12.06.2020 • PraxisberichteReinraumCleanroomsclean room

Hände- und Flächendesinfektion auf dem Prüfstand

Der Einfluss einer effizienten Händedesinfektion auf die Senkung der Rate nosokomialer Infek­tionen ist durch zahlreiche Studien gesichert und bereits seit 1995 Teil der KRINKO-Empfehlungen zur Prävention und Bekämpfung von Krankenhausinfektionen.


Aktion Saubere Hände – neue Empfehlung zur Einwirkzeit
Seit 2008 bemüht sich die „Aktion Saubere Hände“ (ASH) in Deutschland intensiv um die Optimierung der Händehygiene im Gesundheitswesen. Und trotzdem gibt es Innovationen. Die Materialien für den Aktionstag 2019 der ASH empfehlen erstmals nur noch eine Einwirkzeit von 15 Sekunden statt bisher 30 Sekunden für die hygienische Händedesinfektion, angeblich ohne deren Wirksamkeit zu beeinflussen. Dabei wird von der Aktion Saubere Hände weiterhin ein Volumen von 3 ml Händedesinfektionsmittel zur Benetzung der Hände empfohlen. Studien zeigen, dass allein der Hinweis auf die verkürzte
Einwirkzeit von 15 Sekunden für die hygienische Händedesinfektion die Häufigkeit der Händedesinfektion in der klinischen Praxis von 5,8 auf 7,9 Anwendungen pro Stunde erhöht.

Verkürzte Einwirkzeit – häufigere Händedesinfektion?
Das ist das Ziel der Empfehlung zur verkürzten Einwirkzeit. Praktisch ist diese Verkürzung der Einwirkzeit aber nicht möglich, da selbst Händedesinfektionsmittel mit einem Ethanolgehalt von > 80 Vol % erst nach 30 Sekunden trocknen. Es wird also lediglich die Einreibezeit des Händedesinfektionsmittels auf 15 Sekunden verkürzt, die Einwirkzeit aber beibehalten. Aber nur, wenn man sich die Hände nicht vorher abtrocknet oder wäscht, und davon ist keine Rede. Und trotzdem führt dieses Postulat zu häufiger Händedesinfektion.
Wie immer wird das Abweichen von der langjährigen Praxis intensiv und kontrovers diskutiert.

  1. Mitarbeiter mit alkoholnassen Händen könnten Tätigkeiten durchführen, bei denen sich Reste des Alkohols auf den Händen entzünden. Aus Deutschland wurden bis 2007 über lediglich drei Feuerzwischenfälle mit alkoholischen Händedesinfektionsmitteln (bei grob fahrlässigem Verhalten) durch Mitarbeiter berichtet.
  2. Zur Frage, ob in 15 Sekunden beide Hände vollständig benetzt werden können, liegen ebenfalls unterschiedliche Ergebnisse vor. Kann man in dieser kurzen Zeit die sechs Schritte der Händedesinfektion weiterhin exakt durchführen, sodass alle Hautflächen benetzt werden, oder müssen drei Schritte genügen?
  3. Durch diese Empfehlung wird von den Angaben der VAH-Liste und den Anwendungsempfehlungen gemäß EN 1500 der Hersteller der Händedesinfek­tionsmittel abgewichen. Sollte man Händedesinfektionsmittel bei einer Einwirkzeit von 30 Sekunden testen und dann abweichend benutzen?

Antworten finden sich auf den Webseiten der „Aktion Saubere Hände“ (www.aktion-­sauberehaende.de), des Verbundes für Angewandte Hygiene (vah-online.de) sowie der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (www.­krankenhaushygiene.de).


