28.10.2022 • PraxisberichteReinraumReinraumtechnikRRT0522

Für Neulinge im Reinraum ist die Cleanzone Gold wert

Lukas Holzinger, Geschäftsführender Gesellschafter der RSE+ Architekten, plant seit rund 20 Jahren Reinräume und ist schon viele Jahre lang treuer Besucher der Fachmesse Cleanzone. Seit diesem Jahr ist er sowohl neu im Vorstand des Deutschen Reinrauminstituts als auch in der Strategiekommission der Fachmesse.

Lukas Holzinger, RSE+ Architekten Ingenieure © RSE+ Architekten
Lukas Holzinger, RSE+ Architekten Ingenieure © RSE+ Architekten

Im Interview spricht er über seine eigenen Erfahrungen mit Reinräumen, über die Herausforderungen an die Branche und die Bedeutung der Cleanzone.

Herr Holzinger, Sie sind neu im Vorstand des Deutschen Reinraum-Instituts und planen seit Jahren Industriebauten für die Pharmaindustrie und Mikrotechnologie. Wie sind Sie zum Reinraum gekommen?

Lukas Holzinger: Das erste Mal kam ich 2002 als junger Architekt bei B. Braun in Melsungen mit Reinräumen in Kontakt. Ich war für ein Teilprojekt im Bereich Medizintechnik tätig, bei dem es um die Planung einer Produktionshalle für Infusionsbeutel ging. Ich fand das Thema damals so spannend, dass es mich nicht mehr losgelassen hat. Und dann hat natürlich geholfen, dass ich dort noch an Nachfolgeprojekten beteiligt war. In den folgenden zwanzig Jahren hatte ich immer wieder das Glück, an Reinraumprojekten arbeiten zu dürfen und zwar quer über alle Anwendungsbereiche von der Medizin- und Halbleitertechnik bis zur Solar- und Pharmaindustrie. Für mich war es so eine Mischung aus „man sucht die Dinge und sie finden einen“. Das Tolle ist, dass es in jedem Projekt etwas Neues gibt, sei es durch ein anderes Produkt oder neue Anforderungen. Auch aktuell haben wir eine Menge Reinraumprojekte auf dem Tisch: Rund ein Drittel unserer Belegschaft arbeitet daran. Wir sehen hier ein großes Wachstumspotenzial, vor allem bei den technischen Reinräumen“.

Die Reinraumrichtlinien GMP oder DIN ISO14644 geben den Rahmen für reine Produktionsgebäude. Was sind dabei die besonderen Herausforderungen für Architekten und Planer?

L. Holzinger: Für uns ist es im Grunde egal, ob wir einen GMP-Reinraum für die Life-Sciences oder einen ISO-Reinraum, also technischen Reinraum, planen. Wir blicken immer aus der Produktsicht auf den Reinraum und machen aus den Produktanforderungen unser Konzept. Klar gibt es bei GMP-Reinräumen eine viel höhere Anforderung an die Dokumentation, da die Qualifizierung auch die Planung umfasst. Das ist bei ISO-Reinräumen eher selten der Fall.

Bei einem Reinraumprojekt kann man nichts isoliert betrachten, weil alles eine Wechselwirkung hat. Es ist wichtig, alle die am Projekt beteiligt sind, an einen Tisch zu holen, da wir die Planung aus Produktsicht betrachten, also nach dem Motto: „Form follows function“. Alle müssen das Reinraumprojekt als Mannschaftssport begreifen – nur im Zusammenspiel aller Beteiligten kann das optimale Ergebnis erreicht werden.“

Building Information Modeling, die vernetzte digitalisierte Planung von Gebäuden steht hoch im Kurs. Welche Vorteile bietet BIM aus Ihrer Sicht bei der Planung von Produktionsstätten mit Reinräumen?

L. Holzinger: BIM ist in den letzten Jahren ein Modebegriff geworden wie Nachhaltigkeit. Alle reden davon, dennoch bin ich überzeugt, dass hier in Deutschland nur wenige BIM wirklich beherrschen. Wir haben uns eine Roadmap gegeben und sind wie viele andere auf dem Weg dorthin. Für uns ist BIM essentiell, nicht nur in Reinraumprojekten, sondern auch bei anderen Vorhaben. Wir arbeiten zu einem sehr frühen Zeitpunkt schon in 3D, die Koordination und Datenverwaltung machen wir sehr durchgängig im Modell. Das ist gerade bei Reinraumprojekten sehr wichtig: Die Planung einer Halbleiterfertigung beispielsweise ist sicher eines der kompliziertesten Projekte, weil so viele Medien mit verschiedenen Anforderungen in Wechselwirkung stehen. Ohne BIM, beziehungsweise eine Planung in 3D und die Koordination der Datenverwaltung, ist das nahezu nicht mehr zu stemmen, weil Komplexität und Zeitdruck zu groß sind. Zum Ausblick: Wir werden in diesem Jahr die ersten Closed BIM-Projekte starten, bei denen alle Beteiligten die gleiche Software verwenden, und noch einen Schritt weitergehen und voraussichtlich erstmals mit anderen Planungsbeteiligten in einem 3D-Modell arbeiten. Ich würde fast sagen: Wer das Thema BIM in fünf Jahren nicht beherrscht, wird auf dem Markt nicht mehr präsent sein.“

