QS-Leitertagung 2022 der Akademie Fresenius
Das 13. Akademie Fresenius-Praktiker-Treffen behandelte die neue gesetzliche Pflicht zur Lebensmittelsicherheitskultur und gab Praxistipps.
Das 13. Akademie-Fresenius-Praktikertreffen fand in Präsenz am 21. und 22. Juni 2022 in Düsseldorf sowie im Live-Stream statt. Drei Themenkomplexe behandelte die zweitägige Veranstaltung: Konzepte und Standards, Analytik und Risikomonitoring sowie aktuelle Entwicklungen auf den Gebieten von Recht und Kennzeichnung. Insbesondere die neue gesetzliche Pflicht zur Lebensmittelsicherheitskultur beschäftigte die Teilnehmer. Die LVT-Redaktion nahm im Live-Stream an der Veranstaltung teil und berichtet hier darüber.
Ilka Müller von der Akademie Fresenius begrüßte die Teilnehmer und räumte ein: Es sei aufgrund der Corona-Pandemie immer noch eine besondere Zeit. Viele Qualitätsverantwortliche in den Unternehmen dürften noch nicht reisen. Diese hätten aber die Möglichkeit zur Online-Teilnahme genutzt. Der Tagungsleiter Rechtsanwalt Prof. Dr. Markus Grube (Grube • Pitzer • Konnertz-Häußler Rechtsanwälte) eröffnete die Veranstaltung und informierte über einige Umstellungen in der Abfolge von Themen und Referenten.
Neuigkeiten aus Brüssel
Über „Neuigkeiten aus Brüssel: Was kommt Neues im Lebensmittelrecht“ referierte Bernd Kurzai von der Wirtschaftsvereinigung Groß- und Außenhandel Hamburg. Sein Vortrag berichtete über den Stand der Umsetzung der Strategiepapiere „Green Deal“ und „Farm to Fork“ bei der Europäischen Kommission. Die EU sei international bereits Vorreiter auf dem Gebiet der Lebensmittelsicherheit und strebe dies auch für die Bereiche der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes an. Als Leitmotiv solle der Green Deal Europa bis 2050 klimaneutral machen und plane einen kompletten Umbau bei Energieversorgung, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft. Im Rahmen des Strategiepapiers „Vom Hof auf den Tisch“ wolle die EU die Vermeidung von Lebensmittelverlusten und -verschwendung mit einbeziehen. Dabei führe z. B. ein falsches Verständnis und eine falsche Handhabung der Datumsangabe wie Verbrauchsdatum und Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) dazu, dass Lebensmittel vorzeitig weggeworfen würden. Hier stelle sich die Frage wie gerechtfertigt die Kritik am Begriff des MHDs sei, schließlich entfalle auf der Ebene des Handels der größte Anteil unter den Lebensmittelabfällen auf unverpackte Frischware, die gar kein MHD habe.
MOH, Produktlabel, IFS Food
„Orientierungswerte für Mineralölkohlenwasserstoffe (MOH) in Lebensmitteln“ gab der Vortag von Dr. Sieglinde Stähle, Lebensmittelverband Deutschland. Nach der Kaffeepause präsentierte Jaqueline Walter (Arla Foods Deutschland) einen Industriebericht zum Thema „Produktlabel – Implementierung aus Sicht des Produktionswerkes“. Der Vortrag von Thomas Neuhaus (IFS Management) behandelte „IFS Food V7: Praxisbericht und häufige Abweichungen im Audit“ und gab dem Auditorium so einen Zugang zur Strandortbestimmung, wo man selbst mit den eigenen Audits steht. Markus Paul, Eurofins, sprach über „PFAS – nur ein Trend? Ein Beispiel für Monitoring endokriner Disruptoren“.
Aufkommende Risiken
Einen Praxisbericht zum Umgang mit aufkommenden Risiken aus der Sicht eines Babynahrungsherstellers gab Dr. Norbert Fuchsbauer (Hipp-Werk Georg Hipp). Beeindruckend waren die Einblicke in die QS in Zahlen für das Hipp-Werk in Pfaffenhofen. 120 Kolleginnen und Kollegen arbeiten dort in der QS und untersuchen u. a. mehr als 25.000 Proben mit rund 870.000 Analysenergebnissen pro Jahr. Strategische Teams nutzen das analytische Know-how speziell für den Umgang mit Kontaminanten, Pestizidrückständen und aufkommenden Risiken.
Mykotoxine seien als Kontaminanten von Lebensmitteln zwar lange bekannt, so Fuchsbauer, doch werde der Klimawandel vorhersehbar zu Veränderungen in ihrem Vorkommen führen. Als eines der aufkommenden Risiken habe man die Toxine aus der Schimmelpilz-Gattung Alternaria identifiziert, mit ihrer weiten Verbreitung unter verschiedensten Getreiden, Früchten und Gemüsen. Sie sind schon bei niedrigen Temperaturen überlebensfähig und bilden Toxine bei Kühlschranktemperaturen.
