EU-GMP-Leitfaden: Neuerungen für Reinigung und Desinfektion
Reinigung und Kontrolle von mikrobieller Kontamination sind wichtige Schwerpunkte in der pharmazeutischen und medizintechnischen Industrie. Um die geforderten mikrobiellen Reinheitsgrade zu erreichen, Kreuzkontamination und eine anschließende mikrobielle Verunreinigung der Produkte zu verhindern, sind robuste Reinigungs- und Desinfektionsprotokolle erforderlich.
Eine unzureichende Kontrolle von Mikroorganismen kann zu einer erheblichen Gefährdung der Patientensicherheit führen, und in weniger schlimmen Fällen mindestens einen Produktrückruf mit den damit verbundenen finanziellen Verlusten zur Folge haben. Nicht ausreichende Kontrolle von mikrobiologischer Kontamination und fehlende Ursachenanalyse gehören zu den zehn am häufigsten von der FDA seit 2012 beobachteten Mängeln. Die GMP-Mängelliste der MHRA zeigt eine ähnliche Situation in Europa.
Annex 1 „Herstellung von sterilen Arzneimitteln“
Die Herstellung von Human- und Tierarzneimitteln in der EU wird durch den Leitfaden „EudraLex – Volume 4 – Good Manufacturing Practice (GMP)“ (EU-Leitlinien für die Gute Herstellungspraxis) geregelt. Annex 1 der EU-GMP, der die Leitlinien zur Herstellung von sterilen Arzneimitteln enthält, wurde erstmals 1989 veröffentlicht, 1996 überarbeitet und 2003 und 2007 teilweise aktualisiert. Da seit mehr als zehn Jahren keine vollständige Überprüfung des Anhangs mehr durchgeführt wurde, war eine vollständige Überprüfung und Neufassung erforderlich. Der Anhang musste sowohl mit den Änderungen in der Sterilherstellungstechnologie (RABS, Isolatoren, mikrobiologische Schnellmethoden) als auch mit den bedeutenden Aktualisierungen der regulatorischen Erwartungen, der Einführung von ICH Q9 für das Qualitätsrisikomanagement, ICH Q10, das pharmazeutische Qualitätssysteme beschreibt, und den Änderungen hinsichtlich der Herstellung von Wasser für Injektionszwecke, die andere Methoden als die Destillation umfassen, Schritt halten.
Nach einer langen Zeit der Überprüfung, Diskussion und Neuformulierung ist Annex 1 nun freigegeben. Er wurde im August 2022 veröffentlicht und soll bis zum 25. August 2023 umgesetzt werden, mit Ausnahme der Sterilisation von manuellen Lyophilisatoren, die erst bis August 2024 umgesetzt werden soll. Das frühere 16-seitige Dokument wurde durch ein 59-seitiges Dokument ersetzt, jedes Thema wurde erheblich erweitert, neue Themen wurden aufgenommen und das Konzept des Risikomanagements ist in das Dokument eingebettet.
Übersicht über die Änderungen
Die Zahl an Bestimmungen ist von 100 in der bisherigen Fassung auf jetzt 300 gestiegen. Viele Regelungen wurden erweitert. Die neuen Abschnitte betreffen Single-Use-Systeme, die Anforderungen an Reinraumpersonal, Qualitätsrisikomanagement, die Anforderungen an Desinfektionsmittel für Reinraumoberflächen, Prozesswassersysteme, einschließlich der Herstellung von Wasser für Injektionszwecke, andere Versorgungsleistungen und geschlossene Produktionssysteme. Eine der wichtigsten Dokumentationsanforderungen des neuen Anhangs ist die Forderung nach einer umfassenden übergeordneten Kontaminationskontrollstrategie (Contamination Control Strategy, CCS).
Kontaminationskontrollstrategie
Diese Strategie kann in einem Gesamtdokument oder in separaten, zusammenhängenden Teildokumenten erfasst werden und muss eine für einen Standort geltende Strategie zur Minimierung der Kontamination enthalten. Die für diesen Zweck erstellten Dokumente müssen kontinuierlich während des gesamten Lebenszyklus einer Anlage aktualisiert werden. In der veröffentlichten Fassung wird ca. 45-mal darauf verwiesen, dass eine bestimmte Anforderung, Messung oder Validierung in der Kontaminationskontrollstrategie des betreffenden Standorts dokumentiert werden muss. Für bestehende Betriebe ist die erforderliche Dokumentation wahrscheinlich bereits vorhanden, aber unter Umständen in separaten Dokumenten.
