Bloß kein „Runaway“, ein aus dem Ruder laufender Prozess mit großer Zerstörungskraft! Deswegen hat die Temperaturüberwachung bei der Produktion von Biokraftstoffen in Festbettreaktoren höchste Priorität. Die technischen Herausforderungen in den noch jungen Verfahren sind jedoch komplex. Deshalb hängt eine durchgehend sichere Messqualität nicht allein von der Instrumentierung ab.
Autor: Carsten Haun, Wika Alexander Wiegand
Temperaturüberwachung im Biokraftstoff-Reaktor: Mehr als eine Frage der Instrumentierung

Die Dekarbonisierung schreitet voran. Gemäß Pariser Klimaabkommen sollen der Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um 45 % reduziert werden und 2050 das Ziel „Net Zero“ erreicht sein. Im Fokus steht dabei vor allem die Kohlendioxid-Emissionen, verursacht von fossilen Brennstoffen. Staatliche Regulierungen als Leitplanken entlang des Wegs zu einer CO2-freien Atmosphäre ziehen erhebliche Investitionen in die bislang öl- und gasverarbeitenden Raffinerien nach sich.
Der Wandel eröffnet allerdings neue Chancen, beispielsweise durch die nachhaltige Produktion von Biokraftstoffen („Biofuels“) vor allem aus Altspeiseölen und tierischen Fetten, aber auch aus Holzabfällen. Im Vordergrund steht dabei die Herstellung über einen katalytischen Hydrodesoxygenierungsprozess. Auf diesem Weg lässt sich sowohl Diesel als auch Kerosin und Naphta gewinnen. Das ist der wesentliche Unterschied zur Methode einer Umesterung des Ausgangsmaterials, die nur Diesel hervorbringt.
Inhalt:
- Temperaturüberwachung im Biokraftstoff-Reaktor: Mehr als eine Frage der Instrumentierung
- 240 neue Anlagenprojekte für die Biokraftstoff-Produktion weltweit
- Ungleichmäßige Katalysatorverteilung als Gefahrenquelle
- Instrumentierung plus Service: Komplettpaket zur Risikominimierung
- Enges Zeitfenster für die Wartung
- Globale Soforthilfe ist eine logistische Herausforderung
- Carsten Haun
240 neue Anlagenprojekte für die Biokraftstoff-Produktion weltweit
Die Produktion im Hydroverfahren hingegen entspricht der Nachfragentwicklung: Nach 2030 wird der Bedarf an Biokraftstoffen für Luft- und Schifffahrt größer sein als für Pkw und Nutzfahrzeuge mit Dieselantrieb. Das Angebot wächst zunehmend. Aktuell sind Biofuels-Anlagen in weltweit 95 Raffinerien in Betrieb, 240 weitere Anlagen projektiert oder bereits im Bau, vor allem in Nord- und Südamerika. Die Unternehmen investieren sowohl in Neuanlagen als auch in die Umrüstung bestehender Reaktoren. Maßgebliche Lizenzgeber für die Verfahren sind Honeywell UOP, Lummus Technology, Neste Oil, Haldor Topsoe, Axens und UPM.
Das Prinzip des Herstellungsprozesses ist in allen Fällen gleich. Das verflüssigte Feed-Material wird in mehrstufigen Festbettreaktoren für Hydrotreating und Hydroisomerisation in das gewünschte Endprodukt umgewandelt. Dies geschieht bei Temperaturen bis zu 400 °C und Drücken bis zu 65 bar. Es werden unterschiedliche Katalysatoren genutzt, meist keramisches Material mit Platin- und Rhodium-Anteil.
Ungleichmäßige Katalysatorverteilung als Gefahrenquelle

Bei der Prozesskontrolle und -steuerung steht die Temperaturüberwachung im Mittelpunkt. Die Betreiber benötigen ein genaues Temperaturprofil der Abläufe in den Katalysatorbetten. Nur so können sie rechtzeitig Fehlentwicklungen wie Hotspots detektieren. Hotspots entstehen üblicherweise bei einer inhomogenen Verteilung des Katalysators. Eine solche „Maldistribution“ kann einen Channeling-Effekt auslösen, wodurch sich an dieser Stelle im Reaktorbett die Fließgeschwindigkeit erhöht. Übersteigt als Folge der Gasanteil den Flüssigkeitsanteil, ist ein Hotspot nicht ausgeschlossen.
Bei rechtzeitiger Detektion eines solchen Gefahrenherds kann der Betreiber korrigierend in den Prozess eingreifen, zum Beispiel Kühlmaßnahmen einleiten, den Durchsatz und damit die Fließgeschwindigkeit reduzieren. Auf diese Weise lässt sich der Reaktorbetrieb bei eingeschränkter Produktion bis zum planmäßigen Shutdown weiterfahren. Bleibt ein Hotspot jedoch unentdeckt, kann er einen Runaway bewirken: Der Prozess ist dann nicht mehr zu kontrollieren, Temperatur und Druck steigen extrem. Dies kann im schlimmsten Fall zu einer Explosion führen.
Instrumentierung plus Service: Komplettpaket zur Risikominimierung

