Warum Biointelligenz die deutsche Prozesstechnik betrifft
Wie steht es um die biointelligente Wertschöpfung in Deutschland? Diese Frage haben sich das Fraunhofer IPA, die VDMA Services GmbH sowie die Universitäten Hohenheim und Stuttgart gestellt. Die vom Bundesforschungsministerium BMBF geförderte groß angelegte internationale Benchmark-Untersuchung zur Biointelligenz (InBenBio) identifiziert die aktuellen globalen Entwicklungen, zieht Vergleiche zwischen den Rahmenbedingungen und Potenzialen in Deutschland sowie anderen Leitländern weltweit und gibt Handlungsimpulse für Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik. Dies hat auch Einfluss auf die Prozesstechnik und die .Befähigertechnologien.
Knapper werdende Ressourcen, Umwelteinflüsse, weltweite Krisen. Heute stehen wir mehr denn je weltweit vor Herausforderungen, die unsere Lebensweise nachhaltig beeinflussen. Sie alle betreffen auf kurz oder lang unsere grundlegenden Bedürfnisse des (modernen) Lebens: Ernährung, Gesundheit, Wohnen, Energie und Konsum. Die Frage steht im Raum: Wie machen wir uns unabhängiger? Die selbstoptimierte Natur hat hier schon so manchen Verzweifelten auf die richtige Fährte geführt. Wir können von ihren Effizienzmechanismen lernen – und tun dies auch bereits, z.B. über die Bionik und in den Anwenderbranchen der Medizin-, Pharma- und Nahrungsmittelindustrie.
Biointelligenz in der Produktion
Was wäre nun aber, wenn man diesen Gedanken auch in die Produktion bringt? Würde dies nicht nur verändern, womit wir arbeiten (z.B. Materialien), sondern auch wie wir arbeiten (z.B. Prozesse)? Die Biointelligenz geht genau diesen Schritt: Sie verbindet nicht nur die Biologie mit der (Produktions-)Technologie, sondern nimmt auch noch die Informationstechnik hinzu. Dies ermöglicht die Entstehung der berühmten Genschere CRISPR/Cas und auch die Datenspeicherung mittels DNA ist keine Zukunftsvision mehr. Insgesamt könnte die Integration von Biointelligenz im Maschinenbau zu innovativen Lösungen führen, welche die Leistungsfähigkeit oder Nachhaltigkeit technischer Systeme verbessern, Prozesse verschlanken und den effizienten Einsatz von Material monitoren. Die Beispiele zeigen bereits, dass die Möglichkeiten nicht nur endlos sind, sondern auch übergreifend – und damit relevant für den gesamten Maschinen- und Anlagenbau inklusive der Prozesstechnik.
„Deutschland hat Schwierigkeiten, Forschungsergebnisse in marktreife Lösungen zu überführen.“
Nathalie Wagner, Referentin Verfahrenstechnische Maschinen und Apparate I Nahrungsmittelmaschinen und Verpackungsmaschinen, VDMA
Viele Technologien, viele Möglichkeiten
Was heißt Biointelligenz nun aber konkret für die Prozesstechnik?
Im Rahmen der Untersuchung „Benchmark Biointelligenz“ wurden 17 Befähigertechnologiefelder definiert. Jedes dieser Felder umfasst einen für identifizierte Einzeltechnologien kritischen Kernaspekt, der wesentlich zur Realisierung biointelligenter Anwendungen beiträgt. Im Kontext der Prozesstechnik wird hier exemplarisch auf drei der 17 Felder eingegangen:
Bioraffinerien und Bioreaktoren sind industrielle Anlagen, die der Umwandlung biologischer Rohstoffe in Produkte und Wertstoffe dienen. Dafür kultivieren sie Mikroorganismen in einer kontrollierten Umgebung. Bioreaktoren sind geschlossene Systeme zur Durchführung biologischer Reaktionen und Prozesse, was sie oftmals zum Bestandteil einer Bioraffinerie macht. Die Technologien, Produkte und Dienstleistungen umfassen unter anderem Ansätze für biopharmazeutischer Prozesse, Einsatz von Mikroalgen in Reaktoren zur Kraftstoff- und Wertstoffherstellung, Fermentationsprozesse, Prozessen auf Basis von Biomasse, Einsatz von Enzymen und Bakterien sowie der Nutzung von CO2. Neben der biologischen Komponente spielen in der Entstehung und dem Produktionsprozess demnach Anwendungen der Prozesstechnik eine wichtige Rolle.
Biobasierte Energieerzeugung und -speicherung bezieht sich auf die industrielle Nutzung von biologischen Materialien sowie Prozessen zur Erzeugung und Speicherung von Energie, z.B. durch Biogasanlagen oder verwandte Technologien im Produktionsumfeld. Die meisten Anwendungsfälle finden sich bei der Nutzung von Biomasse sowie Rest- und Abfallströmen. Aber auch die Erzeugung von Wasserstoff wird erforscht. Für die biobasierte Energiespeicherung kommen, neben der Produktion von Biogas, Biowasserstoff und Biotreibstoffen, auch auf Mikroorganismen basierende Batteriespeichersysteme in Frage. Bei der Entwicklung von Bioenergieanlagen ermöglicht die Prozessautomatisierung eine umfassende Anlagenübersicht durch Echtzeitüberwachung, was eine schnelle Reaktion auf potenzielle Probleme und Störungen sowie einen effizienten Ressourceneinsatz ermöglicht.
