Standardisierung als Wegweiser für die Wasserstoffwirtschaft
Der Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft ist für die Einhaltung der nationalen Klimaziele essenziell. Damit Abstimmungsprobleme zwischen den Erzeugern und den Abnehmern den Hochlauf nicht verlangsamen, sollen mit der Normungsroadmap flächendeckende Standards über die gesamte Wertschöpfungskette ermöglicht werden.
Um unsere Klimaziele zu erreichen und eine nachhaltige Entwicklung zu fördern, ist die Integration grüner Energiequellen in verschiedenen Sektoren, darunter Industrie, Verkehr und Wärme, unerlässlich. Es gibt jedoch Anwendungsbereiche, die Herausforderungen in Bezug auf die direkte Elektrifizierung mit sich bringen. Die Nutzung erneuerbarer Energien in diesen Bereichen erfordert daher die Entwicklung innovativer Lösungen. Grüne Wasserstofftechnologien sind in diesem Zusammenhang ein zentraler Baustein für die Zukunftsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland. In Anerkennung dieser Bedeutung hat die Bundesregierung im Juni 2020 die Nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet. Diese wurde momentan „noch ambitionierter und verbindlicher“ fortgeschrieben (Nationale Wasserstoffstrategie – BMWK).
Grüner Wasserstoff bietet Lösung für Defossilisierung
Grüne Wasserstofftechnologien sind von zentraler Bedeutung für eine nachhaltige Zukunft Deutschlands. Durch die Umwandlung und Speicherung von überschüssiger erneuerbarer Energie bietet grüner Wasserstoff eine vielseitige und skalierbare Lösung für die Defossilisierung. Dieser Übergang zu grünem Wasserstoff erleichtert nicht nur die Verringerung der Kohlenstoffdioxidemissionen, sondern trägt auch zur Diversifizierung des Energiemixes bei und minimiert die Abhängigkeit von nicht erneuerbaren Ressourcen (Diversifizierung im Energiesektor: Herausforderung und Chance | AWE Blog; wirtschaft-entwicklung.de).
Nationale Wasserstoffstrategie: Deutschland als Vorreiter positionieren
Das Hauptziel der Nationalen Wasserstoffstrategie ist es, Deutschland als weltweiten Vorreiter für grüne Wasserstofftechnologien zu positionieren (Nationale Wasserstoffstrategie – BMWK). Durch die Förderung von Innovationen, die Unterstützung von Forschung und Entwicklung und die Schaffung eines günstigen regulatorischen Umfelds soll der technologische Fortschritt und das wirtschaftliche Wachstum im Wasserstoffsektor vorangetrieben werden. Zusätzlich wird in der nationalen Wasserstoffstrategie die hohe Bedeutung von Standardisierung für den Wasserstoffhochlauf verdeutlicht.
Die Standardisierung in der Industrie bringt zahlreiche Vorteile mit sich. Sie verbessert die Qualität, fördert die Interoperabilität und erleichtert den globalen Handel. Durch die Rationalisierung von Prozessen, die Senkung von Kosten und das Ermöglichen von Innovationen fördert die Standardisierung Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit.
„Normung und Standardisierung ist für diejenigen, die sich daran beteiligen, ein strategischer Vorteil!“, Dieter Westerkamp, Bereichsleiter Technik und Gesellschaft beim VDI. Darüber hinaus gewährleistet sie Sicherheit, Risikominderung und die Einhaltung von Vorschriften. Die Normung ermöglicht es der Industrie, konsistente Qualität, Kompatibilität und Marktzugang zu erreichen und so Wachstum und Erfolg in einer vernetzten Welt zu fördern. In Bezug auf Wasserstoff ist eine flächendeckende Standardisierung essenziell für ein konzertiertes Vorgehen der betroffenen Unternehmen und einen reibungslosen Hochlauf. So kann gewährleistet werden, dass Erzeugungskapazitäten gleichzeitig mit den Anwendungen ausgebaut werden können.
