Erfolgreiche Krisenkommunikation
Die Systemrelevanz der Lebensmittelwirtschaft wurde von der Politik unmissverständlich bestätigt. Doch dass dies eine grundsätzliche positivere Betrachtung der Lebensmittelwirtschaft nach sich ziehen würde, zeichnet sich nicht einmal andeutungsweise ab! Hier liegt ein wichtiges Motiv dafür, warum die Lebensmittelwirtschaft weiter aus der Defensive kommunizieren muss. Die Frage ist nicht, ob ein Unternehmen in eine Krise gerät, sondern wann. Gleichzeitig wird sich die Komplexität von Krisenkommunikation in den kommenden Jahren weiter erhöhen. Das führt zu der Frage, wie sich Unternehmen auf diese Entwicklungen vorbereiten sollten.
2020 ist kein Jahr wie jedes andere und ist unweigerlich mit dem Auftreten des Coronavirus verknüpft. Zu den vielfältigen Entwicklungen, die die Pandemie ausgelöst oder beschleunigt hat, zählt auch die Digitalisierung. Wie ein Katalysator hat das Virus gewirkt, und das globale Geschehen wird dafür Sorge tragen, dass sich die Arbeitswelt langfristig verändert. Ein anderes Beispiel: An den gesamten Health-Care-Bereich werden neue Fragen gestellt: Muss die Pharmabranche unabhängiger von Asien werden? Reichen die Kapazitäten für Intensivbetten langfristig aus? Viele Branchen werden also neu bewertet, doch inwiefern gilt dies auch für die Lebensmittelwirtschaft? Mildert die Corona-Pandemie vielleicht den anhaltend kritischen Blick der Öffentlichkeit, dem sich die Branche ausgesetzt sieht?
In der Hochphase der Corona-Beschränkungen im Frühjahr 2020 gelang es Branche und Handel, die Versorgungslage vollumfänglich sicherzustellen, so dass das Vertrauen der Öffentlichkeit nicht erodierte und Panikkäufe rasch wieder abnahmen. Die existenzielle Bedeutung der Lebensmittelwirtschaft wurde in dieser Phase deutlich offenbar, und ihre Systemrelevanz von der Politik unmissverständlich bestätigt. Doch dass dies eine grundsätzliche positivere Betrachtung der Lebensmittelwirtschaft nach sich ziehen würde, zeichnet sich nicht einmal andeutungsweise ab. Es gelten vielmehr dieselben Narrative wie vor der Krise. Unsere Auswertung der TV-Berichte 2019 (bit.ly/31o6j7t), die sich mit Lebensmitteln auseinandersetzen, zeigt, dass jeder zweite TV-Beitrag kritisch ist – Tendenz steigend.
Zudem gibt es keine Anzeichen, dass sich die kritische Reflektion der Branche in Zukunft abschwächen wird. Exemplarisch hierfür steht auch die intensive öffentliche Diskussion um die Arbeitsbedingungen in der Fleischwirtschaft. Food & Beverage-Produzenten werden also weiterhin aus einer Position der Defensive heraus kommunizieren müssen. Gerade weil sich Unternehmen in der Krise keine kommunikativen Fehler leisten können, bleiben Krisenprävention und -kommunikation von zentraler Bedeutung. Dies gilt umso mehr in einer stark fragmentierten Gesellschaft, in der es immer schwerer wird, mit Fakten Menschen zu erreichen.
Die Ausgangslage wird für lebensmittelproduzierende Unternehmen nicht leichter. Hinzu kommt, dass sich die Komplexität von Kommunikation in den nächsten Jahren weiter erhöhen wird. Es werden insbesondere die folgenden Aspekte herausragen, mit den Unternehmen morgen mehr denn je konfrontiert sein werden.
Fake News Kampagnen richten sich gegen Unternehmen
Wie Fake News Wahlen beeinflussen und politische Stimmungen steuern, ist bereits seit Jahren Gegenstand intensiver Diskussionen. Der Druck auf Facebook & Co. wächst, aktiv gegen die Verbreitung von Desinformation im Social Web vorzugehen. Bisher ging es bei Fake News-Kampagnen meist darum, politische Ziele zu erreichen, aber es ist anzunehmen, dass in den kommenden Jahren vermehrt privatwirtschaftliche Unternehmen zur Zielscheibe werden. Stark konfrontative Gruppierungen können ihre Ziele erreichen, indem sie mit Falschinformationen öffentlichen Druck erzeugen. Für Unternehmen bedeutet das: Es braucht nicht einmal mehr ein tatsächliches Ereignis, um in eine Krise zu geraten. Überspitzt gesagt: Das Unternehmen muss kein Fehlverhalten begangen haben, es reicht, dass ihm ein solches unterstellt wird. Wichtig ist daher ein möglichst engmaschiges Social Media und Issue-Monitoring, um auf kritische Entwicklungen frühzeitig reagieren zu können.
