Trends, beobachtet von Bosch Industriekessel: Wie verändert die Digitalisierung die Prozess- und Fernwärmeversorgung?
Die digitale Welt hält Einzug. Nicht nur im Privaten erleichtern uns Smart-Home-Anwendungen wie z. B. sprachgesteuerte Systeme das Leben. Sogar im Arbeitsalltag unterstützen digitale Assistenten bei der Bewältigung täglicher Aufgaben. Industrie-4.0-Anwendungen vernetzen komplette Produktionswerke und sogar die weltweiten Standorte globaler Konzerne miteinander. Auch im Bereich der Energieversorgung nimmt die Digitalisierung zu: Energiemanagement- oder Leittechniksysteme, Fernwartung für Anlagen oder digitale Assistenten, die vorausschauend die Wartung planen, sind nur einige Beispiele.
Insbesondere in Ländern mit hohen Energiepreisen zeichnet sich seit einigen Jahren ein Trend zu multivalenten Systemen ab. Hier werden verschiedene Energieerzeuger zur Deckung des gesamten Energiebedarfs kombiniert. In der Vergangenheit wurde häufig nur ein zentraler Dampfkessel für Prozess- und Heizwärme gleichzeitig genutzt. Heute wird Niedertemperatur-Heizwärme bis 110 °C meist separat erzeugt, z. B. durch eine Kombination von Heizkesseln mit Abwärmenutzung, Wärmepumpen und BHKWs. Diese Anlagen stehen meist an verschiedenen Orten möglichst nahe zum Hauptverbraucher. Dies erfordert zunehmend intelligentere Mechanismen für das dynamische Management multivalenter Lasten auf Basis von Vorhersagen der verschiedenen Energiebedarfe.
Vernetzte Systeme, zentralisierte Steuerung
Ein gegenteiliger Trend lässt sich bei der Steuerung und Überwachung solcher Anlagen beobachten. Heute wird im Industriebereich kaum noch ein Wärmeerzeuger ohne Leittechnik- oder Fernanbindung installiert, wobei die Steuerung und Überwachung häufig in einer zentralen Leitstelle oder über das Firmennetzwerk erfolgt. Es gibt sogar Konzerne mit Standorten verteilt über verschiedene Länder eines Kontinentes mit zentraler Anlagenüberwachung auf einem anderen Kontinent.
Logische Konsequenz sind steigende Anforderungen an die Automatisierung, um dezentrales Störungsmanagement zu ermöglichen und den Bedienaufwand zu reduzieren. In manchen Ländern wird daher sogar schon über einen beaufsichtigungsfreien Betrieb von Druckgeräten über einen längeren Zeitraum diskutiert, wobei aktuell höchstens 72 Stunden erlaubt sind. Das Ganze hat einen guten Grund: Die Energiemenge in Großwasserraumkesseln mit über 70 Tonnen Wasserinhalt bei z. B. 20 bar und entsprechend hoher Temperatur entspricht der von mehreren Tonnen Semtex-Sprengstoff. Elektrische und mechanische Sicherheitseinrichtungen und die regelmäßige Beaufsichtigung durch qualifiziertes Bedienpersonal sind daher essenziell für den sicheren Betrieb.
In der Vergangenheit war es noch üblich, einen oder mehrere Kesselwärter zu beschäftigen. Heute müssen oft Facility Manager diese Aufgaben „nebenbei“ übernehmen. Als Generalisten sollen sie z. B. morgens eine Automatiktür reparieren, mittags Küchengeräte in der Kantine zum Laufen bringen und abends wasserchemische Analysen am Kessel durchführen. Die zunehmende Breite der Aufgaben ist nur noch zu bewältigen, indem externe Dienstleister oder Automatisierungstechnik und digitale Assistenten unterstützen. Welche Entwicklungen, Herausforderungen und Chancen diese Lösungen bereithalten, sind nachfolgend beschrieben.
Ethernetbasierte Leittechnikanbindung
Die Aufgabenplanung erfolgt in größeren Unternehmen meist über ERP/SAP-Systeme. In den 90er/00er-Jahren übertrugen Leittechniksysteme die Signale (z. B. 4–20 mA Sensorsignal) häufig über nicht-ethernetbasierte Protokolle wie Profinet, Modbus RTU oder Profibus mit SPS-basierten Steuerungen bis auf die Leitebene. Hierfür müssen Betreiber ihr Anlagenmodell individuell programmieren lassen – das ist teuer, aufwändig und birgt funktionale Risiken. Moderne Systeme liefern die Datenpunktstruktur bereits mit.
In den letzten Jahren zeichnet sich eine Trendwende hin zu ethernetbasierten Protokollen ab. Diese können Zusatzinformationen übertragen, ähnlich wie der CAN-Bus in einem Fahrzeug. Datensignale liefern dort nicht nur ihren aktuellen Wert weiter. Zunächst identifizieren sie sich selbst und geben zusätzlich ihren Sollwert, Schwellwerte und Grenzwerte mit. Dies ermöglicht eine einfachere und sicherere Integration von Steuerungen.
Die Einflussfaktoren während des Betriebs von Prozesswärmeerzeugern sind mannigfaltig und haben massive Auswirkungen auf Effizienz, Zuverlässigkeit, Langlebigkeit und sogar auf die Sicherheit der Anlagen. Das Know-how über die Wechselwirkungen liegt häufig nur beim Hersteller auf Basis seiner jahrzehntelangen Felderfahrung und ist nahezu unmöglich in der Programmierung einer Leittechnik abzubilden. Hierzu bedarf es Signalen mit Zusatzinformationen, einer intelligenten Auswertung auf der Steuerungsebene und einem ausreichend potenten Protokoll zur Weitergabe an die nächsthöhere Steuerungsebene.
