Wie erreichen wir geopolitische Resilienz in der Batterieproduktion?
Lukas Kothmeier schildert im Interview, wie große Automobilkonzerne sich neu aufstellen sollten, damit die Transformation zur E-Mobiltät und der wirtschaftliche Erfolg gelingen kann. Auch geht er darauf ein, wie eine „unterschiedliche Sprache“ der Chemie- und Automobilindustrie zum Hindernis werden und ein effizientes Projektmanagement helfen kann. Für sehr wichtig sieht er eine europäische Batterieproduktion, die in Europa für mehr Resilienz sorgt und den Kontinent unabhängiger macht zum Beispiel auch mit Blick auf militärische Batterie-Anwendungen.
Interview mit Lukas Kothmeier, Lukas Kothmeier Consulting
Effizientes Projektmanagement in der Batterieproduktion: Resilienz und Veränderungsmanagement
CITplus: Herr Kothmeier, was sind die Voraussetzungen, damit die Transformation in der Automobilindustrie gelingt und welches Verständnis braucht es, damit Unternehmen und Mitarbeiter weiterhin erfolgreich am Markt bleiben? Welches sind die wesentlichen Aspekte der Transformation?
Lukas Kothmeier: Sehr abstrakt betrachtet muss es den OEMs gelingen, mit neuen Produkten, bei denen die eigenen technologischen Kompetenzen eine kleinere Rolle spielen als in der Vergangenheit, einen ausreichend hohen Deckungsbeitrag zu erzielen, um das Unternehmen wirtschaftlich zu halten. Konkret für die Batterie bedeutet das, dass wir weitere Optimierungen hinsichtlich des Kostenanteils der Batterie benötigen und zudem noch weitere Potenziale finden müssen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.
Aus meiner Sicht müssen Unternehmen massiv auf ihre eigene Effizienz schauen. Die europäischen Hersteller haben sehr große Organisationen, worunter die Effizienz leidet. Aus meiner Sicht ist die Transformation eine gute Chance, diese Organisationen mit anzupassen und mittelfristig Unternehmensprozesse zu entschlacken. Sollte diese Anpassung nicht erfolgen, erwarte ich einen immer größeren Nachteil der Innovations- und Optimierungsgeschwindigkeit.
Mitarbeiter müssen sich meiner Meinung nach bewusst sein, dass mit der Transformation auch persönliche Veränderungen folgen werden. Sei es in den Arbeitsprozessen, der eigenen Funktion oder der Organisation, in der man arbeitet. Zudem wird die Halbwertszeit der Lebensdauer von Prozessen und Organisation immer kürzer, sprich Mitarbeiter müssen sich auf einen kontinuierlichen Wandel einstellen.
Wesentliche Aspekte der Transformation sind für intelligente Führung, Flexibilität in der Planung und Weitsicht. Ohne Führungskräfte, die mit breiter Brust vorlaufen und die Transformation vorleben, kann sie innerhalb der Mannschaft nicht funktionieren. Ohne Flexibilität wird bei der zum Beispiel ersten politischen Änderung der Rahmenbedingungen oder ähnlichen Themen sofort Panik ausbrechen. Alles auf eine Karte setzen ist riskant, jeder muss bereit sein für kurzfristige Korrekturen, die das Umfeld verursachen wird.
Worin liegen die größten Hindernisse, wenn sie an Batterieproduktionsprojekte in der Automobilindustrie denken?
L. Kothmeier: Die größten Hindernisse liegen derzeit sicherlich in der Investitionsfreudigkeit und der Rentabilität der Projekte. Die wirtschaftliche Lage ist ohnehin sehr angespannt, weshalb Investitionen intensiv geprüft und hinterfragt werden. Kombiniert mit sehr niedrigen Zellpreisen aus Asien und der Insolvenz von Northvolt, womit mehr Investitionsgelder vernichtet wurden als bei jedem vergleichbaren Projekt, ist natürlich jeder Investor skeptisch. Und solange niemand auf den Knopf drückt und viel Geld für eine neue Fabrik in die Hand nimmt, wird die Massenproduktion nicht durch europäische Hersteller stattfinden.
Ein entsprechender Business Case ist meines Erachtens kaum ohne eine fiktive Preiskomponente – geopolitische Resilienz – denkbar. Diesen Aspekt halte ich aber für hochrelevant! Sowohl für den Automotive-Sektor als auch für sicherheitsrelevante Branchen wie der Rüstung. Wenn Europa beispielsweise keinerlei eigene Produktionskapazitäten im großen Stil für die Produktion von Drohnenbatterien im Rüstungssektor hat, ist das definitiv ein Nachteil. Dieser ist jedoch für private Investoren sehr schwer preislich zu berücksichtigen.
Das größte Hindernis, ab dem Zeitpunkt der vorhandenen Investition ist meines Erachtens nach die korrekte Wahl der Skalierungsschritte und das schnelle Lernen in ebendieser Skalierung. Die Batterieproduktion ist komplex, jedoch ist es nicht unlösbar
Was empfehlen Sie Expertinnen und Experten aus der Chemie- und Batteriewelt, um ein Projekt mit einem Automobil-OEM zum Erfolg zu führen? Was sind typische Stolpersteine? Können Sie ein Beispiel dafür schildern?
