Der VEA – Bundesverband der Energieabnehmer unterstützt die 360° Energieoptimierung bei der Privatbrauerei Wittingen

Steigende Stromkosten, energierechtliche Vorgaben wie auch der Anspruch an eine kosteneffiziente und zugleich umweltfreundliche Produktion führen in der Privatbrauerei Wittingen zu progressiven Optimierungsideen.

Steigende Stromkosten, energierechtliche Vorgaben wie auch der Anspruch an eine kosteneffiziente und zugleich umweltfreundliche Produktion führen in der Privatbrauerei Wittingen zu progressiven Optimierungsideen. Dabei setzt man in Wittingen auf eine Mischung aus energieeffizienter Produktion, strategischem Energieeinkauf sowie Erfüllung energierechtlicher Vorgaben – aber auch auf den Erfahrungsaustausch über die eigene Branche hinaus. 

Bereits seit 1429 wird im niedersächsischen Wittingen Bier gebraut. Der hohe Qualitätsanspruch ist seitdem unverändert, die unternehmerischen Herausforderungen haben sich jedoch gewandelt: Aus dem Handwerksbetrieb mit eigener Schankstube in der Innenstadt hat sich eine Produktionsstätte entwickelt, die jedes Jahr – streng nach den Vorgaben des Reinheitsgebots von 1516 – 350.000 Hektoliter Bier herstellt. Doch bis zum fertigen Bier müssen Wasser, Malz, Hopfen und Hefe einen mehrstufigen, energieintensiven Prozess durchlaufen. 
Angesichts steigender Stromkosten entwickelt sich die Energieeffizienz in der Produktion für viele Brauereien zu einem entscheidenden Wirtschaftlichkeitsfaktor. Neben einer professionellen Energieberatung durch den VEA – Bundesverband der Energie-Abnehmer e. V. sowie der dazugehörigen VEA Beratungs-GmbH verfolgt die Privatbrauerei einen 360-Grad-Ansatz: „Das Denken in Kreisläufen ist die zentrale Herausforderung für das Energieteam aus unserem Elektriker Clemens Wöbse und mir. Für uns ist es entscheidend, wiederkehrende Abfolgen in der Produktion zu erkennen und Energieflüsse optimiert einzusetzen“, verdeutlicht Alexander Holm seine Rolle. Holm ist in der Privatbrauerei Wittingen für das Energie- und Qualitätsmanagement sowie für die Arbeitssicherheit entlang des gesamten Brauprozesses verantwortlich.

Energieintensive Prozesse mit Gas, Wasser und Strom
Die Bierherstellung beginnt im Sudhaus. „Hier wird während des sogenannten Maischens das geschrotete Malz mit heißem Wasser vermischt und unter Rühren über Stunden hinweg langsam auf bis zu 75 °C erhitzt“, erklärt Holm. Nachdem sich die Malzstärke vollständig zu Zucker gewandelt hat, wird die Maische in den Läuterbottich umgepumpt, um die entstandene zuckerhaltige Würze von den festen, ungelösten Bestandteilen zu trennen. Das gewonnene Gemisch wird anschließend in der etwa 250 Hektoliter fassenden Würzepfanne unter Zugabe von Hopfen erneut eine Stunde gekocht. „Allein innerhalb dieser zwei Schritte werden mehrere 1.000 Liter Flüssigkeit über Stunden hinweg erhitzt“, fasst Holm zusammen. Entsprechend hoch ist in der Wittinger Brauerei der Bedarf an Gas und Wasser. 
Nach dem Kochen werden die ungelösten, festen Hopfenbestandteile im sogenannten Whirlpool abgetrennt. Im gleichen Schritt wird die Würze auf die im Fachjargon als Anstelltemperatur bezeichnete Temperatur heruntergekühlt und muss auf dieser gehalten werden – auch im Hochsommer bei 30 °C Außentemperatur. Erst dann kann die temperaturempfindliche Hefe beigemischt werden. Je nach Bier bedeutet der Kühlprozess eine Temperatursenkung von bis zu 90 °C innerhalb kürzester Zeit. Für diese Abkühlung werden entsprechend hohe Strommengen benötigt. Bei der Privatbrauerei sind dies jährlich etwa 2 Mio. kWh.