Interessengruppen organisieren sich dezentral
Die NGOs, mit denen sich Lebensmittelhersteller derzeit auseinandersetzen (Foodwatch, Verbraucherzentrale o. ä.) haben weitgehend klassische, zentrale Organisationsstrukturen. Weitere Akteure könnten in Zukunft die Bühne betreten, die vorwiegend dezentral organisiert sind, wie es etwa bei Fridays for Future schon im Ansatz der Fall ist oder auch bei politisch rechtsstehenden Gruppierungen, die sich nur noch über Gruppen des Messagingdienstes Telegram organisieren. Dezentrale Organisationen sind schwieriger zu berechnen, z. B. in der Frage, ob sie eine lösungsorientierte und kooperative oder vorwiegend konfrontative Strategie verfolgen. Auch sind sie stärker situationsgetrieben und damit unkalkulierbar. Unternehmen sollten mit einem Stakeholder-Mapping immer genau wissen, welche Akteure auf dem Markt der Meinungen aktiv sind und wie sie im Ernstfall mit ihnen umgehen möchten. Dies gilt auch für kleinere, regionale Vereinigungen, die keinesfalls übersehen werden dürfen.
Vergessene Zielgruppen: Politiker und Mitarbeiter
Während den Corona-Beschränkungen haben viele lebensmittelproduzierende Unternehmen erkannt, welch zentrale Bedeutung interne Kommunikation hat. Um den Betriebsfrieden zu wahren, war es essenziell, dass die Mitarbeiter großes Vertrauen in das Krisenteam haben und davon überzeugt waren, dass nicht mit ihrer Gesundheit gespielt wird. Zudem haben in vielen Betrieben Verwaltungsmitarbeiter von zuhause gearbeitet, während die Produktionsmitarbeiter wie gewohnt täglich in den Betrieb fahren mussten und sich als Mitarbeiter zweiter Klasse zu fühlen drohten – eine zusätzliche kommunikative Herausforderung. Zahlreiche Unternehmen haben umfangreiche zeitliche Ressourcen in die interne Kommunikation investiert und damit genau das Richtige getan. Denn Mitarbeiter können schnell zu einem Reputationsrisiko werden, wenn sie ihre Unzufriedenheit nach außen tragen. Und Erfahrungen aus der Praxis zeigen: Journalisten und NGOs schreiben Mitarbeiter aktiv über Social-Media-Kanäle an und bitten sie, ihnen Hintergrundinformationen zur Verfügung zu stellen. Kununu – das Online-Portal für die Arbeitgeberbewertung – ruft aktiv dazu auf, dass Mitarbeiter das Corona-Management ihrer Firma mit Noten versehen. Der einzelne Mitarbeiter wird also immer mehr zu einem wichtigen Faktor, der Krisenverläufe beeinflussen kann. Dies belegt auch eine aktuelle Umfrage des Crisis Communications Network Europe (CCNE), für die Krisenberater aus neuen europäischen Ländern befragt worden sind.
Eine ebenfalls häufig vernachlässigte Zielgruppe sind Politiker: Bundes- oder Landtagsabgeordnete, aber auch regionale Politiker können Krisendynamiken durch ihre Äußerungen massiv beeinflussen. Über Twitter nutzen sie das Moment öffentlicher Aufmerksamkeit, um Gehör für die eigene Person und die eigene Agenda zu finden. Deutlich hat sich dies gezeigt, als die Corona-Fälle in der Fleischwirtschaft öffentlich diskutiert wurden. Deswegen gilt: Unternehmen sollten den Dialog mindestens zu den Abgeordneten ihrer Region durchgängig pflegen, unabhängig von der Frage, ob sie konkrete politische Forderungen haben oder nicht. Kommunikation ist – auch mit der Politik – gelebte Krisenprävention!
Bereits diese Beispiele zeigen, dass Krisenkommunikation immer herausfordernder wird. Dies gilt insbesondere für eine Branche wie die Lebensmittelwirtschaft, die besonders kritisch hinterfragt bleiben wird. Die Frage ist nicht, ob ein Unternehmen aus dieser Branche in eine Krise gerät, sondern wann. Deshalb ist es unabdingbar, sich darauf gewissenhaft vorzubereiten. Zu den Präventionsmaßnahmen zählt eine Identifikation kritischer Themen. Viele Lebensmittelbetriebe sind auf einen Produktrückruf gut vorbereitet, vernachlässigen aber andere Fragen: Was passiert, wenn es zu einem tödlichen Unfall in der Produktion kommt? Welche Compliance-Risiken gibt es? Stehen Tarifkonflikte mit der NGG an? Wichtig ist auch, dass überstandene Krisen systematisch analysiert werden. Was ist gut und was ist schlecht gelaufen? Gerade die Krisen-Nachbereitung findet in sehr vielen Unternehmen überhaupt nicht statt.
Die identifizierten Risiken müssen mit Simulationen trainiert werden. Nur so lässt sich herausfinden, ob das Krisenmanagement im Ernstfall wirklich funktioniert und welches Verbesserungsbedarf besteht. Die Digitalisierung hat sich beschleunigt und dadurch auch die Art verändert, wie Krisen bearbeitet werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass das gesamte Krisenteam in einem Raum zusammenkommt, ist noch niedriger geworden. Wichtig ist es, die bestehenden, oftmals sehr textlastigen Handbücher auf diese Entwicklungen hin zu überarbeiten und zukunftsfest zu machen, z. B. durch die Nutzung einer Krisen-App.
Autor: Dr. Matthias Glötzner, Leiter Krisenteam Engel & Zimmermann, Sprecher Crisis Communications Network Europe (CCNE)