25.10.2018 • PraxisberichteBHKWDAkkSDampferzeugung

Strategie für die Prozess-, Energie- und Kosteneffizienz der Industrie: Nutzen und Mehrwert der DIN EN ISO 50006?

Um den steigenden gesetzlichen Anforderungen zur Erreichung der globalen und nationalen Klimaziele zu entsprechen sind verschiedene Maßnahmen von produzierenden Unternehmen gefordert.

Um den steigenden gesetzlichen Anforderungen zur Erreichung der globalen und nationalen Klimaziele zu entsprechen sind verschiedene Maßnahmen von produzierenden Unternehmen gefordert. Eine dieser Maßnahmen ist die freiwillige Einführung und Aufrechterhaltung eines Energiemanagementsystems nach DIN EN ISO 50001, die auch steuerliche Vorteile bringt. Bei der erfolgreichen Implementierung verspricht ein Energiemanagementsystem darüber hinaus weitere energetische und finanzielle Vorteile wie Effizienzsteigerungen und transparentere Energiekosten.

Seit Inkrafttreten der ISO 50003 und Veröffentlichung der 50006 im Oktober 2017 wird zudem, für alle Unternehmen, bei der Erst- oder Re-Zertifizierung der Nachweis einer Verbesserung der energiebezogenen Leistung verlangt. Dies hat zur Folge, dass der Fokus verstärkt auf die Durchführung von Effizienzmaßnahmen sowie deren Bewertung gelegt wird. Wie können und sollen die Industrieunternehmen mit diesen Anforderungen umgehen, um aus den gesetzlichen Forderungen einen möglichen Mehrwert zu generieren?

Die Entwicklung der DIN EN ISO 50001 ff.
Die aktuelle Norm DIN EN ISO 50001 wurde überarbeitet und aktualisiert und ist seit dem 27.08.2018 in Kraft.
Übersetzungen weiterer Normen der ISO 50000er Reihe wurden im Jahr 2017 veröffentlicht. Die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) verschärft mit der DIN ISO 50003 die Anforderungen an die Zertifizierungsunternehmen, um eine internationale Vereinheitlichung im Bereich der Energieeffizienz zu erreichen. Vor diesem Hintergrund kommen neue Aufgaben auf alle Industrieunternehmen zu.
Die ISO 50003 fordert unter anderem eine Verbesserung der energiebezogenen Leistung durch messbare und damit nachweisbare, d. h. belastbare und plausible Ergebnisse, im Vergleich zur energetischen Ausgangsbasis. Das bedeutet konkret:

  • Nachweispflicht von Effizienzmaßnahmen
  • Definition und Bewertung aller relevanten Einflussfaktoren
  • Anwendung von Rechenmodellen und Regressionsanalysen


Der Rückblick
Ein produzierendes Unternehmen aus der Fleisch- und Wurstwarenindustrie hatte im Jahr 2014 für sich entschieden, verschiedene Maßnahmen zur Steigerung der Energie- und Kosteneffizienz durchzuführen. Hierbei wurden neben der vollständigen Erneuerung und Überplanung der Energieerzeugung mittels BHKW, Dampferzeugung, thermischer Nachverbrennung und erstmaligem Aufbau eines neuen Niedertemperatursystems zahlreiche Maßnahmen zur Energie- und Prozessoptimierung durchgeführt. Ziel und damit Grundlage des integralen Energiekonzeptes war eine Energieverbrauchsreduzierung für die Medien Strom und Erdgas um insgesamt rund 34 % gegenüber dem Basisjahr 2014 einzusparen.

Die Herausforderung
Nach erfolgreichem Umbau und Inbetriebnahme aller Energieeffizienzmaßnahmen und Energieerzeugungsanlagen stellte sich heraus, dass sich der Erdgasverbrauch nicht wie prognostiziert von 58 GWh/a auf 25 GWh/a reduziert, sondern sich mittlerweile rund 70 GWh/a erhöht hatte.
Die detaillierten Analysen jeder Einzelmaßnahme zur Effizienzsteigerung und des Anlagenbetriebes ergaben, dass die prognostizierten Wirkungs- und Nutzungsgrade erreicht und in wesentlichen Bereichen sogar überschritten wurden. Somit wurde sehr schnell deutlich, dass kein technischer Fehler vorlag, die Anlagen unsachgemäß betrieben wurden oder das Energiekonzept strukturelle Defizite hatte.
Die Herausforderung bestand nun darin, festzustellen, wodurch der extreme Anstieg des Erdgasverbrauches verursacht wurde, wie der Nachweis zur Wirtschaftlichkeit des Energiekonzeptes erfolgen soll und wie das Unternehmen insgesamt mit solchen Veränderungen insbesondere aus finanzieller Sicht umgehen muss, um weitreichende Risiken frühzeitig zu erkennen und damit zu vermeiden.
Die bisherigen klassischen eindimensionalen Energiekennzahlen bezogen sich in der Regel ausschließlich auf die Produktionsmenge. Die Analyse ergab jedoch, dass die Kennzahl sehr starken Schwankungen und Unregelmäßigkeiten durch weitere Einflussfaktoren unterlag. Hier war sehr schnell klar, dass über die vorhandenen Kennzahlen eine zielführende Ursachenermittlung nicht möglich ist.

