03.06.2024 • NachrichtenCITplusAchemaAchema2024

Wasserelektrolyse: Alkalische Elektrolyse oder Anionenaustauschermembran?

Wasserstoff gilt als „Wundermittel“ im Kampf gegen den Klimawandel. Speziell mit grünem Wasserstoff, der aus erneuerbaren Energien wie Solar oder Wind gewonnen wird, soll die energieintensive Industrie klimaneutral werden. Die Erzeugung von Wasserstoff etwa durch die Zerlegung von Wasser ist jedoch selbst energieintensiv. Für den Hochlauf der Wasserstoffproduktion sind die Energieeffizienz der Verfahren und die Skalierungsmöglichkeit im Anlagenbau entscheidende Wachstums- und Wettbewerbsfaktoren.

In Rodenbach betreibt De Nora ein modernes Fertigungs- und...
In Rodenbach betreibt De Nora ein modernes Fertigungs- und Beschichtungsproduktionszentrum © De Nora Deutschland

Bei der Elektrolyse wird Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff durch Zufuhr von elektrischem Strom gespalten. Mitentscheidend für eine klimaneutrale Wasserstoffwirtschaft ist daher die Entwicklung effizienter Elektrolyseverfahren. Nicht nur die chemische Industrie, sondern auch andere Sektoren wie die Stahlindustrie oder der Mobilitätssektor werden große Mengen an Wasserstoff benötigen, die ohne Kohlendioxid-Emissionen erzeugt wird. Der prognostizierte Bedarf an Elektrolyseanlagen übersteigt bei Weitem das aktuelle Angebot. Laut einer Studie der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften besteht allein für die Industrie in Deutschland ein Bedarf im Jahr 2030 von mindestens 20 GW installierte Elektrolyseleistung für die Herstellung von Wasserstoff. Installiert werden bis dahin maximal wohl aber nur 7 bis 8 GW.

Wie gelingt also die Produktion von effizienten und kostengünstigen Elektrolyseanlagen für eine großtechnische Wasserstoffherstellung? Zwei Veranstaltungen im März zeigten jüngst einige Lösungsansätze aus Forschung und Industrie: Die dreitägige Chemiekonferenz „ICRC - International Conference on Resource Chemistry“ bei der Fraunhofer-Einrichtung für Wertstoffkreisläufe und Ressourcenstrategie IWKS in Alzenau und ein Open House Event von Thyssenkrupp Nucera und De Nora in Rodenbach bei Hanau. Der Fokus lag dabei auf der AEM-Elektrolyse (AEM = Anion Ex-change Membrane) und der alkalischen Elektrolyse (AEL) von Wasser.

AEM-Elektrolyse kombiniert verschiedene Vorteile

Auf der Chemiekonferenz ICRC beim Fraunhofer IWKS diskutierte eine internationale Community über aktuelle Entwicklungen in der Ressourcenchemie. Dabei standen auch „Green Materials for Green Hydrogen“ im Mittelpunkt. Einen Interessanten Vortrag gab es unter anderem von Dr. Steffen Hasenzahl, Evonik Operations Creavis („Successful development and scale-up of materials as pre-condition for a climate neutral hydrogen economy“). Er berichtete über die Entwicklung eines anionenleitenden Polymers und dessen Verwendung zur Herstellung einer neuartigen Anionenaustauschermembran für die AEM-Elektrolyse. Die AEM-Technologie hat aus Sicht von Evonik das Potenzial, die kostengünstigste grüne Wasserstoffproduktion zu ermöglichen, da sie die Vorteile der AEL- und der PEM-Elektrolyse ohne deren Nachteile vereint.

