Qualität und Nachhaltigkeit aus der Lieferkette

Die Ernährungsindustrie muss Produkte und Prozesse in immer kürzeren Zyklen nachhaltig optimieren, dabei hilft das kryptografische Verfahren der Blockchain Technologie.

Abb.: 84 % der Lebensmittelhersteller sehen in der Digitalisierung mehr...
Abb.: 84 % der Lebensmittelhersteller sehen in der Digitalisierung mehr Chancen als Risiken (BVE-Bitkom-Studie 2019).

Die Lebensmittelproduktion befindet sich in einem historischen Transformationsprozess. Für zahlreiche Herausforderungen gilt es, Lösungen zu finden. So steigen der internationale Wettbewerbsdruck und die Verbraucheranforderungen an Lebensmittel. Die Ernährungsindustrie muss Produkte und Prozesse in immer kürzeren Zyklen nachhaltig optimieren und Kosten senken. Digitale Lösungen für die Ernährungsindustrie setzen bei genau diesen Bedürfnissen von Verbrauchern und Unternehmen an. Gerade die digital lückenlose Rückverfolgung der Produkte vom Teller bis zum Acker wird in den nächsten Jahren die Lebensmittelindustrie radikal verändern.

Dies ist nicht zuletzt auch getrieben durch die gesetzlichen Anforderungen. Die Digitalisierung im Betrieb und in der Lieferkette umzusetzen, ist eine der großen Herausforderungen, vor denen Lebensmittelproduzenten heute stehen. Sie ist aber auch eine große Chance für mehr Qualität und Nachhaltigkeit. 84 % der Lebensmittelhersteller sehen in der Digitalisierung mehr Chancen als Risiko (BVE-Bitkom-Studie 2019). Gerade das ökonomisch, ökologisch und sozial verantwortungsvolle Management der Lebensmittelproduktion verlangt die Verarbeitung einer immensen Menge an Informationen über mehrere Stufen der Lieferkette hinweg.  

Zeit- und Kostenersparnis 

Blockchain-Technologie kann in komplexen Lieferketten Zeit und Kosten sparen. Eine Blockchain verkettet Datensätze (Blöcke) durch ein kryptografisches Verfahren. Jeder Block enthält Transaktionsdaten und eine Zeitangabe und alle Benutzer sind im Besitz der gesamten Blockchain. Der Vorteil der Blockchain ist die dezentrale Organisation aller Transaktionen und die hochgradige Fälschungssicherheit. Der Einsatz einer Blockchain in der Lebensmittelindustrie, in der die Beteiligten die Transaktionen der Lieferkette gemeinsam dokumentieren, kann in Kombination mit anderen digitalen Technologien zu deutlichen Kosten­ und Zeiteinsparungen in den administrativen  Abwicklungsprozessen führen. 

Die Supply Chain wird damit transparent und effizient organisiert. Prozesse laufen voll automatisiert ab, Lager­ und Transportgegebenheiten, aber auch Nachhaltigkeitsinformationen werden vollständig und unwiderruflich protokolliert. Insbesondere Lebensmittellieferketten, zu denen importierte Agrarrohstoffe gehören, können hochgradig komplex sein; meist dann, wenn Entwicklungs- und Schwellenländer als Lieferanten beteiligt sind. Hier bietet die vertrauenswürdige Weitergabe von Daten durch Blockchain die größten Chancen. Bei hunderten Rohstoffen (z. B. Gewürze, Nüsse, Früchte, etc.) reicht die Lieferkette oft vom deutschen Großhändler, über den deutschen Importeur, den ausländischen Exporteur, die erste Verarbeitungsstufe und mehrere Zwischenhändler im Ursprungsland bis zu hunderttausenden von kleinstbäuerlichen Erzeugern, die ihre verschiedenen Ernteprodukte vor Ort der ersten Handelsstufe anbieten. Nicht immer findet eine direkte Zusammenarbeit mit den Erzeugern der zu beziehenden Rohwaren statt. Dann ist die Durchsetzung und Überprüfung von Qualitäts- und Nachhaltigkeitsstandards durch Kodizes, Zertifizierungen und Audits besonders herausfordernd.

Gesetzliche Anforderungen 

Neue gesetzliche Anforderungen in Deutschland und Europa könnten der Anwendung von Blockchain noch einmal deutlich Auftrieb verleihen. Im Juni 2021 hat der Deutsche Bundestag das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz beschlossen. Eine ähnliche europäische Regelung befindet sich derzeit im Gesetzgebungsprozess. Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz tritt bereits am 1. Januar 2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden und ab 1. Januar 2024 für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden in Kraft. Betroffene Unternehmen sind aufgefordert, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten umzusetzen. Dazu gehört u. a. die Einrichtung eines Risikomanagements und die Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen sowohl im eigenen Geschäftsbereich als auch in der gesamten Lieferkette einschließlich der Dokumentation und Berichterstattung. 