Hersteller sollten versuchen, Links und Verweise aufzunehmen, um nicht alle Qualifizierungsdokumente neu verfassen zu müssen. Neue Anlagen sollten so früh wie möglich mit der Erstellung der CCS beginnen. Idealerweise sollte dies Teil des Planungsprozesses sein und in die URS- und DQ-Dokumente aufgenommen werden.
Die CCS muss die Kontrollmaßnahmen und Schritte zur Minimierung des Kontaminationsrisikos durch mikrobielle, Endotoxin-/Pyrogen- und Partikelkontaminationen beschreiben. Sie muss eine Reihe von miteinander in Beziehung stehenden Vorfällen und Maßnahmen umfassen, die zwar einzeln bewertet, kontrolliert und überwacht werden, deren kollektive Wirksamkeit jedoch zusammen betrachtet werden muss.
Zu den wichtigsten Elementen gehören: Anlagen- und Prozessplanung, Räume und Ausrüstung, Personal, Versorgungsleistungen, Rohstoffkontrollen, Produktbehälter und -verschlüsse, Zulassung von Lieferanten, Management von ausgelagerten Tätigkeiten, Prozessrisikomanagement, Prozessvalidierung, Validierung des Sterilisationsprozesses, vorbeugende Wartung, Reinigung und Desinfektion, Überwachungssysteme, Präventionsmechanismen (Trendanalyse, Untersuchungen, CAPA) und kontinuierliche Verbesserung auf Grundlage der oben genannten Informationen.
Reinigung und Desinfektion
Die Verweise zu Reinigung und Desinfektion im Anhang wurden erweitert. Im Titel dieses Abschnitts wurde der englische Begriff „Sanitation“ (Hygiene) durch den Begriff Desinfektion ersetzt. Reinigung wurde durch „Reinigung und Desinfektion“ ersetzt. Im Text heißt es: „Für eine wirksame Desinfektion muss eine vorherige Reinigung zur Entfernung von Oberflächenverunreinigungen durchgeführt werden.“ Dies verdeutlicht die bewährte Praxis, dass Reinigung und Desinfektion zwei verschiedene Tätigkeiten sind, die unterschiedliche Ziele verfolgen. Reinigung wird definiert als „ein Verfahren zur Entfernung von Verunreinigungen, z. B. Rückständen von Produkten oder Desinfektionsmitteln.“
Desinfektion wird definiert als „Prozess, bei dem die Anzahl der Mikroorganismen durch die irreversible Wirkung eines Produkts auf deren Struktur oder deren Stoffwechsel auf ein Niveau reduziert wird, das für einen bestimmten Zweck als angemessen betrachtet wird.“
Rückstände
Viele gebräuchliche und in der Praxis bewährte Desinfektionsmittel, z. B. Amine, Amphoter und quaternäre Ammoniumverbindungen, hinterlassen auf Oberflächen erhebliche Rückstände, die sich in der Folge nachteilig auf die Wirksamkeit des verwendeten Desinfektionsmittels auswirken können. (Tab. 1) Dies wird im neuen Anhang berücksichtigt: „Reinigungsprotokolle müssen Desinfektionsmittelrückstände wirksam entfernen.“ Pharmaunternehmen wurden schon wegen Rückständen verklagt, und sichtbare Rückstände wurde in der Vergangenheit häufig als Hinweis darauf gewertet, dass ein Reinigungs- und Desinfektionsverfahren nicht vollständig kontrolliert wurde.
Derzeit gibt es keine zugelassenen oder veröffentlichten Methoden zur Bewertung der Rückstandsmenge auf Nicht-Produkt-Kontaktflächen, und die meisten Einrichtungen nehmen Sichtprüfungen auf Rückstände auf Nicht-Produkt-Kontaktflächen vor. Alkohole und Wasserstoffperoxid sind die einzigen beiden Desinfektionsmittel, die tatsächlich keine Rückstände hinterlassen. Alle anderen Desinfektionsmittel hinterlassen mehr oder weniger Rückstände und einige sind leichter zu entfernen, andere schwerer. Einige Desinfektionsmittel sind als „rückstandsfrei“ oder „rückstandsarm“ gekennzeichnet, aber es gibt keine anerkannte Spezifikation für „rückstandsarm“. Selbst wenn ein Desinfektionsmittel nur geringe Rückstände hinterlässt, diese aber schwer zu entfernen sind, ist das Entfernen eine relevante Maßnahme. Ebenfalls zu berücksichtigen ist, dass alle Reinigungsmittel Rückstände hinterlassen.
