Ganzheitliche Reinraumschulung
Dieser Beitrag befasst sich mit der Fragestellung, welche Inhalte eine ganzheitliche Reinraumschulung beinhalten sollte, um sauberkeitssensible Produkte zuverlässig herstellen zu können.
In vielen Reinraumanwendungen bestehen neben der Luftreinheit weitere Einflussgrößen, mit welchen Reinraumverantwortliche und Mitarbeitende in Reinräumen aber auch Planer und Betreiber von Reinräumen vertraut sein sollten. Hierzu bietet das Fraunhofer IPA eine zweitägige Schulungsmaßnahme an, welche die Reinraumtechnik in Theorie und Praxis umfassend darstellt und alle relevanten Bausteine einer Produktion unter reinen Bedingungen behandelt.
Ob in der Halbleiterindustrie, der Medizintechnik, der Mikroelektronik, der Optik, Mikromechanik, Luft- und Raumfahrt oder in Automobilindustrie: Die Beherrschung von Verunreinigungen wie Partikeln oder filmisch/chemischen Rückständen spielt branchenübergreifend eine wichtige Rolle bei der Herstellung von kontaminationssensiblen Produkten.
Dabei ist nicht nur die Reinheit der Luft entscheidend, vielmehr stellt der Reinraum an sich nur einen Baustein unter vielen dar: Das angepasste Zusammenspiel von Reinraum, Personal, Materialfluss, Prozess-, Reinigungs- und Anlagentechnik ist die Voraussetzung für die Produktion hochwertiger, verunreinigungssensibler Produkte. Die Basis dafür bildet das Verständnis für die Art und Menge der jeweils kritischen Verunreinigungen. Darauf aufbauend können die notwendigen und zielführenden technischen und operativen Maßnahmen zur Erzeugung und Erhaltung der Produktreinheit gewählt werden.
Als Einstieg in dieses komplexe Themenfeld oder als Vertiefung bietet sich eine Schulung an, um das notwendige Verständnis für die Zusammenhänge der Produktion unter reinen Bedingungen zu verstehen und Umzusetzen. Aber auch im Vorfeld von Investitionsentscheidungen bietet dieses Grundlagenverständnis die Basis für fundierte Entscheidungen.
Hierbei sollten die Teilnehmenden einen umfassenden Einblick über die verfügbaren Technologien und Methoden und deren Anwendung erhalten. Dies kann am besten mithilfe einer Kombination aus Wissensvermittlung durch erfahrene Reinheitsexperten in Form von Vorträgen sowie die Durchführung von dazugehörigen Praxisteilen in Reinraumlaboren erzielt werden.
Das Fraunhofer IPA in Stuttgart, welches branchenübergreifend zu den weltweit führenden Einrichtungen auf dem Gebiet der Reinheitstechnik zählt, hat ein Konzept für eine ganzheitliche Reinraumschulung erarbeitet, welche Theorie und Praxis miteinander vereint. Die einzelnen Elemente des Konzeptes sind in Abb. 1 dargestellt und werden im Rahmen dieses Artikels erläutert.
Reinraumplanung und Monitoring
Bevor die Planung eines Reinraums erfolgt, gilt es, die Sauberkeitsspezifikation des dort herzustellenden Produktes und die Einflüsse der dazugehörigen Fertigungsprozesse bis ins letzte Detail zu verstehen. Die grundlegende Fragestellung bei der Reinraumplanung lautet: Wie viel Reinheit wird benötigt? Die Beantwortung dieser Frage ist auch davon abhängig, wie verunreinigungsresistent die Produkte konstruiert sind, welche Strategie (Verunreinigung vermeiden, vermindern oder entfernen) verfolgt werden kann und welche Art von Verunreinigungen kontrolliert werden muss. Darauf aufbauend erfolgt die Auswahl der Sauberkeitsstufe und Luftreinheitsklasse sowie das Ableiten der Strömungsform. Hieraus ergeben sich weitere Parameter der Reinraumtechnik, wie bspw. die Filtertechnik oder auch das Layout. Am Abschluss einer Reinraumbaumaßnahme steht die Reinraumabnahme als Nachweis zur Erfüllung der Reinheitsanforderungen.
Reine Produkthandhabung und Logistik
Kernpunkte einer reinen Produkthandhabung und eines reinheitsgerechten Logistikkonzepts sind die Planung, Ausführung und Kontrolle des Personal-, und Materialflusses. Das Ziel hierbei lautet, die benötigte Sauberkeitsqualität der Bauteile oder Komponenten bis zum Ort ihrer Bestimmung aufrechtzuerhalten und eine Verunreinigung mit kritischen Partikeln zu vermeiden. Hierzu müssen die Aspekte Transport, Lagerung und Verpackung aus Sauberkeitssicht genauer betrachtet werden, bspw. hinsichtlich reinheitsbedingter Systemgrenzen entlang der Prozesskette oder bezüglich abriebarmer Verpackungsmaterialien.