L. Kothmeier: Typische Stolpersteine sind abstrakt betrachtet die unterschiedlichen Stile zu kommunizieren, das Terminverständnis und das Verständnis zum eigenen Nichtwissen.
Was das in der Praxis bedeuten kann: Der OEM kommuniziert in einer Klarheit und Deutlichkeit mit seinen Lieferanten, dass branchenfremde Firmen schnell verunsichert werden können. Sobald der OEM wiederum spürt, dass der Lieferant unsicher erscheint, wird er seine Steuerungszügel straffen und nach mehr Transparenz fordern, was die Projektleitung des Lieferanten weiter überfordert und dann schnell zu einer unzufriedenstellenden Projektsituation führt. Sehr wichtig ist, eine klare kommunikative Schnittstelle zu den OEMs zu etablieren und die Projektleiter kommunikativ zu unterstützen. Das erledigen wir regelmäßig, da wir aufgrund unserer Projekte häufig auf der ein oder anderen Seite sitzen und daher die Sprachen beider Beteiligten gut kennen. Chemieunternehmen wissen über ihre eigenen Prozesse häufig gut Bescheid und sind Experten in ihrem Bereich. Dennoch neigt ein OEM mit seinen Planungs-, Betriebs- und Instandhaltungsabteilungen dazu, Vorgaben zu setzen, die der Expertenmeinung des Lieferanten widersprechen, obwohl im eigenen Haus weniger Erfahrung vorliegt. Solche Situationen sind mühsam, aber können durch gute Vorbereitung und Kenntnis über die Entscheidungsstrukturen beim Kunden erfolgreich gelöst werden.
„Mitarbeiter müssen sich meiner Meinung nach bewusst sein, dass mit der Transformation auch persönliche Veränderungen folgen werden.“

Was sind besonders kritische Punkte im Projektmanagement und -ablauf?
L. Kothmeier: Im Allgemeinen gibt es zwei Themen, die den meisten Projekten der Batterieproduktion zum Verhängnis werden: der dynamische Änderungscharakter der Projekte und die Implementierung von Prozesswissen mit Qualitätsschleifen. Batterieprojekte ändern sich fortlaufend. Jede fixe Prämisse ist als Variable anzusehen, die sich jederzeit ändern kann. Das überfordert viele Projektteams. Sowohl techniklastige Teammitglieder, die ihre Konstruktionen und Auslegung fortlaufend ändern müssen, als auch die Projektleitung selbst, die mit dem Verwalten und Aussteuern von Änderungen im Team nicht mehr hinterherkommt, geraten schnell an ihre Grenzen. Dadurch werden Projektteams schnell reaktiv, verlieren den proaktiven Planungscharakter, wodurch wiederum viele zukünftige Kleinthemen zu größeren Problemen werden können. Auf der anderen Seite kämpfen sowohl die Produzenten als auch die Lieferanten mit der neuen Prozesstechnologie. Prozesswissen ist nicht in der Tiefe vorhanden, sodass anspruchsvolle Fertigungsschritte nicht einfach so in Betrieb genommen werden können und die Wechselwirkungen zwischen Qualitätsprüfung, Parametrierung und Prozessinbetriebnahme sind komplex. Diese Kombination aus organisatorischen und technischen Herausforderungen macht ein Batterieprojekt zu einer großen Aufgabe.
Wenn wir an Chemieunternehmen denken: Wie kann die Expertise für Batteriechemie am besten in den OEM-Projekten eingebracht werden?
L. Kothmeier: Die Chemie ist in der Batterieproduktion beispielsweise beim Thema Materialauswahl für das Aktivmaterial, dem Verhalten der Zelle in Produktion und Betrieb und aber auch der Handhabung der Materialien in der Produktion relevant. Beim letzten Thema drängt sich beispielweise das Thema Sauberkeit und Partikelfreiheit der Materialien auf. Höchstrelevant für die Sicherheit der Zelle im späteren Betrieb und gleichzeitig Kernanforderung vieler chemischer Anwendungen sind, Reinheit und Partikelfreiheit gewährleisten zu können.
Hier können sich beide Branchen gut helfen! Die Expertise kann dann gut eingebracht werden, wenn die Chemieindustrie die konkreten Herausforderung der Automobilisten und Zellproduzenten kennt und dann zielgerichtet Lösungen anbieten kann. Kaum eine Planungs- und Betriebsabteilung verfügt über die Kapazitäten und den interdisziplinären Durchblick, selbst nach möglichen Schnittstellen zwischen den Industrien zu suchen, sondern hier bedarf es direkt ein konkretes Lösungsangebot. Verschiedene Industrien nutzen bereits für die Automotive-Industrie sehr wertvolle Technologien, bei denen jedoch niemand jemals auf die Idee gekommen wäre, dass Synergien denkbar sind.