Desinfektionsmittel müssen also eine der folgenden Anforderungen erfüllen: Sie müssen entweder
- nach der Einwirkzeit zum Trocknen abgewischt werden oder
- es muss eine sofortige Rückstandsentfernung
- mit Wasser oder Alkohol erfolgen oder
- es muss eine Routinereinigung mit einem Reinigungsmittel vorgesehen werden, um Rückstände zu einem validierten Zeitpunkt zu entfernen.
Rotationsdesinfektion
In Bezug auf die Rotation von Desinfektionsmitteln und die Anzahl der zu verwendenden Desinfektionsmittel gibt es noch keine einheitlichen Leitlinien. In Annex-1-EU-GMP hieß es bisher, dass „abwechselnd verschiedene Arten von Desinfektionsmitteln verwendet werden müssen“, und diese Anforderung bleibt in der aktualisierten Fassung bestehen. Der Grund dafür besteht darin, dass die abwechselnde Verwendung von Wirkstoffen, die Wirksamkeit erhöht.
In Übereinstimmung mit anderen Leitlinien wird auch spezifiziert, dass die Desinfektion den regelmäßigen Einsatz eines Sporizids umfassen muss.
Dies wirft viele Fragen bei Endnutzern auf. Wie viele Desinfektionsmittel sind notwendig? Soll ich Desinfektionsmittel mit unterschiedlichen Wirkungsweisen abwechselnd verwenden? Geht es um Bakterienresistenz? Was bedeutet regelmäßige Anwendung? Diese Fragen lassen sich leichter beantworten, wenn man bedenkt, dass beim Verfassen der aktualisieren Fassung des Anhangs das Thema Risikomanagement eingeflossen ist. Anzahl und Häufigkeit der zu verwendenden Desinfektionsmittel werden also nach Überprüfung der Trends des Umweltprotokolls und basierend auf regelmäßigen Checks der Reinigungs- und Desinfektionsprozesse festgelegt.
Unsere Gespräche mit der MHRA bestätigten, dass nicht zwingend Protokolle zur Rotationsdesinfektion oder Desinfektionsmitteln mit unterschiedlichen Wirkmechanismen eingesetzt werden müssen, wenn die Ergebnisse/Trendmessungen im Rahmen der Umweltüberwachung unter Kontrolle sind.
Viele Einrichtungen verwenden routinemäßig ein Breitband-Desinfektionsmittel im Wechsel mit einem Sporizid, das für den intermittierenden Einsatz oder für spezielle Aktionspunkte reserviert wird. Dies liegt hauptsächlich daran, dass viele sporizide Biozide besonders korrosiv bzw. aggressiv sind, und weniger Bakterienresistent. Die kürzlich auf den Markt gekommenen hochwirksamen Sporizide für Reinräume, die nicht als gefährlich eingestuft werden, könnte diese Haltung ändern.
Ein typisches Protokoll zur Biodekontamination könnte aus einer täglichen Desinfektion mit einem Breitspektrum-Desinfektionsmittel oder Alkohol und dem regelmäßigen Einsatz eines Sporizids auf Grundlage der Umweltüberwachung bestehen. Nach der täglichen Reinigung und Desinfektion (sofern nicht Alkohol oder Wasserstoffperoxid verwendet wird) mit Injektionswasser oder Alkohol abspülen oder zum Trocknen abwischen. Nach Verschütten, als Teil der Wartung oder zur regelmäßigen Entfernung von Rückständen sollte eine Reinigung mit einem schwach schäumenden neutralen Reinigungsmittel erfolgen.
Anforderungen an Desinfektionsmitteln und Validierung
Der Validierung von Desinfektionsmitteln wird immer mehr Bedeutung beigemessen, wobei auch das Verfahren und nicht nur das Desinfektionsmittel validiert werden muss. Die Validierung muss sich auf die Art und Weise beziehen, wie das Desinfektionsmittel verwendet wird, ob es durch Sprühen, Wischen, Vernebeln usw. auf der Oberfläche aufgetragen wird. Eine bloße Standard-Suspensionsprüfung für ein Desinfektionsmittel ist nicht ausreichend. Der neue Anhang ist in dieser Hinsicht sehr spezifisch: „Validierungsstudien müssen die Eignung und Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln für ihre spezifische Verwendung und für das spezifische Oberflächenmaterial oder für ein vergleichbares Material, wenn dies gerechtfertigt ist, nachweisen, ...“ Oberflächen mit hohem Risiko müssen identifiziert und in der CCS dokumentiert werden.