Fünf der rund 70 bekannten Alternaria Toxine sind analytisch zugänglich: Alternariol (AOH), Alternariolmonomethylether (AME), Altenuen (ALT) Tenuazonsäure (TeA) und Tentoxin (TEN). AOH und AME seien als genotoxisch, mutagen und kanzerogen beschrieben, so Fuchsbauer. TeA und TEN würden mit akuter Toxizität in Verbindung gebracht. Bislang existierten keine gesetzlichen Höchstwerte. Doch würde der rein toxikologische Richtwert (HGBV: Health Based Guidance Value; gleichbedeutend mit der maximal zulässigen gesundheitsbezogenen Exposition eines Verbrauchers gegenüber einer chemischen Substanz) der Toxine in der QS-Analytik in sehr vielen Fällen überschritten. Für TeA ließen sich HGBV-Werte von 1,5 µg/kg Körpergewicht ableiten, für AOH und AME gar nur 0,0025 µg/kg Körpergewicht. Bei der QS zeigten z. B. 100 % der Tomatenmarkproben einen Befund.
Für das Risikomanagement dürfe man aber nicht außer Acht lassen, dass bestimmte Konzepte der Toxikologie oder der Risikobewertung, wie z. B. der Threshold of Toxicological Concern (TTC) oder die Margin of Exposure (MoE), bei Alternaria Toxinen zu sehr niedrigen Werten für die HGBVs führten. Das Wissen um die richtigen Maßnahmen zur Vermeidung der Alternaria Toxine im landwirtschaftlichen Anbau stünde leider noch in den Anfängen. Abschließend würdigte Norbert Fuchsbauer die Beiträge seiner Kolleginnen und Kollegen bei Hipp (Julia Coenen, Dr. Georg Hartmann, Jürgen Gloser) zu seinem Vortrag.
Lebensmittelsicherheitskultur
Rechtsanwalt Prof. Dr. Markus Grube beschrieb „die neue gesetzliche Pflicht zur Lebensmittelsicherheitskultur“. Dirk Schweikert (ADM Wild Europe) behandelte in seinem Vortag den Wandel „vom Prozess zur Vermeidung von Lebensmittelbetrug hin zur Lebensmittelsicherheitskultur“. Er gliederte seine Präsentation in drei Bereiche: Umsetzung neuer Anforderungen in die betriebliche Dokumentation am Beispiel Food Fraud, Elemente einer erfolgreichen Lebensmittelsicherheitskultur und in die Förderung einer qualitätsorientierten Unternehmenskultur. Mit Blick auf die letzten zweieinhalb Jahre gab Dirk Schweikert seine Einschätzung: „Wir haben Know-how verloren. Ich glaube, dass das nicht nur mit Corona zu tun hat, sondern auch mit der Vielfalt der Daten und ihre Verfügbarkeit.“ Schweikert empfahl die Kooperation mit dem Einkauf und die Nutzung von Netzwerken und von Verbänden. „Die Rolle des Qualitätsmanagers ändert sich“, so der Referent.
Weitere Themen
Die Vorträge am 22. Juni eröffnete Ines Nagelschmidt (The Family Butchers Nortrup) mit der Präsentation „Allergenmanagement - Umsetzung der IFS Anforderung“. Britta Gallus (Metro) gab „Best Practice Ansätze bei der Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln“. Theresa Usler (AFC Risk & Crisis Consult) hielt in Vertretung den Vortrag für Dr. Michael Lendle (AFC Risk & Crisis Consult) zum Thema „Risiken vorbeugen, Krisen bewältigen, Kommunikation ermöglichen“.
Dr. Stephan Walch (Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Karlsruhe) sprach zum Thema „Lebensmittelüberwachung und Arbeitskreis lebensmittelchemischer Sachverständiger der Länder und des Bundesamtes für Verbraucherschutz (ALS) – aktuelle Themen“. „Mikrobiologische Umgebungskontrollen“ behandelte Dr. Anett Winkler (Cargill Deutschland). Martin Kempkes (van Hees) setzte in seiner Präsentation den Schwerpunkt auf ein besonderes mikrobiologisches Thema: „Risikobewertung und Kontrolle von Listeria monocytogenes“ unter dem Titel „Safety first – Lebensmittelsicherheit von Fleischwaren und Fleischersatzprodukten“. Thomas Tyborski (Ecolab Deutschland) beschäftigte sich in seinem Vortrag „Hygienisches Design trifft Reinigung“ mit der Schnittstelle zwischen Prozessführung und Anlagenbau.
Fazit
Auch im hybriden Format aus Präsenz und Live-Stream haben Inhalt und Konzeption der QS-Leitertagung wieder einmal überzeugt. Ein bunter Themenstrauß inspirierte die Teilnehmenden zur Diskussion, Erfahrungswerte wurden ausgetauscht. Geradezu „katalytisch“ und erhellend wirkte da die professionelle Moderation von Rechtsanwalt Prof. Dr. Markus Grube, der z. B. bei der Diskussion um nicht vorhandene Grenzwerte auf Schwächen der Aufsichtsbehörden und des Gesetzgebers hinwies. Der Produzent von Lebensmitteln werde dann in seiner Verantwortung in Einzelfällen durchaus „alleine gelassen“. Erneut profitierte die Veranstaltung von der perfekten Organisation und dem stringente Zeitmanagement des Teams der Akademie Fresenius rund um Ilka Müller. Auf die Folgeveranstaltung darf man gespannt sein.
Autor: Dr.-Ing. Jürgen Kreuzig, Chefredakteur LVT LEBENSMITTEL Industrie