Biosensoren und Bioaktuatoren als biobasierte Vorrichtungen und Systeme in der industriellen Produktion dienen dazu, biologische oder chemische Signale zu detektieren (z.B. in der Prozessüberwachung) und biologische bzw. chemische Prozesse zu initiieren. Sie werden oft für die Kontrolle von Parametern (z.B. Druck, Temperatur) in Fermentationsprozessen eingesetzt. Darüber hinaus ist der Einsatz bei der Prüfung von biologischen Zwischen- und Endprodukten sowie die Überwachung von Schadstoffwerten z.B. in Produktionshallen relevant. Echtzeit-Tracking der beobachteten Parameter ist in vielen Fällen bereits heute möglich. Hierdurch können Produktivitätssteigerung oder Zeit- und Personalersparnis erreicht werden.
Wettlauf um die biointelligente Marktführerschaft
Die drei erläuterten Felder lassen bereits jetzt erkennen, dass die Anwendungen der Biointelligenz groß und umfassend agieren – Technologien überschreiten Grenzen. Während sie beeinflussen, was in Zukunft produziert wird, haben andere beobachtete Felder z.B. Human-Biomachine-Interfaces das Potenzial, den Arbeitsprozess an sich zu verändern, d.h. das Wie – vom Eye-Tracking bis zu Neuralink, der Steuerung über die Gehirnaktivität.
Aus der Untersuchung geht zudem hervor, dass das Wachstum aller 17 betrachteten Befähigertechnologiefelder deutlich über jenen der meisten Volkswirtschaften, insbesondere jenem von Deutschland liegt. Es wird demnach prognostiziert, dass der Marktanteil deutlich steigen wird – und das in den nächsten Jahren. Mit einem Einblick in das, was Biointelligenz kann, ist dennoch fraglich, wie es um die aktuelle Position der biologischen Wertschöpfung in Deutschland steht.
In der finalen Betrachtung führen die USA das Feld vor Deutschland und Schweden an. Dahinter folgen Finnland, Großbritannien, Niederlande, Kanada, Australien, China, Israel und Norwegen. Dabei zeichnet sich Deutschland durch praxisorientierte Studiengänge und eine starke Forschungslandschaft aus.
Gleichzeitig hat es jedoch Schwierigkeiten, Forschungsergebnisse in marktreife Lösungen zu überführen.
Der gute Marktzugang sowie die geschickte Anpassung an sich wandelnde Märkte und das Bewusstsein für die zentrale Bedeutung der Wertschöpfung im Konvergenzbereich bietet eine Chance auf Ausbau der Marktchancen. Deutsche Unternehmen sind zudem exportorientiert und verfolgen eine proaktive Marktgestaltungsstrategie, die Trends vorwegnehmen und innovative Lösungen zur Markterschließung entwickeln. Sie engagieren sich zunehmend nachhaltig. Ihr aktives Handeln wird jedoch oft durch bürokratische Hürden und ein komplexes Regulierungssystem gebremst. Mit einem insgesamt zweiten Platz ist Deutschland dennoch gut aufgestellt, um seinen Weg in die biointelligente Wertschöpfung zu finden.
Dem aufmerksamen Leser wird bereits bei einigen Punkten eine ungewisse Entwicklung schwanen. So steht das Land z.B. vor der Herausforderung, Fachkräfte insbesondere für MINT-Berufe hervorzubringen. Die interdisziplinäre Verknüpfung dreier nur schrittweise zueinander findender komplexer Bereiche ist eine Herausforderung, die bereits heute so manches Mal an die Ecken der Vorstellungskraft stößt. Derart ist abzusehen, dass die zukünftige Rolle Deutschlands in der biointelligenten Wertschöpfung auch darauf beruht, wie die Rahmenbedingungen gestaltet werden. Für ein Gelingen ist dabei eine effektive Zusammenarbeit zwischen Industrie, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik erforderlich.
Unternehmen der Prozesstechnik können jedoch bereits heute ihre eigene Schnittstelle identifizieren, Informationen sammeln, den Austausch zwischen Forschung und Praxis suchen und sich in Netzwerken austauschen. Denn technologische Revolution kam selten von oben nach unten, sondern oft aus den innovativen Köpfen mutiger Vordenker.
Autorin:
Nathalie Wagner, Referentin für Biologisierung, VDMA. Fachverbände Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen sowie Verfahrenstechnische Maschinen und Apparate
----------------------------
Mehr zum Thema Biointelligenz
Neugierig geworden? Die Untersuchung „Benchmark Biointelligenz: Stand und Perspektiven einer nachhaltigen industriellen Wertschöpfung“ mit all ihren Erhebungen, Methoden, Beispielen und Denkanstößen finden Sie unter https://www.vdma.org/biologisierung zum Download.