In Annex 1 heißt es außerdem, dass die durchgeführten Validierungsstudien auch „die Verwendungsfrist von präparierten Lösungen bestätigen müssen.“ Dies gilt nicht nur für Verdünnungen aus Konzentraten, sondern auch für RTU-Sprühflaschen und vorgetränkte Tücher. Die Wirksamkeit muss nicht nur für das ungeöffnete Produkt bei Ablauf der Haltbarkeitsdauer geprüft werden, sondern auch für das Produkt während dessen Verwendung.
Es muss eine Umweltüberwachung durchgeführt werden, um die Wirksamkeit des Desinfektionsprotokolls zu bewerten, und sie muss so ausgelegt sein, dass Veränderungen bei der Art der identifizierten Hausisolate erkannt werden. So kann sich bspw. die mikrobielle Flora in einer Einrichtung in Abhängigkeit von externen Faktoren wie örtlichen Bauarbeiten, saisonalen Veränderungen und Personalwechsel verändern. In Annex 1 wird nun Folgendes klargestellt: „Mikroorganismen, die in den Bereichen von Grad A und B nachgewiesen werden, müssen auf Artniveau identifiziert werden... Berücksichtigt werden muss auch die Identifizierung von Mikroorganismen, die in Bereichen von Grad C und D nachgewiesen werden.“
Wie in der vorherigen Fassung enthält Annex 1 einige klare Leitlinien für die Verwendung von Desinfektions- und Reinigungsmitteln. „Werden die Desinfektions- und Reinigungsmittel vom Hersteller des Sterilprodukts verdünnt/aufbereitet, muss dies so erfolgen, dass eine Kontamination verhindert wird, und die Mittel müssen auf mikrobielle Verunreinigung hin überwacht werden.“ Dies wird im aktualisierten Annex 1 wiederholt, wobei die Ausnahme für sterile Verdünnungen gestrichen wurde. „Verdünnungen müssen in zuvor gereinigten (und ggf. sterilisierten) Behältern aufbewahrt und dürfen nur für die festgelegten Zeiträume gelagert werden.“ – Es wird jedoch eingeräumt, dass viele Desinfektionsmittel heute gebrauchsfertig von einem Hersteller gekauft werden, diese brauchen nicht qualifiziert zu werden, wenn sie mit einem C of A oder C of C von einem qualifizierten Lieferanten bezogen werden.
Weiter heißt es: „Desinfektions- und Reinigungsmittel, die in Bereichen von Grad A und B verwendet werden, müssen vor der Verwendung steril sein.“ Darüber hinaus wird gefordert, dass die in den Bereichen von Grad C und D verwendeten Desinfektionsmittel vor ihrer Verwendung ebenfalls steril sein müssen; dies muss durch eine Risikobewertung nachgewiesen und in der CCS dokumentiert werden.
Zusammenfassung
Die Betonung liegt insbesondere auf separaten Reinigungs- und Desinfektionsschritten, was der derzeitigen Praxis entspricht. Es wird eine regelmäßige Anwendung eines Sporizids spezifiziert, damit werden die Leitlinien mit anderen Vorschriften in Einklang gebracht. Die Entfernung von Desinfektionsmittelrückständen wird mehr als einmal erwähnt, so dass rückstandsfreie Desinfektionsmittel bzw. Desinfektionsmittel mit leicht entfernbaren Rückständen in den Vordergrund rücken, denn es gibt keine anerkannte Spezifikation für „rückstandsarm“.
Die Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln muss für die Dauer der Anwendung validiert werden, es können jedoch Daten eines qualifizierten Lieferanten verwendet werden. Die Wirksamkeit von Desinfektionsmitteln muss für bestimmte Einrichtungen, Oberflächen und damit verbundene Prozesse nachgewiesen werden. Alle Entscheidungen müssen auf der Grundlage von Trendmessungen bei Qualitätsrisikomanagement und Umweltüberwachung getroffen und in die Kontaminationskontrollstrategie der Einrichtung aufgenommen werden.
Wenn Sie Hilfe bei der Anwendung der neuen Anforderungen des Annex 1 auf Ihr Protokoll zur Biokontamination benötigen, stehen wir gerne zur Verfügung. Sprechen Sie uns an.
Autor: Karen Rossington, Contec