Die Forschung und Entwicklung von Batterie- und Zellsystemen ist Deutschland durchaus stark und kann gemeinsam mit industriellen Partnern einen relevanten Beitrag für die Entwicklung neuer Batteriechemien leisten. Wie schätzen Sie die Situation im Anlagenbau ein?
L. Kothmeier: Der Anlagenbau macht in meinen Augen großartige Fortschritte. Vor fünf Jahren gab es kaum ein seriöses Angebot, gesamte Gigafactories mit lokalen Anlagenbauern zu realisieren. Mittlerweile haben sich viele Unternehmen organisiert und entwickeln eigene Technologien, die definitiv wettbewerbsfähig sind. Die Wettbewerbsfähigkeit ist häufig jedoch erst bei Betrachtung der Gesamtkosten (TCO) darlegbar und nicht bereits im Einkaufspreis, was den Vertriebsprozess vieler Anlagenbauer noch sehr erschwert. Ich bin sehr positiver Dinge, dass der lokale Maschinenbau die erforderliche Technologie liefern kann.
Warum sollte ein OEM auf Anlagenbauer aus Europa setzen, wenn Anlagen aus Fernost doch zuverlässiger und preisgünstiger sind?
L. Kothmeier: „Zuverlässiger“ und „preisgünstiger“ sind jeweils sehr subjektivierbare Begriffe, denen ich jeweils nicht zustimme. Zunächst wäre es sehr anmaßend und arrogant zu behaupten, dass asiatische Anlagenbauer ihr Geschäft nicht verstehen würden. Die Fakten der Marktanteile sprechen hier eine klare Sprache. Die Zuverlässigkeit der Anlagen sehe ich nicht als höher an. Viel Prozess- und Anlaufkompetenz liegt nicht bei den Anlagenbauern in Fernost, sondern bei deren Kunden, den Zellherstellern. Die haben viel Anlauferfahrung mit diesen Anlagen und kriegen die Prozesse auch sukzessive stabilisiert. Teilweise jedoch auch durch erhebliche Umbauten und kontinuierliche Weiterentwicklung. Beim Thema Preis sehe ich ganz klar das Thema der Gesamtkosten: Beim hohen Kostenanteil des Rohmaterials einer Batterie, reicht eine verbesserte Ausschussrate von einem Prozentpunkt gegenüber dem Wettbewerb aus, um große Differenzen im Beschaffungspreis zu kompensieren. Am Beispiel von Northvolt sehen wir, dass Materialausschusskosten problemlos in die Milliarden gehen können.
Ich sehe bei diesen Themen folglich keinen Wettbewerbsvorteil der Asiaten, sofern die Gesamtkostenrechnung herangezogen wird. Den wichtigen Nachweis, den die europäischen Anlagenbauer liefern müssen, damit sie für eine Vergabe empfohlen werden können, ist der Kompetenznachweis. Ohne Gigafactory-Referenz muss durch eigene Hardware nachgewiesen werden, dass der angebotene Prozess auch funktionieren wird.
Aktuell befindet sich die Batterieindustrie in Europa in einer kritischen Situation. Erwarten Sie, dass die geplanten Projekte noch umgesetzt werden? Und wenn ja, wann? Was sind die Voraussetzungen dafür?
L. Kothmeier: Korrekt, die Situation ist kritisch und für viele Firmen herausfordernd. Ich vermute nicht, dass alle geplanten oder angekündigten Projekte realisiert werden. Derzeit sind die geopolitische Situation und die Rahmenbedingungen einer Investition so unsicher, dass ich kein Bündel an kurzfristigen Entscheidungen diesbezüglich erwarte. Viele unserer Kunden rechnen Ende 2025 mit einem klareren Bild bezüglich anstehender Neuprojekte. Eine Voraussetzung ist aus meiner Sicht politische Klarheit, beispielsweise in der CO2-Bepreisung und Förderung von E-Mobilen.
Wie schätzen Sie den Markt und Produktionschancen für stationäre Batteriespeicher in Europa ein? Haben hier europäischen Zulieferer bessere Chancen als im Automotive-Sektor?
L. Kothmeier: Man muss die Frage denke ich erstmal inhaltlich trennen: Für stationäre Batteriespeicher werden kaum eigene Gigafactories bei europäischen Herstellern errichtet, dafür ist die Marge bei diesen Produkten schlichtweg zu gering und die Wettbewerbsdifferenzierung zu schwierig. Wenn man von der Modul- und Packproduktion spricht, also der Integration der Batteriezelle, gibt es mit Sicherheit Chancen und auch Beispiele hierfür. Diese gibt es jedoch im Automotive-Sektor auch zu genüge. Derzeit ist der Stationärspeichermarkt sehr überflutet mit Bestandskontingenten, weshalb es sehr am Geschäftsmodell hängt, ob Gewinn erwirtschaftet werden kann. Einige Hersteller fokussieren sich auf das Aufkaufen von Bestandskontingenten zum nahezu Schrottpreis, um sie dann selbst in Großspeicher integrieren zu können und arbeiten damit sehr wirtschaftlich. Zusammenfassend sehe ich derzeit keine bessere Chance für Zellhersteller in Europa für den BESS-Markt gegenüber Automotive.