Verkürzte Einwirkzeit auch bei Flächendesinfektion
Eine Reduktion der deklarierten Einwirkzeit ist auch bei der Flächendesinfektion inzwischen gelebte Praxis. In den Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) zur Prävention postoperativer Wundinfektionen (2018) wird bspw. festgestellt, dass, „wenn nach vorausgegangener Operation die Flächen-Zwischendesinfektion abgeschlossen ist, mit der Vorbereitung der folgenden Operation zu beginnen“ ist.
In den Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention zur Prävention und Kontrolle von MRSA (2014) wird empfohlen: „Alle im Rahmen einer medizinischen Maßnahme potentiell mit MRSA kontaminierten Hautkontaktflächen (bspw. Liegen) werden wischdesinfiziert. Die Wiederbenutzung ist möglich, wenn die Oberfläche spontan getrocknet ist.“ Dies wird damit begründet, dass remanente Flächendesinfektionsmittel auch noch bei der Benutzung durch den nächsten Patienten weiterwirken. In der medizinischen Praxis wurden diese Empfehlungen dankend angenommen, da sie die Wechselzeiten zwischen den Patienten oder Operationen minimieren.

Welchen Wert haben Angaben von Fachgruppen für die Praxis?
Ist die Suche in den Desinfektionsmittellisten nach einem anwendungsfreundlichen Flächendesinfektionsmittel mit kurzer Einwirkzeit heute völlig überflüssig geworden? Wozu werden überhaupt noch Konzentrationen und passende Einwirkzeiten für Flächendesinfektionsmittel geprüft und deklariert?
Die meisten praktisch tätigen Ärzte bzw. Krankenpfleger könnten sich ohnehin nicht erklären, warum beispielsweise ein bestimmtes Flächendesinfektionsmittel nach RKI-Liste 5%ig, nach VAH-Liste 1%ig, nach EN 1500 1,5%ig und nach IHO-Liste 2,5%ig einzusetzen ist. Glücklicherweise steht im Desinfektions- und Reinigungsplan des Krankenhauses meist nur eine Konzen­tration (und Einwirkzeit!). Könnte man nicht mit der minimalen bakteriziden Konzentration eines Desinfektionsmittels desinfizieren, wenn dessen Einwirkzeit ja ohnehin nicht zu berücksichtigen ist? Die Kosten würden sinken und die Umwelt würde von eingesparten Bioziden profitieren. Antworten auf diese Fragen werden von der neuen KRINKO-Empfehlung Flächendesinfektion (in Arbeit) erwartet.

Gefahr der Toleranz auf Desinfektionswirkstoffe
Bei der oben angesprochenen Idee zur Reduktion der Konzentration der Flächendesinfektionsmittel ist allerdings Vorsicht geboten. Nicht nur bei Antibiotika, sondern auch bei Desinfektionswirkstoffen treten bakterielle Resistenzen – hier wird häufig der Begriff „Toleranz“ verwendet – auf. Insbesondere bei Flächendesinfektionsmitteln, die auf bestimmten quartären Ammoniumverbindungen (QAV) basieren, übersteigen die minimalen bakteriziden Konzentrationen definierter Bakterienstämme inzwischen die unteren Anwendungskonzentratio­nen. Die Resistenzen gegen QAV basieren meist auf einer Down-Regulation von Porinen bzw. einer Überexpression von Effluxpumpen und führen damit potentiell zu einer Koinduktion von Antibiotikaresistenzen.

Höhere Evidenz für nicht-manuelle ­Verfahren nötig
Berührungslose Verfahren zur Flächendesinfektion (UV- bzw. HINS Strahlung oder Verneblung von H2O2) erleben gegenwärtig scheinbar eine Renaissance. Insgesamt ist die derzeit vorliegende Evidenz für den routinenmäßigen Einsatz nicht-manueller Verfahren zur Senkung der Rate an nosokomialen Infektionen jedoch noch nicht ausreichend. Und einen Ersatz für die notwendige Reinigung der Flächen stellen sie auch nicht dar.
Die Diskussion neuer und vom traditionellen Vorgehen abweichender Empfehlungen zur Hände- und Flächendesinfektion ist zu begrüßen. Nicht alles wird sich durchsetzen. Aber nur diese Problemdiskussionen und das ständige gemeinsame Ringen um Ideen sind die Basis des wissenschaftlichen Fortschritts.

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