervereinbarung, in der die wesentlichen Eckpfeiler, die Philosophie und der Geist des IE-Beteiligungsmodells, festgeschrieben wurde:
  • keine Fremdbestimmung der IE Group bedeutet reine Mitarbeiterbeteiligung. Es können sich nur Personen mit einem IE Arbeitsvertrag beteiligen.
  • keine Mehrheitsverhältnisse für Einzelpersonen bedeutet echte Mitarbeiterbeteiligung auf breiter Basis. Gestartet wurde mit folgender maximaler Beteiligungsmöglichkeit:  GF´s: 5.000 Aktien, PL´s: 4.000 Aktien; MA: 3.000 Aktien. Diese wurden im Laufe der Zeit etwas heruntergesetzt, um allen Mitarbeitern eine Beteiligung zu ermöglichen.
  • Lösung über die Generationen hinweg bedeutet Mitarbeiterbeteiligung in geregeltem Aktien­auf- bzw. Abbau. Im Alter von 60 Jahren bzw. fünf Jahre vor dem gesetzlichen Pensionierungsalter muss jeder Aktionär anfangen, jährlich 10 % seiner bis dahin erworbenen Aktien wieder an die IE zu verkaufen. Mit 65 bzw. zur Pensionierung müssen die restlichen 50 % verkauft werden.
 
Aus diesen Eckpfeilern wurde folgende Konsequenz abgeleitet:
  • Moderate Wertsteigerung. Die Aktien sollen bezahlbar bleiben.
  • Ausgeglichenes Verhältnis von Substanzaufbau und Dividenden. Junge Mitarbeiter sollen über die Dividenden schon früh weitere Aktienkäufe tätigen können.
  • Steueroptimierte Altersversorgung. Die steuerfreien Gewinne aus der Wertsteigerung (in der Schweiz) sollen als Pensionsunterstützung dienen.
Der Weg in die Gegenwart
Um die entstandenen Eckpfeiler auch langfristig leben zu können, wurde ein „Aktionärbindungsvertrag“ entworfen, der nur mit einer 75 %igen Mehrheit verändert werden kann. Das sichert Berechenbarkeit und Kontinuität für alle Generationen schon seit 20 Jahren.
Um die IE Group übernehmen zu können, brauchte es ca. 8 Mio. CHF. Es wurden Informationsveranstaltungen mit den jeweiligen Partnerinnen bzw. Partnern der Mitarbeitenden veranstaltet, um möglich viel Transparenz, aber auch Sicherheit zu vermitteln. Letztendlich wurde das angestrebte Ziel mit rund 8,7 Mio. CHF übertroffen und 98 % aller Mitarbeitenden haben sich am Unternehmen beteiligt. Seitdem gibt es alle zwei Jahre ein Gruppentreffen inklusive der Partner und Kinder für drei Tage an einem wechselnden Standort. An den Standorten selbst wird mit einem Skiweekend mit allen Familien, Neujahrs­essen mit Partnern, Nikolausfeiern für die Kinder, Wandertagen, Fahrradausflügen und vielem mehr die Verbundenheit untereinander gelebt. Dass jeder einzelne Mitarbeiter hoch motiviert und unternehmerisch denkend und handelnd dem Unternehmen zur Verfügung steht, ist die logische Konsequenz dieses Modells.