Die ausgereifteste und älteste Technologie ist die alkalische Elektrolyse mit einem porösen Diaphragma als Separator zwischen den beiden Halbzellen, in denen Wasserstoff und Sauerstoff gebildet werden. Weniger ausgereift ist die PEM-Elektrolyse (Protonenaustauschmembran), gefolgt von der AEM-Elektrolyse (Anionenaustauschermembran), die beide eine Ionenaustauschermembran als Separator verwenden. Ähnlich wie bei AEL ermöglicht das alkalische Medium die Verwendung kostengünstiger Elektrokatalysatoren und Elektrolyseure-Komponenten. Wie bei der PEM-Elektrolyse ermöglicht die Polymermembran den Betrieb bei hohen Stromdichten und die Wasserstoffproduktion unter Differenzdruck. Um diese Vorteile zu nutzen, muss die Anionenaustauschmembran eine hohe Ionenleitfähigkeit mit einer hohen chemischen und mechanischen Stabilität kombinieren.

Durch die Integration der innovativen anionenleitenden Anionenaustauschermembran in einen AEM-Elektrolyseur können laut Evonik die Investitions- und Betriebskosten der grünen Wasserstofferzeugung im Vergleich etwa zur PEM-Wasserelektrolyse, gesenkt werden. Da der Betrieb der AEM-Elektrolyse unter leicht alkalischen Bedingungen stattfindet, können edelmetallfreie Katalysatoren für die Elektroden und preiswerte Werkstoffe für die Zellen eingesetzt werden.

Meilenstein-Projekt: Scalum, ein innovatives Standardmodul für die alkalische...
Meilenstein-Projekt: Scalum, ein innovatives Standardmodul für die alkalische Wasserelektrolyse, um grünen Wasserstoff im industriellen Maßstab herstellen zu können. © Thyssenkrupp Nucera

Thyssenkrupp Nucera setzt auf alkalische Wasserelektrolyse

Wie die Transformation der Energiewende schon in der Industrie funktioniert, zeigte sich beim ersten gemeinsamen „Joint Open House“ von Thyssenkrupp Nucera und De Nora. Seit mehr als 20 Jahren bündeln beide Hightech-Unternehmen ihr Know-how auf dem Gebiet der Elektrolyse. Beide Unternehmen informierten die internationale Finanzwelt darüber, wie sie sich auf den Zukunftsmarkt Wasserstoff vorbereiten. Analysten, Investoren sowie Kunden erfuhren unter anderem von den beiden CEOs, Dr. Werner Ponikwar von Thyssenkrupp Nucera und Paolo Dellachà vom De Nora Mutterkonzern in Mailand, wie die Elektrolysetechnologien beider Unternehmen die Dekarbonisierung der Industrie und ein transformiertes globales Energiesystem beschleunigen. „Unser gemeinsames Engagement für den kontinuierlichen technologischen Fortschritt bildet die Grundlage dieser langjährigen Partnerschaft, da wir zusammenarbeiten, um Umweltbewusstsein und innovative Lösungen zusammenzubringen. Wir haben die Power zum industriellen Scale-up. Wir sind gut vorbereitet auf den Wachstumsmarkt Wasserstoff“, erläuterte Dr. Werner Ponikwar.

Dafür werden unter anderem effiziente Elektroden benötigt. Die De Nora Deutschland aus Rodenbach gehört zu den Weltmarktführern in der Herstellung und im Vertrieb von Elektroden und Beschichtungen, die in elektrochemischen Prozessen eingesetzt werden, und ist auf Technologien zur Herstellung von grünem Wasserstoff spezialisiert. Das Unternehmen entwickelt, fertigt und vertreibt Anoden aus Titan und Nickel mit Mischoxid- oder Platinbeschichtungen, Elektrolysesysteme zur Metallrückgewinnung sowie für Oxidations- und Reduktionsprozesse. Die Weiterentwicklung und Produktoptimierung sowie gemeinsame Entwicklungen mit der Großchemie stehen dabei im Blickpunkt. Die Mischproduktion umfasst vor Ort in Rodenbach die klassische Elektrodenproduktion für die Elektroindustrie, für die Galvanikindustrie und für den Korro­sionsschutz. Hauptprodukt sind 2,7 m² große rechteckige schwarze, metallische, feinmaschige, flache Membranzellen für den Einsatz in der Chloralkalielektrolyse zur Herstellung von Grundchemikalien wie Chlor.