Wenngleich noch nicht alle rechtlichen Fragen zur Umsetzung geklärt sind, so ist doch offensichtlich, dass der Bedarf an Lösungen zur vertrauenswürdigen Erzeugung und Weitergabe von Daten entlang langer Lieferketten in der Lebensmittelproduktion rasch steigen wird. Denn letztendlich wird von den Unternehmen die vollständige Transparenz über ihre gesamten Lieferketten vom Gesetzgeber verlangt. Um hier nicht im Wettbewerb mit weniger streng regulierten Herstellern am Weltmarkt zurückzufallen, wird der Einsatz kosteneffizienter digitaler Lösungen unerlässlich sein. Nur so können Lieferketten aufrechterhalten werden.


Investitions- und Kostendruck

Bietet sich Blockchain vom Prinzip hier als beste Lösung an, so hat sie sich von allen digitalen Lösungen in der Lebensmittelproduktion jedoch noch am meisten zu bewähren. Bis dato setzen nicht einmal 10 % der Unternehmen Blockchain ein oder planen dies (BVE Bitkom Studie 2019). Gleichwohl sind zwei Drittel der Unternehmen überzeugt, dass bis 2030 alle Lebensmittel über Blockchain und Big Data bis zum Warenursprung zurück verfolgbar sein werden sowie der Abruf einzelner Lieferketteninformationen möglich sein wird. 

Sogar 94 % glauben, dass der Verbraucher bis 2030 alle Produkte wird zurückverfolgen können. Damit diese Prognose eintrifft, sind vermehrte Investitionen, eine verbesserte Praxisreife, aber sicherlich auch eine verstärkte Digitalkompetenz aller Mitarbeiter entlang der Lieferkette notwendig. Hinsichtlich der materiellen Investitionen stellt jedoch die durch die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg anhaltende Wirtschaftskrise die Unternehmen vor eine große Herausforderung. Die Ertragslage in der Ernährungsindustrie ist wettbewerbsbedingt bereits sehr angespannt. Der in den letzten Jahren nun enorm gestiegene Kostendruck hat die Investitionsspielräume nochmals geschmälert. 

Pilotprojekte und Herausforderungen

Hinsichtlich der verbesserten Praxisreife von Blockchain könnten die zunehmenden Anwendungsbeispiele und Erprobungen in der Praxis einen wichtigen Beitrag leisten. So will z. B. IBM mit seiner „Food Trust Solution“ die Blockchain-Technologie dafür nutzen, die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln zu verbessern. Walmart, Nestlé und Unilever machen bereits mit. Rund 20 Unternehmen aus der Ernährungsindustrie testen derzeit den Nutzen einer Blockchain im Palettentauschprozess (Digitale Allianz). Das Projektziel: eine papierlose, schnelle und einfache Abwicklung des Palettentauschs an der Rampe. Für mehr Effizienz und Kostenersparnis soll eine künftige Blockchain-Lösung darüber hinaus eine konsistente, gesicherte Saldenerfassung und ­führung sowie den anschließenden Saldenausgleich der Palettenkonten unterstützen. Schließlich benötigt die Verbesserung der Digitalkompetenz der Mitarbeiter Anstrengungen in der Fachkräfteanwerbung und –weiterbildung. Nach wie vor sind beispielsweise IT-Experten die meistgesuchten Fachkräfte in der Branche. Gerade dann, wenn die Blockchain-Technologie auch in Lieferketten jenseits von Deutschland und der EU angewendet werden soll, wird ihr Erfolg aber auch von der Implementierbarkeit bei den Partnern in der Lieferkette abhängen. Denn schließlich müssen dann auch die verantwortlichen Akteure in der Lieferkette mit der Anwendung vertraut sein und die entsprechende digitale Infrastruktur besitzen. 

Autorin: Stefanie Sabet, Geschäftsfüherin und Leiterin des Büro Brüssel der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie

Abb. 2: Bis dato setzen nicht einmal 10% der Unternehmen Blockchain ein oder...
Abb. 2: Bis dato setzen nicht einmal 10% der Unternehmen Blockchain ein oder planen dies (BVE Bitkom Studie 2019).
Stefanie Sabet, Geschäftsfüherin der Bundesvereinigung der Deutschen...
Stefanie Sabet, Geschäftsfüherin der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e.V. | © Fotograf Christoph Assmann, Berlin

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