Intelligente Steuerungen
Tritt bspw. eine Störung in der Gasversorgung auf, die zu einer Sicherheitsabschaltung eines Dampfkessels oder BHKWs führt, besteht je nach Anwendung ein Risiko für die Funktion einer gesamten Produktionsanlage. Es ist hier also eminent wichtig, die Informationen zeitnah an die zuständige Person zu transferieren, vor allem, wenn diese sich während des Störfalls nicht in der Energiezentrale befindet. Idealerweise meldet die Steuerung dann nicht nur eine Sammelstörung, sondern hat bereits eine Analyse der wahrscheinlichsten Fehlerursache durchgeführt und stellt die passende Anleitung zur Behebung für das Betriebspersonal bereit.
Immer seltener werden jene „Vollblut-Kesselwärter“, die eine Wasserprobe zwischen ihren Fingern zerreiben und an Schmierigkeit und Geruch bereits den pH-Wert erkennen und die korrekte Menge an chemischen Zusätzen überraschend präzise bewerten können. Sie konnten etwa an den Geräuschen in Kondensatleitungen ablesen, ob die Kondensatableiter korrekt funktionierten. Heute sind Energiezentralen mit ungünstigen Betriebszuständen immer häufiger die Regel. Insbesondere häufiges Takten der Brenner und eine schlechte Wasserqualität sind an der Tagesordnung. Teilweise werden die Werte sogar korrekt erfasst, dem analogen Papier-Kesselbuch fehlen jedoch Möglichkeiten für automatische Trendanalysen und ein Alarmmanagement. Die Folgen können von ungeplanten Produktionsstillständen bis hin zu kapitalen Schäden an den jeweiligen Energieerzeugern reichen, bei denen das Verwerfen ganzer Produktionschargen nötig ist.
Vorrausschauende Wartung
Erkennen von Ausfallrisiken bevor etwas passiert: Digitale Assistenten werten lokal abgespeicherte Daten aus und unterstützen so das Betriebspersonal. Kennt der Hersteller die Signale und Eigenschaften verbauter Komponenten, kann adaptiv die Restlebensdauer basierend auf dem individuellen Lastprofil vorhergesagt werden. Auch Aussagen über mögliche Effizienzsteigerungen lassen sich quantifizieren. Steigt bspw. die Abgastemperatur, kann eine intelligente Steuerung geeignete Abhilfemaßnahmen vorschlagen und eine bebilderte Anleitung bereitstellen.
Es erfolgt eine automatische Information durch das System, wenn z. B. ein Relais nach zehn Jahren getauscht werden muss. Das kann möglichen Unfällen vorbeugen und hilft dem Betreiber, seiner Sorgfaltspflicht nachzukommen. Optimierungen oder der Wechsel von Verschleißteilen können während ohnehin geplanter Wartungen erfolgen und eine maximale Verfügbarkeit sicherstellen, insbesondere bei Energiezentralen ohne redundante Wärmeerzeuger.
Kurze Reaktionszeiten
Während die Anbindung von Steuerungen von Produktionsanlagen an die Leittechnik oder das Firmennetzwerk inzwischen Standard ist, sind viele Unternehmen noch sehr restriktiv bei der Nutzung von Fernwirktechnik. Ursache sind vor allem Bedenken bezüglich der Sicherheit und der Datenverwaltung. Doch steht einmal die Produktionslinie mangels Prozesswärme, werden die Vorteile schnell deutlich: Blitzschnelle Reaktion, Störungsbeseitigung aus der Ferne und die Identifikation benötigter Ersatzteile ohne Servicetechniker vor Ort versprechen reduzierte Wartungskosten und maximale Anlagenverfügbarkeit.
Wichtig ist beim Thema Remote-Support die passende Art der Anbindung. Am einfachsten zu realisieren ist daher häufig eine dedizierte Internetverbindung für eine Anlage z. B. kabelgebunden über einen eigenen DSL-Anschluss oder über ein UMTS-Modul (vgl. SIM-Karte im Handy). Die Anbindung über das Firmennetz stellt in der Regel die höchsten Anforderungen an die IT oder beschränkt sich häufig auf eine Visualisierung über Firmenrechner. Zusätzliche Sicherheit schafft die Funktion, dass die Verbindung zum Hersteller im Kesselhaus durch einen Schlüsselschalter am Schaltschrank jederzeit zu- und abgeschaltet werden kann. Egal welche Verbindungsart gewählt wird – aus Sicherheitsgründen sollten Betreiber sich immer informieren, ob der Anbieter seine Fernwirktechnik regelmäßig auf Sicherheit prüfen und zertifizieren lässt.
Fazit
Moderne Steuerungen bringen intelligente Daten bereits auf der Feldebene zum Einsatz und unterstützen Bediener mit digitalen Assistenten bei Betrieb und Optimierung. Gleichzeitig bieten sie sowohl eigene Fernwirktechnik als auch offene Schnittstellen über gängige Protokolle zu Leittechnik- und Automatisierungssystemen. Idealerweise ersparen vorkonfigurierte Schnittstellen eine aufwändige manuelle Integration.
Digitalisierung dient nicht dem Selbstzweck, ebenso wenig wie Datentransparenz. Beides ist nur Mittel zum Zweck. Meist ist das Ziel Optimierung – sei es von Effizienz, Zuverlässigkeit oder Qualität. Faktoren, die sich positiv auf Kundenzufriedenheit, Profitabilität und globale Wettbewerbsfähigkeit auswirken sollen. Stetige Weiterentwicklungen der Technik, vor allem in Richtung selbstlernender Systeme mit künstlicher Intelligenz lässt hier noch viel Spielraum für die Zukunft.