Werner Ponikwar, CEO, Thyssenkrupp Nucera © Thyssenkrupp   Werner Ponikwar, CEO von Thyssenkrupp Nucera

„Stand jetzt liegt die weltweit installierte Elektrolysekapazität bei etwas mehr als einem Gigawatt. Wir brauchen bis 2050 aber die 3000-fache Leistung.“

 

Meilenstein-Projekt Scalum

Ein weiteres Anwendungsfeld sind Brenn­stoffzellenelektroden (Gasdiffusionselektroden). Aufgrund der Wasserstoffthematik ist die Nachfrage nach diesen Elektroden kontinuierlich steigend. Zusammen mit Thyssenkrupp Nucera fertigt De Nora Elektrolyseure für die Gewinnung von Wasserstoff im Gigawattbereich. Elektroden-Know-how aus Rodenbach findet sich daher auch im neuen Meilenstein-Projekt von Thyssenkrupp Nucera: Scalum, ein innovatives Standardmodul für die alkalische Wasserelek­trolyse, um grünen Wasserstoff im industriellen Maßstab herstellen zu können. Der Anlagenbauer kombiniert rund 300 hocheffiziente Zellen zu einer leistungsstarken Einheit mit einer Systemleistung von 20 MW. Konzipiert als standardisierte modulare Lösung, die einfach miteinander verbunden und Einheit für Einheit skaliert werden kann. Ein Modul ist 40 m lang und 5 m hoch. Auf einem Fußballfeld durchschnittlicher Größe können ungefähr 20 dieser Hightech-Module platziert werden. Eine neue Zwei-Gigawatt-Anlage mit diesen Modulen in Saudi-Arabien wird bspw. eine Größe von fünf Fußballfeldern haben.

Heute ist die alkalische Wasserelektrolyse laut Thyssenkrupp Nucera die einzige verfügbare Lösung zur Herstellung von grünem Wasserstoff im industriellen Maßstab im Bereich von mehreren hundert Megawatt bis hin zu Gigawatt. Der grüne Wasserstoffmarkt benötigt nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) für 2050 die 3.000-fache jährliche Menge an grünem Wasserstoff im Vergleich zu heute, um Klimaneutralität zu ermöglichen. Entsprechend muss auch die Herstellung von Elektrolyseuren deutlich hochgefahren werden, um den Wasserstoffbedarf zu decken. „Stand jetzt liegt die weltweit installierte Elektrolysekapazität bei etwas mehr als einem Gigawatt. Wir brauchen bis 2050 aber die 3.000-fache Leistung“, veranschaulichte Werner Ponikwar beim Open House-Event in Rodenbach. Und das bedeutet: Bis 2050 müssen pro Jahr im Schnitt 115 Gigawatt dazukommen.

Klar ist: Um diese Leistung in Zukunft zur Verfügung stellen zu können, müssen alle Elektrolyseverfahren zur Erzeugung von grünem Wasserstoff parallel weiterentwickelt werden. Nicht ohne Grund stärkt der Dortmunder Anlagenbauer daher auch sein Technologieportfolio durch die Hochtemperatur-Elektrolyse (SOEC -Solid Oxide Electrolyzer Cell) des Fraunhofer-Instituts für Keramische Technologien und Systeme IKTS. Thyssenkrupp Nucera und das Fraunhofer IKTS gehen hierzu eine strategische Partnerschaft ein. Die Kooperation soll helfen, die letzten Schritte hin zur industriellen Fertigung und Anwendung der Hochtemperatur-Elektrolyse zu gehen.

Autor:

J. Wetterau © privat   Jörg Wetterau, Labor für Kommunikation

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