Ein weiteres Trendthema in der Branche ist der modulare Bau mit vorgefertigten Modulen. Vorteile sind einerseits eine schnellere Inbetriebnahme und andererseits die flexible Erweiterung der Produktionsfläche. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?

L. Holzinger: Ja, sehr spannend. Oft herrscht die Vorstellung, dass das halbe Haus in einer Halle vorgefertigt und auf der Baustelle nur zusammengesetzt werden muss, um so viel Geld und Zeit zu sparen. Das ist natürlich im Industriebau nicht realisierbar, wenn Sie nur an eine stützenfreie Halle in der Halbleiterfertigung mit mehreren tausend Quadratmetern und hohen Schwingungsanforderungen denken. Bei unseren Projekten geht es daher in erster Linie um die Themen Industrialisierung und Vorfertigung. Ich muss bei meinem Projekt untersuchen, welche Teile oder Baugruppen ich in einer Werkhallengenauigkeit vorfertigen kann. Ganz wichtig ist es, hier eine Gleichteilestrategie zu entwickeln, das heißt, dass ich die Teile auch bei anderen Projekten einsetzen kann. Gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels auf den Baustellen ist die Vorfertigung ein ganz wichtiger Aspekt, um die Werkhallenqualität auf die Baustelle zu transferieren.“

Reine Produktionsumgebungen müssen partikel- und keimfrei sein. Oft verbindet sich damit eine sterile Atmosphäre. Wie lässt sich im Reinraum ein für Mitarbeiter angenehmes Ambiente schaffen?

L. Holzinger: Ja, das ist ganz wichtig. Wir bauen die Halle ja nicht für uns. In unseren Projekten sind wir auf der Suche nach den Bereichen, wo wir im Sinne der Nutzer gestalterisch eingreifen können. Uns geht es vor allem darum, dass der Mitarbeiter, der während seiner Arbeitszeit in einem Reinraumanzug steckt, in seinen Pausen oder auch im Umkleidebereich eine ansprechende Umgebung vorfindet. Hier spielen wir mit Farben und Materialien im Kontrast zu der Umgebung, in der er arbeitet. Die kreative Freiheit im Reinraum selbst ist auf Grund der Bestimmungen beschränkt. Hier können wir vor allem mit der Bodengestaltung experimentieren oder Orientierungssysteme mit grafischen Elementen einbauen. Und dann geht es uns Architekten natürlich um die Fassade und die Erscheinung. Hier möchten wir ein positives Ambiente schaffen, so dass die Menschen gerne dort arbeiten.“

Sie kennen die Cleanzone seit vielen Jahren und sind jetzt neu in der Strategiekommis­sion. Welche Bedeutung hat die Cleanzone für die Branche und welches Potenzial hat die Fachmesse für die Zukunft?

L. Holzinger: Ich denke, die Cleanzone wird immer wichtiger, weil die Anwendungen für Reinräume immer vielfältiger werden. Vor allem im Bereich der technischen Reinräume haben wir oft mit Kunden zu tun, die plötzlich von ihrem Auftraggeber Anforderungen gestellt bekommen, die sich nur mit Reinraumtechnik erfüllen lassen, selbst aber noch nie mit dem Thema konfrontiert waren. Hier müssen wir die Kunden abholen und sie in die Begrifflichkeit des Reinraums einführen. Wir stoßen beispielsweise immer wieder auf Widerstand, wenn es darum geht, den Mitarbeitern klar zu machen, dass sie sich in einem Reinraum anders verhalten müssen. Plötzlich ist die Kaffeemaschine in nächster Nähe zum Arbeitsplatz nicht mehr möglich, weil eine Kaffeemaschine nicht den Anforderungen entspricht. Für Neulinge im Reinraum ist die Cleanzone Gold wert, um in das Thema einzusteigen und sich mit dem Vokabular und der Welt des Reinraums vertraut zu machen. Auch die offene und internationale Ausrichtung der Fachmesse habe ich sehr positiv erlebt.“

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