Die Einflussfaktoren
Die Aufgabe bestand darin, festzustellen, wer oder was Einfluss auf den Erdgasverbrauch ausgeübt hatte. Eine detaillierte Analyse aller Prozesse, der Produktion und Veränderungen seit dem Basisjahr brachte dann die ersten Erkenntnisse.
Neben der Tatsache, dass sich die Produktionsmenge um rund 25 % gesteigert hatte, wurden zudem insgesamt rund 35 Veränderungen ermittelt und dokumentiert. Da keine direkten Abhängigkeiten zwischen Produktion und Erdgasverbrauch zu ermitteln waren, mussten alle Faktoren Einfluss ausüben. Hier stand nun die Frage im Raum, welcher Faktor hat welche Relevanz, wie kann er quantitativ bewertet werden und wie groß ist sein Einfluss?

Der Lösungsansatz
Die Entwicklungen in den Normen setzten genau dort an, wo im beschriebenen Beispielprojekt die Aufgabenstellung liegt. Eine praxisnahe Beschreibung der Vorgehensweise zur Bestimmung der energiebezogenen Leistung und der Berücksichtigung der wesentlichen Einflussfaktoren ist in der Norm jedoch nicht definiert. Dies führt dazu, dass Unternehmen individuelle Kennzahlen entwickeln müssen, hierbei aber oft vor einige Herausforderungen gestellt werden.
Ein sinnvolles Werkzeug zur Bestimmung einer Energieleistungskennzahl und Bewältigung der Herausforderungen, ist das Energiemodell.

Das Ergebnis
Der Aufgestellte Bilanzrahmen berücksichtigt die wesentlichen Prozesse und Einflussfaktoren des Unternehmens. Alle Einflussfaktoren konnten zahlen- oder wertmäßig beschrieben werden (quantifiziert). Die wesentlichen Einflussfaktoren wurden identifiziert und in der Energieleistungskennzahl abgebildet. Durch die Anwendung des Energiemodells können alle wesentlichen Faktoren, die den Energieverbrauch beeinflussen, berücksichtigt werden. Hierbei werden die Einflussgrößen der aktuellen Situation und die zukünftigen Veränderungen abgebildet. Dadurch kann der jeweilige Einfluss bewertet werden. Die Methodik basiert auf statistischen Verfahren, der multivariaten Regressionsanalyse.

Auf Grundlage dieser Daten wurde eine energetische Ausgangsbasis definiert. Zum Nachweis der Verbesserung kann das sogenannte Effizienzband (siehe Abbildung 3) genutzt werden. Der tatsächlich gemessene Verbrauch weicht unter Berücksichtigung der alten energetischen Ausgangsbasis ab. Die Optimierungsmaßnahmen wurden im Rahmen der neuen Energieleistungskennzahl berücksichtigt. Der Vergleich der alten und neuen Energieleistungskennzahlen ergab den Nachweis der Verbesserung.
Die Analyse der Ergebnisse zeigte auf, dass unter Berücksichtigung der gleichen Rahmenbedingungen eine Einsparung im Vergleich zum Basisjahr vorhanden ist (Was-Wäre-Wenn-Analyse).

Durch die Berücksichtigung der Einflussfaktoren und Anwendung des Energiemodells konnten Rückschlüsse auf den Energiebedarf der einzelnen Produkte gezogen werden.
Das Aufstellen des Energiemodells führte zu einem intensiven Austausch zwischen den einzelnen Abteilungen des Unternehmens (Technik, Produktion, Controlling, etc.). Es wurde durch stetigen Austausch Verständnis für die Belange der jeweils anderen Abteilungen geschaffen.

Der Mehrwert
Auf Basis der neuen Energieleistungskennzahlen erfolgt eine genauere Prognose über den zukünftigen Energieverbrauch. Diese ist für das Unternehmen in vielerlei Hinsicht hilfreich, so kann unter anderem die Energieplanung für die kommende Beschaffungsperiode auf Grundlage der Prognose vorgenommen werden.
Es ist darüber hinaus möglich, veränderte Produktionsbedingungen, Produkte oder Produktionsverfahren mit ihren Auswirkungen auf die energiebezogene Leistung abzubilden. Auf dieser Basis können Budget- und Kostenplanungen für Energie und Betrieb mit hoher Genauigkeit erstellt werden.
Alle Beteiligten können so Investitionen, Versorgungsqualitäten und Energieverbrauchsentwicklungen definieren und die resultierenden Kosten bewerten – volle Transparenz für alle Entscheidungsträger. Darüber hinaus ist die Geschäftsleitung in der Lage, die Unternehmensplanung und Steuerung auf nachweisbare Fakten zu stellen und die Umsetzungsstrategie wirtschaftlich im Sinne der Unternehmensvision auszurichten.

Durch den Einsatz des Energiemodells werden die Anforderungen aus der ISO 50003 an ein Energiemanagementsystem erfüllt und darüber hinaus sinnvolle und mehrdimensionale Kennzahlen gebildet. Auf dieser Basis können die Unternehmen ihre Effektivität und Effizienz in allen Fachbereichen kontinuierlich verfolgen, bewerten, planen und optimieren. Der größte Mehrwert liegt jedoch darin, ein System zu schaffen, das jeder versteht und aus dem jeder Beteiligte seinen Nutzen ziehen kann. Durch die Implementierung es Energiemodells erlangen die Beteiligten das gleiche fachliche Verständnis. Dieses fördert wiederum die Kommunikation und damit die Diskussion um wirtschaftliche Lösungen. Die Unternehmensziele stehen im Fokus!
 



Vorteile Energiemodell:

  • Nachweisführung von Einsparungen
  • Bewertung von Veränderungen
  • Kennzahlenverfolgung
  • Erfüllung von Zertifizierungsanforderungen
  • Prognose über zukünftigen
  • Energieverbrauch
  • Was-Wäre-Wenn-Analyse
     

 

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