Süßwarenindustrie: Die Erfindung der Milchschokolade durch Jordan & Timaeus
Lange Zeit ging man davon aus, dass die erste Milchschokolade von dem Schweizer Daniel Peter im Jahr 1869 entwickelt wurde.
Lange Zeit ging man davon aus, dass die erste Milchschokolade von dem Schweizer Daniel Peter im Jahr 1869 entwickelt wurde. Doch mehr als 30 Jahre früher warb eine Dresdner Firma mit folgendem Slogan:
„Chocolade mit Eselsmilch präpariert, ohne Gewürz, sowohl zum Kochen in 5/5 Tafeln pr. Pfd, als auch zum Rohessen in 24 Täfelchen pr. Pfd., haben wir anfertigen lassen und verkaufen solche à 1 Thaler pr. Pfd.“.
Gefunden wurde diese Werbung von dem Dresdner Wissenschaftler-Verein WIMAD. Die Wissenschaftler erforschen seit 1998 die sächsische Schokoladenindustrie und haben die Anzeige in einem Geschichtsbuch von 1916 entdeckt.
Die von dem auch politisch engagiertem Kaufmann Gottfried Heinrich Christoph Jordan und seinem Teilhaber August Friedrich Christian Timaeus gegründete Firma „Jordan & Timaeus" beschäftigte sich zunächst mit der Produktion von Kaffee-Ersatzprodukten. Erst als man mit der Anschaffung einer Dampfmaschine Ende der 1830er-Jahre einen großen Sprung in der Verfahrenstechnik machen konnte, war man in der Lage, die Kakaobohnen ausreichend fein zu zermahlen und eine genießbare Schokoladenmasse herzustellen.
Der Aufstieg von „Jordan & Timaeus"
Die Geschichte beginnt 1823 in einem Hinterhof der Dresdner Neustadt, westlich der oberen Alaunstraße. Hier wurde die erste Fabrik gegründet, bevor man dann später auch nach Děčín (Bodenbach), Wien, Prag und Budapest expandierte. Mit der neuen Dampfmaschine wurde der gesamte Produktionsprozess effizienter und vor allem auch preiswerter. Die Schokoladenfabrik war mit ihren Produkten so erfolgreich, dass man kurze Zeit später schon über 200 Mitarbeiter beschäftigen konnte und zum größten Unternehmen Dresdens aufstieg. Das bekannteste Produkt von Jordan & Timaeus war die Schokolade der Marke „Jordtina“. Zu den Ehrungen der Firma zählten die Ernennungen zum „kaiserlichen und königlichen Hoflieferanten“ sowie zum „königlich-sächsischen Hoflieferanten“. Das Fabrikgebäude existiert nicht mehr, nur die Fabrikantenvilla in der Alaunstraße hat die Zeit überdauert. Heute beherbergt das Gebäude u. a. eine Praxis für angewandte Psychologie.
Auf den Spuren der ersten Milchschokolade
Mehr als 170 Jahre später versuchte man, das Rezept der ersten Milchschokolade zu rekonstruieren. Angestoßen wurde diese Idee von der Berufspädagogik-Studentin Miranda Benner, die Lebensmittel-, Ernährungs- und Hauswirtschaftswissenschaft studiert. Sie setze sich mit den Lebensmitteltechnikern des Instituts für Lebensmittel- und Bioverfahrenstechnik in Verbindung und bat um Unterstützung für ihre Bachelorarbeit mit dem Thema „Schokoladentechnologie im Wandel der Zeit".
Zur selben Zeit schlug auch der WIMAD dem TUD-Institut vor, eine Rekonstruktion der ersten Milchschokolade zu versuchen. Miranda Benner leistete Vorrecherche in historischen Quellen und so konnten bereits im Juni 2011 erste Laborversuche beginnen. Ein so altes Rezept zu rekonstruieren, stellte alle Beteiligten vor große Herausforderungen. „Wir haben uns dem Ganzen per Ausschlussverfahren genähert. Welche Rohstoffe gab es damals noch nicht, welche Technologien konnten die Fabrikanten noch nicht kennen? Bei den ersten Versuchen hatte die Masse eher die Textur eines Kaubonbons. Am Ende sind wir bei 60% Kakao, 30% Zucker und 10% Milch angelangt.", berichtet Dr. Yvonne Schneider vom Institut für Lebensmittel- und Bioverfahrenstechnik.
Trotz aller Hürden ist es den Wissenschaftlern gelungen, die historische Schokolade herzustellen, auch wenn das Ergebnis manchen vielleicht überraschen würde: „Natürlich weicht diese Schokolade von 1839 von der heutigen ab. Sie konnte beispielsweise keinen so zarten Schmelz aufweisen, hatte eine gröbere Struktur. Die damalige Technologie steckte einfach noch in den Kinderschuhen", so Yvonne Schneider.
Gottfried Heinrich Christoph Jordan
Gottfried Jordan (9. Mai 1791 in Hasserode/Harz bis 2. Oktober 1860 in Dresden) gründete zusammen mit August Timaeus die Firma Jordan und Timaeus. Jordan und Timaeus kannten sich durch ihre Tätigkeiten als Handelsreisende für Braunschweiger Unternehmen. Jedoch hatte Gottfried Jordan nicht nur eine geschäftliche Beziehung zu seinem Partner August Timaeus. In erster Ehe heiratete er die Schwester von August Timaeus, Johanna. Leider verstarb Johanna bei der Geburt ihres ersten Kindes Marie Luise Johanne Jordan. Seine zweite Ehe führte er mit Emilie Concordia Eisenstuck, aus dieser Verbindung gingen fünf Kinder hervor. Auch außerhalb seiner Firma war Jordan sehr aktiv, er war Stadtverordneter und gemeinsam mit dem Onkel seiner zweiten Frau, Christian Gottlieb Eisenstuck, beteiligte er sich 1836 an der Waldschlösschenbrauerei, eine der ersten Aktiengesellschaften Deutschlands. Gottfried Jordan verblieb bis zu seinem Tod am 2. Oktober 1860 im Unternehmen. Nach ihm wurde die Jordanstraße in Dresden benannt, die sich in der Nähe der Fabrik befand und bis heute existiert.
August Friedrich Christian Timaeus
August Timaeus (23. Januar 1794 in Celle bis 1. April 1875 in Dresden) war Gründungsmitglied und Teilhaber der Firma Jordan und Timaeus. Er lernte seinen Geschäftspartner Gottfried Jordan in Braunschweig kennen. Dort arbeitete er zunächst in einem „Droguengeschäft“ bevor er bis 1823 für die Gebrüder Reiners in Braunschweig als Kontorist und Handlungsreisender tätig war. Zusammen mit Gottfried Jordan gründete er die „Chocolade- und Cichorienfabrik Jordan & Timaeus“, welche spätestens mit der Anschaffung einer Dampfmaschine im Jahr 1830 zu weltweiter Bedeutung gelangte. Die nach Timaeus benannte und bis heute unter Denkmalschutz erhaltene Timaeusvilla kann man in einem Hinterhof der Alaunstraße 71b in Dresden besichtigen. August Timaeus zog sich 1853 aus dem Geschäft zurück. Nach ihm wurde eine bis heute erhaltene Straße benannt, die Timaeusstraße in Dresden.