Personalverhalten und -bekleidung
Das Personal stellt aus Sauberkeitssicht eine Einflussgröße mit hohem Risiko dar. Personelles Fehlverhalten kann zu einer Partikelquelle werden, deren Ursache im Nachhinein kaum nachvollziehbar ist. Aufgrund dessen ist es für die Teilnehmenden relevant, Maßnahmen zur Eindämmung von Verunreinigungen durch das Personal kennen zu lernen, welche im Vergleich zu anderen Einflussgrößen kostengünstig und schnell umgesetzt werden können.
Das Personal stellt durch seine reine Anwesenheit eine Verunreinigungsquelle im Reinraum dar, welche zum einen über ein geeignetes Bekleidungskonzept und zum anderen über reinraumgerechtes Verhalten eingedämmt werden kann. Hinsichtlich der geeigneten Bekleidung und Ankleideprozedur finden sich in den relevanten Normen kaum Vorgaben, weshalb hier Best Practice Beispiele aus den unterschiedlichen Reinraumlaboren des Fraunhofer IPA vorgestellt werden.
Reinheitsgerechtes Prozess- und Anlagendesign
Im Rahmen der Fertigungs- und Montageprozesse sind die Produkte direkt potenziell kritischen Verunreinigungsquellen ausgesetzt. Da die Ausführung der eingesetzten Anlagen spezifisch vom Prozess und dem Produkt abhängig ist, wird den Teilnehmenden Wissen vermittelt, mit dessen Hilfe sie individuelle Maßnahmen auswählen und umsetzen können.
Wichtige Aspekte stellen hierbei beispielsweise die Materialauswahl, die geometrische Gestaltung von Betriebsmitteln, die Integration von Reinigungsverfahren und auch die reinigungsgerechte Gestaltung der Anlagen dar.
Reinigung und Analytik
Eine Reinigung der Komponenten ist dann notwendig, wenn die kritischen Kontaminationen im Produktionsprozess durch keine der vorangehenden Maßnahmen vermieden oder vermindert werden können. Für diesen Fall sollen den Teilnehmenden die Grundlagen der Reinigung hinsichtlich Reinigungsprinzipien, -mechanik und -chemie vermittelt werden sowie die Vorgehensweise zur gezielten Auswahl eines geeigneten Reinigungsverfahrens nach Produkteigenschaften, Verunreinigungsart und gefordertem Reinheitsgrad.
Zur Reinigungsvalidierung oder auch zur Feststellung des Reinheitszustands wird den Teilnehmenden ein umfassendes Repertoire an direkten und indirekten Messverfahren partikulärer wie auch filmisch/chemischer Verunreinigungen sowie deren Vor- und Nachteile vorgestellt, welche im Praxisteil erprobt werden können.
Praxisteil
Die praktischen Übungen finden in den Reinraumlabors (ISO Klasse 1 bis 8) des Fraunhofer IPAs statt. Hierbei soll das theoretische Wissen zu den einzelnen Bausteinen durch eigene Erfahrungen unter reinen Bedingungen gefestigt und vervollständigt werden: Es finden Versuche bezüglich des Personalverhaltens und unterschiedlicher Reinigungsverfahren statt, die Ankleideprozedur wird erprobt sowie das geeignete Einschleusen von Materialien in den Reinraum. Außerdem kann am Fraunhofer IPA die gesamte Bandbreite an Prüfverfahren, wie bspw. direkte Sichtprüfungsverfahren mit und ohne Verwendung spezieller Weißlicht- und UV-Lampen über tragbare Partikelmessgeräte für Oberflächen bis hin zur kompletten Laboranalytik für partikuläre und filmisch/chemische Verunreinigungen demonstriert und teils selbst getestet werden.
Neben der Wissensvermittlung darf auch die Möglichkeit zum persönlichen Austausch mit anderen Teilnehmenden bei einer solchen Schulungsmaßnahme nicht unterschätzt werden. Denn oftmals ist Personal, das sich mit Themen rund um Reinheit und Sauberkeit befasst, im eigenen Unternehmen auf sich allein gestellt.
Fazit
Eine Reinraumschulung legt den Grundstein für das Bewusstsein hinsichtlich der Bedeutung von Reinheit und der Auswirkungen von Kontamination auf die Qualität der Produkte. Neben der Reinraumtechnik spielen weitere Bausteine eine zentrale Rolle bei der Vermeidung eines unkalkulierbaren Verunreinigungsrisikos. Aufgrund dessen sollte eine Reinraumschulung als Basis für die Produktion von sauberkeitssensiblen Produkten einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen und theoretische wie auch praktische Aspekte miteinbeziehen.
Autoren: Ann-Katrin Großmann und Markus Rochowicz, Fraunhofer Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA, Stuttgart