Die Ermittlung des Aktienwerts
Ein weiteres, ganz entscheidendes Kriterium für den nachhaltigen Erfolg dieses Beteiligungsmodells war die Festlegung zur Ermittlung des Aktien­werts. Es musste einfach und doch langfristig fair und gerecht erfolgen.
Der Unternehmenswert liegt als Dienstleistungsunternehmen in den Köpfen und Herzen der Mitarbeitenden. Wenn alle nach Hause gehen würden, würde lediglich der Substanzwert übrig bleiben – und solange die Aktien lediglich untereinander gehandelt und diese Regeln nicht geändert werden, ist der einfachste und gerechteste Weg, die Aktie zu bewerten, den Substanzwert zugrunde zu legen. Das macht die IE Group seit 20 Jahren.
Das Unternehmen ermittelt jedes Jahr nach den Fachempfehlungen zur Rechnungslegung (FER oder „Swiss GAAP“) in der Schweiz den Jahresabschluss und somit auch das Eigenkapital (Substanzwert). Die Gewinne werden abgegrenzt und auf die zwölf Monate des Geschäftsjahres begrenzt bewertet. Stille Reserven werden eliminiert und latente Steuern werden berücksichtigt – ein faires System. Und dann gibt es eine ganz einfache Rechnung: Das Eigenkapital geteilt durch die Anzahl der Aktien ergibt den Wert pro Aktie.
Die Verteilung der Gewinne
Die IE Group besitzt aktuell drei Standorte. Alle Mitarbeitenden dieser Standorte sind an der Gruppe beteiligt. Ausgenommen sind die Mitarbeitenden in der Probezeit und die Lehrlinge. Deswegen wurde von Anfang an die Regel eingeführt „Erfolg soll da spürbar werden, wo er konkret anfällt“. Es wurde die sogenannte 1/3-Regel in die Gründervereinbarung aufgenommen.
  • 1/3 der Gewinne wird als Bonus an den jeweiligen Standorten ausgeschüttet.
  • 1/3 der Gewinne wird als Dividende ausgeschüttet, um u. a. den jüngeren Mitarbeitenden zu ermöglichen, sich weiter am Unternehmen zu beteiligen.
  • 1/3 der Gewinne bleibt im Unternehmen, um die Wertsteigerung und somit (zumindest in der Schweiz) den steuerfreien Kapitalzuwachs für die Pensionszeit zu sichern.
Handeln mit der IE-Aktie
Die Mitarbeiteranzahl der IE Group ist über die letzten 20 Jahre mit 3,5 % im Durchschnitt jährlich gewachsen. Der Wertzuwachs der Aktie war im Durchschnitt sogar etwas höher. Die IE-Aktie ist ein Teil des Gesamtentlohnungssystems.
Einen „freien“ Handel im Sinne einer Börse gibt es nicht. Alle frei werdenden Aktien (durch Pensionierung, Kündigungen oder Abgänge) gehen zu dem ermittelten Preis zurück an die IE Group. Einmal im Jahr gibt es eine Zeichnungsfrist, in der alle Mitarbeitenden angeben können, wie viel Aktien sie in dem Jahr zeichnen möchten. Falls die Nachfrage höher ist als die frei werden Aktien, gibt es eine Zuteilung. Das ist in den letzten 20 Jahren sechsmal passiert, was zeigt, dass die IE-Aktie attraktiv ist. Nach Prognosen wird mit diesem Verfahren 100 % des Kapitals der IE Group innerhalb von 25 Jahren den Eigentümer wechseln.

Umgang mit Krisen
In Krisen, in denen zügiger Handlungsbedarf besteht, droht das IE-Modell an seine Grenzen zu stoßen. Das IE-Beteiligungsmodell benötigt ein hohes Maß an Kommunikation, an Konsensbildung und somit an Zeit, die einfach manchmal nicht vorhanden ist. Eine klare Managementorganisation, die bewusst mit den zwei Welten „Unternehmertum als Aktionär“ und „operatives Geschäft als Angestellter“ umzugehen weiß, ist für solche Phasen sehr empfehlenswert. Zusätzlich ist der Umgang mit der (fast) totalen Transparenz – jeder Mitarbeiter kann als Aktionär Einblick in fast alle Firmenunterlagen verlangen – eine echte Herausforderung. Viel Kommunikation durch das Management und ein gehöriges Maß an Eigenverantwortung wird den Mitarbeitern abverlangt, z. B. beim Umgang mit den transparenten Gehaltslisten aller Mitarbeitenden inklusive des Managements.

Der Erhalt des Gründerspirits
Vor 20 Jahren wurde mit 42 „Gründern“ begonnen, heute gibt es noch 11 „Gründer“ bei 84 Mitarbeitern im Unternehmen, in 10 Jahren werden es noch 3 „Gründer“ bei ca. 130 Mitarbeitern sein. Über den Zeitraum der letzten 20 Jahre waren immer 95 % bis 98 % aller Mitarbeitenden auch Aktionäre und man geht davon aus, dass das in Zukunft auch so bleiben wird. Nach Prognosen wird 100 % des Kapitals der IE Group innerhalb von 25-30 Jahren den Eigentümer wechseln!
Das Wertesystem, das neue junge Mitarbeitende mitbringen, ist sicher nicht mehr das gleiche wie 1998. So gilt es, dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, ohne die Energie des Unternehmertums auf allen Ebenen des Unternehmens zu mindern. Die Stufen der Karriereleitern sind stark begrenzt. Dafür sind bei der IE Group die Entwicklungspotenziale in Form von Verantwortungsübernahme von Großprojekten und unternehmerische Freiheit in der Gestaltung der jeweiligen Arbeitsbereiche fast unbegrenzt vorhanden. Allerdings muss sich das Unternehmen den Herausforderungen des eigenen Wachstums stellen. Die Organisation muss den Gegebenheiten angepasst werden und IE muss – und das wird für die Zukunft das Ausschlaggebende sein – das Personal finden, das zum Unternehmen passt: Gut ausgebildete Menschen mit einer hohen Sozialkompetenz und einem ordentlichen Schuss Unternehmertum!

Fazit
Der Erfolg gibt dem Modell Recht! 
Es muss professionell eingeführt sowie permanent gepflegt und weiter entwickelt werden. 
Jeder im Unternehmen muss bereit sein, den anderen am Erfolg – auch am materiellen Erfolg – partizipieren zu lassen.
 
 

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