Energieeffizienter Austausch von Wärme und Kälte
Um diesen energieintensiven Temperaturwechsel im Sudhaus so effizient wie möglich zu gestalten, wird in Wittingen das Verfahren von Wärmetauschern angewendet. Mittels Gegenstrom werden die Temperaturen zwischen dem Erhitzungs- und Abkühlungsprozess getauscht: Die entstehende Abwärme beim Abkühlen der Würze wird für die nächste Bierwürze in der Produktion genutzt. Mit Hilfe dieser „Energieschaukeln“ wird also thermische Energie im Produktionskreislauf gespart und die Energiekosten reduziert.
Um den Koch- und Abkühlungsprozess noch weiter zu optimieren, plant die niedersächsische Privatbrauerei eine neue Wärme- und Kälteanlage. Entscheidend bei der Frage einer Anlagen­erneuerung ist neben dem reinen monetären Investitionsumfang besonders der Beitrag zur Energieeffizienz selbst. Innerhalb der Wärmeversorgung rechnet Holm bereits nach sechs Jahren mit einer Amortisierung und das bei einer Investitionssumme von 300.000 €. Kleinere Maßnahmen wie der Austausch von Beleuchtungsmitteln oder energieeffizienterer Druckluftkompressoren ergänzen die Optimierungsbemühungen.

Strategischer Energieeinkauf und Energiemanagement
Nicht nur die Verbesserung der Energieeffizienz ist für die Privatbrauerei aus betriebswirtschaftlicher Sicht essentiell. Zunehmende Preisschwankungen führten in Wittingen zu einem immer stärker strategisch ausgerichteten Energieeinkauf in Verbindung mit einer Produktionssteuerung. Im Konkreten heißt das, dass die Brauerei gemäß Beratung eines VEA-Mitarbeiters einzelne, besonders energieintensive Prozesse in preisgünstigere Stromzeiten verlegt hat. Hiermit wird auch vom Prinzip der atypischen Netznutzung profitiert, bei deren Anerkennung zusätzliche Kosteneinsparungen aufgrund individueller Netzentgelte erzielt werden können. Für die Privatbrauerei ergeben sich dadurch derzeit 10 % Kosteneinsparung im Jahr. Hinzu kommen jährliche Steuerrückerstattungen in Höhe von 5-7 %, die auf die durch den VEA begleitete Implementierung eines Energiemanagements nebst Energie-Audit zurückgehen.

Erfahrungsaustausch über Branchen hinweg
Dass Know-how zu energierechtlichen Pflichten nicht nur elementar für die Rechtssicherheit ist, sondern sich für Unternehmen auch finanziell lohnt, wurde Holm auch noch einmal bei einem Treffen des REGINEE Göttingen – einem Regionalen Netzwerk für Energieeffizienz – deutlich vor Augen geführt: „Ein anderer Teilnehmer hat berichtet, dass er sein gesamtes Jahresbudget für Neuinvestitionen allein durch das Einhalten von Meldepflichten und das Stellen von Ansprüchen gegenüber den jeweils zuständigen Behörden generieren konnte“, zeigt sich Holm begeistert. Ein Erlebnis, das Holm darin bestärkt, dass die REGINEE-Teilnahme für ihn der richtige Weg ist: „Zwar sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen vorgegeben, oftmals fehlt aber eine Anleitung zur konkreten Umsetzung. Durch den Austausch im REGINEE Göttingen erfahre ich nicht nur, wie ich den Rahmenbedingungen entsprechen kann, sondern auch wie ich dabei das Beste für uns als Brauerei rausholen kann.“
Neben der Vermittlung von Wissen und dem Erfahrungsaustausch zu energiepolitischen Rahmenbedingungen steht vor allem, wie der Name des Netzwerks verdeutlicht, die Verbesserung der Energieeffizienz im Fokus. Dafür arbeiten teilweise völlig branchenfremde Unternehmen auf Initiative des VEA für vier Jahre gemeinsam daran, den eigenen Stromverbrauch wie auch die CO2-Emissionen zu reduzieren. Im Falle des REGINEE Göttingen sind seit der Gründung im April 2017 neben der Privatbrauerei bspw. ein Erzeuger für Schwerspat-Produkte, eine Eisengießerei oder auch ein Biotech-Unternehmen Teil des Netzwerkes. 
Nach einem Jahr REGINEE-Mitgliedschaft sieht Holm bereits konkrete Erfolge: „Nicht zuletzt dank der Initialberatung durch einen VEA-Mitarbeiter haben wir 10 % Kosteneinsparung beim Energieeinkauf und noch einmal fast 7 % Steuerrückerstattungen erzielt“, fasst Holm zusammen. Auch die geplante Erneuerung der Wärmeversorgung, der Austausch der Beleuchtungsmittel sowie der Wechsel der Drucklufterzeugung geht auf die Beratung im Netzwerk zurück und lässt Holm spürbare Kosteneinsparungen erwarten. Einsparungen, die bereits morgen zu Investitionen in die Energiezukunft des Betriebes werden können.
 

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