Ein solches Worst-Case-Szenario lässt keinen Zweifel an der Priorität einer ebenso zuverlässigen wie genauen Temperaturüberwachung. Im Fall der Biokraftstoff-Anlagen ist sie noch höher einzustufen, da die Verfahren vergleichsweise jung sind. Das erste wurde im Jahr 2000 entwickelt, die ersten Anlagen folgten ab 2010. Die Betreiber können sich demzufolge nicht auf so umfassende Erfahrungswerte wie bei der Erdöl- und Erdgasverarbeitung stützen. Vor diesem Hintergrund schnüren Messtechnik-Hersteller wie Wika ein Komplettpaket, um Risiken zu minimieren und eine durchgehende Messqualität sicherzustellen. Das schließt neben der erforderlichen Sensorik unterstützende Leistungen von der Installation über die Inbetriebnahme bis zum Troubleshooting durch ein qualifiziertes Serviceteam ein.
Für den Aufbau eines Temperaturprofils in den Katalysatorbetten kommen in erster Linie Stufen-Thermoelemente, auch Multipoints genannt, in Frage. Sie sind robust und gewährleisten schnelle Ansprechzeiten sowie die notwendigen Genauigkeiten. Diese Geräte bieten zudem eine ausgeprägte Flexibilität: Über nur einen Anschluss lassen sich mehrere Sensoren betreiben.
Der Installationsaufwand ist dennoch umfangreich. Je nach Verfahren, müssen pro Katalysatorbett bis zu 144 Messpunkte realisiert werden. Das Anbringen der Sensoren wird dadurch erschwert, dass die Reaktoren für Biokraftstoffe aufgrund der geringeren Feed-Einträge deutlich kleiner dimensioniert sind als bei Öl- und Gasprozessen und die Servicetechniker deswegen auf sehr engem Raum arbeiten müssen. Und um Multipoints für Radialmessungen anzupassen, braucht es außerdem eine gewisse Kraft: Alle Thermoelemente im Prozess sind wegen Korrosionsgefahr durch mögliche Schwefel- und Chlorbildungen mit einem Alloy-Werkstoff ausgeführt. Sie sind daher manuell schwieriger zu verlegen als mit einem herkömmlichen Schutzmantel aus Edelstahl. Die Installation der Messgeräte erfolgt generell in leeren Reaktoren, in Einzelfällen auch während der Befüllung mit Katalysator unter entsprechender Schutzausrüstung.
Enges Zeitfenster für die Wartung
Reaktoren in Biofuel-Anlagen produzieren nach Inbetriebnahme bis zu vier Jahre im Dauerbetrieb. Die Shutdown-Intervalle richten sich nach der Abnutzung der jeweiligen Katalysatoren. Die Zeit für den planmäßigen Wartungsstopp im Bereich Instrumentierung ist knapp bemessen: Sie beträgt in der Regel 24 Stunden, um die Produktionsverluste so niedrig wie möglich zu halten.
Um während des Shutdowns eine belastbare Aussage über die Messqualität bei der Temperaturüberwachung zu treffen, reicht eine Kalibrierung der eingesetzten Geräte nicht aus. Dazu bedarf es einer Verifizierung des Messwerts über den gesamten Prozessloop. Dabei wird geprüft, in welcher Stärke das Messsignal in der Leitwarte ankommt. Befindet sich die Abweichung außerhalb der Toleranz von ±2,5 °C, setzt unmittelbar die Ursachenanalyse ein. Schwerwiegendere Folgeschäden aufgrund einer inkorrekten Messwertangabe lassen sich so rechtzeitig vermeiden.
Für die Abläufe in Biofuels-Reaktoren liegt, wie bereits erwähnt, noch kein breites Erfahrungsfundament vor. Deswegen kann es immer wieder zu unvorhergesehenen Prozessereignissen kommen, die zu einem Verlust von Temperaturmesspunkten führen, zum Beispiel in Folge einer durch Korrosion hervorgerufenen Fehlermeldung im Prozessleitsystem. Derart kritische Situationen können einen ungeplanten Shutdown zur Folge haben. Sie erfordern angesichts des plötzlichen Produktionsausfalls zudem ein umgehendes Troubleshooting durch Fachkräfte des Messtechnik-Herstellers. Ihre Expertise ermöglicht eine rasche Ursachenermittlung und Fehlerbehebung.
Hat der Störfall im Reaktor zum Beispiel „nur“ zu einem Kabelschaden an einem Thermoelement geführt, bedeutet das nicht zwangsläufig einen teuren und zeitaufwändigen Gerätetausch. In solchen Fällen reicht oft ein Splicing des Kabels, um den Betrieb zumindest bis zum nächsten regulären Shutdown weiterzuführen.
Globale Soforthilfe ist eine logistische Herausforderung
Troubleshooting im globalen Geschäft der Kraftstoff-Produktion stellt generell eine logistische Herausforderung dar, wie ein Beispiel der Serviceabteilung von WIKA zeigt: An einem Heiligabend ging in dessen Headquarter der Notruf eines Anlagenbetreibers aus Kuwait ein. Ein Team aus Europa an den Golf zu schicken, war in der Kürze der Zeit wegen der Feiertage nicht möglich. Stattdessen machte sich ein Team aus Indien auf den Weg, und binnen drei Tagen war das Problem gelöst und die betroffenen Messpunkte funktionierten wieder. Die Ursache übrigens: ein beschädigtes Kabel.
Biokraftstoffe sind Bausteine für eine nachhaltige Umstellung von fossilen zu klimaneutralen synthetischen Kraftstoffen. Hochwertige Messtechnologie im Verbund mit einem professionellen Service-Portfolio spielen dabei eine entscheidende Rolle, um eine langzeitstabile Überwachung der Temperatur und anderer Prozessparameter für die Anlagenbetreiber aufrecht zu erhalten.

Carsten Haun
Business Development Manager
CoE Services
Process Instrumentation
Wika Alexander Wiegand