Um diese Mammutaufgabe zu bewältigen, wurde die Normungsroadmap Wasserstofftechnologien gestartet. In dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten Projekt haben sich das Deutsche Institut für Normung (DIN), die Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (DKE), der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW), der Verein für die Normung und Weiterentwicklung des Bahnwesens (NWB), der Verband der Automobilindustrie (VDA), der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) sowie der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) zusammengeschlossen um die Normenlandschaft der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette abzubilden und Lücken zu identifizieren. Zeitgleich werden die aufgezeigten Normungslücken bei den Regelsetzern abgestimmt umgesetzt und erstmals auch gefördert.
Komplexe Normenlandschaft
Die entstandene Normenlandschaft ist komplex. Mit über 950 Einträgen, wurden Normen und Standards auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene zunächst gesammelt und ein Status Quo erstellt. Damit die Ergebnisse möglichst effizient zugänglich sind, wird die Sammlung in einem Verzeichnis der Normen und technischen Regelwerke für Wasserstofftechnologien veröffentlicht. Dieses Tool ermöglicht es dann, gezielt Normen und Standards zu suchen, um die Anwendung zu vereinfachen. Die bloße Anzahl an Standards in dem Gebiet zeigt, dass das Thema Wasserstoff nicht neu ist. Vor allem in der chemischen Industrie ist Wasserstoff ein wichtiger Ausgangsstoff für eine Vielzahl von chemischen Reaktionen. Allerdings ist die flächendeckende Nutzung und besonders in dem geplanten Maßstab neu, was neue Schnittstellen und Herausforderungen mit sich bringt.
Um diese Probleme einheitlich und strukturiert anzugehen werden allgemein anerkannte Regeln der Technik benötig. Auf Basis des erstellten Bestandes werden aktuell die Normungsbedarfe zusammen mit über 800 Experten ermittelt. Im Bereich der Elektrolyse z.B. ist bereits ein solides Regelwerk vorhanden, aber zum Teil müssen Standards für den geplanten Hochlauf ergänzt oder aktualisiert werden. Ähnlich ist es im Bereich der Anwendung, wie für Power-to-X (PtX)-Anlagen. Nach bestehenden Normen wurden bereits PtX-Anlagen errichtet, allerdings müssen dafür verschiedenste Standards recherchiert und kombiniert werden. Um zukünftigen Betreibern von PtX-Anlagen die Planung zu vereinfachen und leichter zu entscheiden welches X, also welches Produkt aus dem eingesetzten Strom gewonnen wird, wird die Richtlinienreihe VDI 4635 erarbeitet. In der Anfang 2024 erscheinenden Richtlinie „VDI 4635 Blatt 3.3 Power-to-X; Methanisierung; Systemparameter und Messgrößen“ wird Hilfestellungen und Handlungsempfehlungen zum Betrieb von Methanisierungsanlagen gegeben, in denen elektrische Energie mit Wasser und CO2 in Methan überführt wird. Auf diese Weise ist es möglich, überschüssigen Strom, z.B. aus Fotovoltaikanlagen, als Gas zu speichern.
Standards zu setzen, bringt strategische Vorteile
Zusammen mit den neuen Standards, die die identifizierten Lücken füllen, wird verhindert, dass der geplante Wasserstoffhochlauf verlangsamt wird oder gar ins Stocken kommt. Denn durch den strategischen Vorteil, der sich durch Standards ergibt, können alle beteiligten Stakeholder gemeinsam in die gleiche Richtung arbeiten und so schneller ans Ziel gelangen. Außerdem ermöglicht die Förderung aus der Normungsroadmap, dass die Normungs- und Standardisierungsprojekte schneller realisiert werden können.
Autor: Kevin Hares, Wissenschaftlicher Mitarbeiter VDI-GEU, TG-B, VDI